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Bestimmung des Todeszeitpunktes nach jüdischem Gesetz

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Bestimmung des Todeszeitpunktes nach jüdischem Gesetz

Bestimmung des Todeszeitpunktes

Einleitung

Seit dem Jahr 1959 gibt es eine lange Reihe von Publikationen über das Konzept des Hirntodes. Zuerst lag das Augenmerk hauptsächlich auf der Bestimmung des Hirntodes und auf der Frage, ob der Hirntod dem „normalen“ Tod entspreche. In den letzten Jahrzehnten ist das Konzept des Hirntodes in der medizinischen Wissenschaft besonders relevant, um den exakten Zeitpunkt zu bestimmen, ab welchem einem Patienten Organe entnommen werden dürfen.

Im Jahr 1968 wurde der Hirntod an der Universität von Harvard als das vollständige Fehlen aller Gehirnfunktionen, unter der Voraussetzung, dass es keine Hypothermie oder Überdosis an Schlaftabletten gab, beschrieben. Unter Fehlen ,,aller Gehirnfunktionen“ versteht man hier das Bewusstsein im Gehirn, die Körpertemperatur, den Blutdruck im Hirnstamm und das Atemzentrum im erweiterten Knochenmark.

Seit Hippokrates gab es in der allgemeinen Medizin den Brauch, eine sterbende Person in Ruhe sterben zu lassen. Diese alte Regel wurde im Hinblick auf die Organspende aufgegeben. Potentielle Organspender werden lange künstlich am Leben erhalten. Diese Zeit wird benötigt, um den Hirntod final zu diagnostizieren, aber auch, um den Familienmitgliedern Zeit zu geben, um sich mit der Frage auseinanderzusetzten, ob eine Organspende für sie als Option in Frage kommt.

Dieser Prozess der ,,artifiziellen Lebenserhaltung“ ist für den betroffenden Patienten selbst sinnlos. Die künstliche Beatmung und Durchblutung dienen nur dem Interesse derjenigen Patienten auf der Warteliste.

Die niederländische Nierenstiftung stellt die Frage der Organspende, welche einst als die unglücklichste Frage, für die unglücklichste Familie, zum unglücklichsten Zeitpunkt, beschrieben wurde, an die unmittelbare Familie der sterbenden Patienten. Dik Pranger, Ethiker und Arzt in Wormer (Holland), fügt hinzu ,,dass der Todesbericht abstrakt bleibe“.

 

Doch wie bestimmt man eigentlich den Hirntod? Und ist die Bestimmung wirklich so genau, dass man sich zweifelsfrei darauf verlassen kann?

Erwin Kompanje, Dozent für Medizinethik (Erasmus MC University Medical Center Rotterdam, Holland) liefert auf diese Fragen klare Antworten. Bereits 1983 wurden die Kriterien für den Hirntod vom niederländischen Gesundheitsrat klar beschrieben und seither nicht geändert.

In der Praxis sei die Bestimmung des Hirntodes sehr gewissenhaft. Bei einem tiefkomatösen, künstlich beatmeten Patienten mit einer zugrunde liegenden schweren Gehirnerkrankung werden sehr häufig Hirnstammfunktionen wie Pupillenreaktionen, Cornea-Reflexe und Reaktionen auf Schmerzreize bestimmt. Sobald diese Reaktionen nicht mehr erregbar sind und der Blutdruck drastisch sinkt besteht der Verdacht, dass der Patient hirntot ist.

Nachdem Verdacht auf Hirntod enstanden ist, wird der Patient auf das Fehlen der verbleibenden Hirnstammreflexe und der Spontanatmung geprüft. Solange einer der sieben getesteten Hirnstammreflexe eine auch nur sehr minimale, Antwort zeigt, wird der Patient nicht für hirntot erklärt.

Wenn alle Bedingungen des niederländischen Gesundheitsrates zur Bestimmung des Hirntodes erfüllt sind und zusätzlich keine Reflexe mehr vorhanden sind, so gibt es für die Familie einen Moment, in dem über eine eventuelle Organspende nachgedacht werden kann.

Nun gibt es eine erste Diagnose. Doch wie geht es nun weiter? Können die Organe nun einfach gespendet werden oder gibt es noch weitere Zwischenschritte, welche sicherstellen, dass der Patient auch wirklich hirntot ist?

Wenn der Patient die Kriterien für eine Organspende nicht erfüllt, wird zu diesem Punkt jegliche Behandlung, insbesondere die künstliche Beatmung, gestoppt und das Herz hört nach einiger Zeit auf zu pumpen. Dies geschieht in etwa der Hälfte aller Fälle.

Wenn der Patient jedoch als potentieller Organspender in Frage kommt, so wird, wenn es eine Erlaubnis zur Organentnahme gibt, ein EEG oder ein Angiogramm durchgeführt. Bei einem EEG (Elektroenzephalografie) wird die elektrische Aktivität der Hirnrinde über Elektroden gemessen.

Jede Aktivität in unserem Gehirn ist ein elektro-chemischer Vorgang, welcher mit dieser Methode feststellbar und messbar ist. Bei einem hirntoten Patienten sieht man mit einem EEG die sogenannte EEG-Nulllinie, welche anzeigt, dass keine Aktivität des Gehirns mehr vorhanden ist. Mithilfe eines Angiogramms kann man den Nachweis erbringen, dass es einen Ausfall der Hirndurchblutung gibt und somit der Ausfall der Hirnfunktionen irreversibel ist.

Alles klar oder gibt es doch noch Meinungsunterschiede?

Bis zum Ende der 90-er Jahre gab es verschiedene Ansichten zu der Frage, ab wann die Hirntoddiagnose gerechtfertigt ist. Heutzutage gibt es dazu jedoch ganz klare Richtlinien, welche durch die Gesundheitsräte des jeweiligen Landes festgelegt wurden.

Im Folgenden wird die Entwicklung dieser Richtlinien in den Niederlanden kurz dargestellt.

 

Kommission zu Hirntodkriterien des Gesundheitsrates: Hirntodprotokoll 1996

Am 16. Februar 1994 erhielt der Gesundheitsrat des damaligen Staatssekretärs für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur, Hans Simons, einen Antrag auf Beratung in Bezug auf Kriterien für die Bestimmung des Hirntodes.

Die Kommission für Hirntoddiagnosekriterien hat das Hirntodprotokoll gemäß Artikel 15 des Organspendegesetzes nach fast drei Jahren gründlicher Forschung formuliert – in Form der Leitlinien zur Diagnose von Hirntod nach aktueller medizinischer Erkenntnis (Anno 1996).

Die Hirntoddiagnose gibt den Zeitpunkt an ab wann Maßnahmen getroffen werden können die notwendig sind, um die Organe für eine Transplantation zu erhalten- solange noch keine Entscheidung für oder gegen die Organentnahme vorliegt (Art. 22 Abs. 2 Organspendegesetz).

In dem 1996 veröffentlichten Bericht geht die Kommission auf eine Reihe rechtlicher, ethischer, sozialer und medizinischer Aspekte des Hirntods und seiner Diagnose ein. Die Kommission bezieht hierbei sowohl die Autonomie des Patienten als auch den Aspekt der Familie des Patienten und den des behandelnden Arztes mit ein.

  

Mehrere Definitionen für den Hirntod? Ist die Bestimmung wirklich so simpel?

In der wissenschaftlichen Literatur lassen sich verschiedene Meinungen darüber finden, ab wann von der Diagnose Hirntod zu sprechen ist. Im dritten Kapitel des Berichtes befasst sich die niederländische Hirntodkommission mit den verschiedenen Ansichten und legt ihre Definition des Hirntodes fest.

Es gibt drei große Differenzierungen beim Hirntod;

Obwohl beispielsweise in England bereits der Hirnstammtod ausreichend ist und es niederländische und amerikanische Ärzte gibt, die die Meinung vertreten, dass der irreversible Funktionsverlust der Großhirnrinde genügt, um die Diagnose Hirntod zu stellen, hat der niederländische Gesetzgeber ausschließlich den totalen Hirntod zur Feststellung der Diagnose akzeptiert. Hierbei geht es dem Gesetzgeber vor allem darum, Rücksicht auf den Patienten und dessen Familie zu nehmen und deren Interessen besonders zu schützen.

Trotz modernster Techniken ist es schwierig und komplex den Hirntod mit Sicherheit und Sorgfalt zu diagnostizieren. Dies kann man an dem sehr technischen Teil des Protokolls der Hirntodkommission sehen, welcher stetig von Spezialisten auf dem neuesten Stand der Wissenschaft gehalten werden muss.

Beispielsweise gibt es Diagnosetechniken, welche den Tod beschleunigen können und somit nicht verwendet werden dürfen.

Bei kleinen Kindern müssen mehr und längere Tests als bei Erwachsenen durchgeführt werden, da sie eine größere Fähigkeit zur Genesung haben und eine Schädigung weniger definitiv ist als bei Erwachsenen. Insbesondere gestaltet sich der Atmungs- oder APO-Test als schwierig und kann nur mit großer Sorgfalt und nach sehr strengen Regeln durchgeführt werden.

 

Hirntodprotokoll

Angesichts der hohen Anforderungen, die das niederländische Recht für die Diagnose des Hirntods stellt, ist die erforderliche Diagnostik nicht mit einer einzelnen Technik oder Untersuchungsmethode möglich. Eine einzelne Forschungstechnik gibt nur Auskunft über eine bestimmte Funktion des Gehirns und nicht über alle Funktionen des Gehirns als Gesamtheit.

Um den Hirntod so zuverlässig wie möglich zu bestimmen, ist es daher notwendig, eine Kombination von Forschungstechniken zu verwenden und eine Reihe von Vorbedingungen im Voraus zu betrachten. Insbesondere um auch auf die Position des potenziellen Spenders zu achten und dieser gerecht zu werden, ist dieser umfassende Ansatz notwendig.

Das vom Ausschuss Hirntod im nächsten Kapitel beschriebene ,,Hirntodprotokoll” sieht dies vor.  Dieses Protokoll wurde vor dem Hintergrund der internationalen Unterschiede in der Hirntoddiagnostik erstellt. Angesichts dieser Variationen werden die klinisch-neurologischen Kriterien und die Verfahren, die in der zusätzlichen Studie in dem Protokoll zu befolgen sind, vollständig beschrieben.

Der Ausschuss weist mit Nachdruck darauf hin, dass der Wert der endgültigen, vollständigen Untersuchung zur Bestimmung des Hirntods davon abhängt, ob der klinische Kontext berücksichtigt wird oder nicht (vorbedingte Anforderungen).

 

Hirntodprotokoll im Detail

Folgende Erklärungen zur Hirntoddiagnose basieren auf dem Hirntodprotokoll von 1996 des Gesundheitsrates, welches inzwischen Teil des Organspendegesetzes der Niederlande ist. Die Erklärungen sind teilweise vereinfacht dargestellt und durch zusätzliche Informationen ergänzt worden.

 

Was bedeutet Hirntod nach der Definition des Gesundheitsrates?

Unter dem Hirntod wird der vollständige und irreparable Verlust der Funktionen von Gehirn und Hirnstamm verstanden. Der Patient ist dann bewusstlos, jedoch wird durch den Einsatz einer Beatmungsmaschine dafür gesorgt, dass die Blutzirkulation aufrechterhalten wird und der Körper somit warmgehalten wird.

 

Doch wie bestimmt man genau den Hirntod? Wie ist das Prozedere und wer darf den Hirntod diagnostizieren?

Wenn die Absicht besteht Organe aus einem beatmeten Körper zu entnehmen, so gibt es ein bestimmtes, festgelegtes Prozedere, nach welchem der Hirntod diagnostiziert werden muss. Die Diagnose des Hirntodes basiert auf einer Kombination verschiedener Arten von Untersuchungen. Die einzelnen Methoden und Kriterien werden weiter unten genau beschrieben.

Die Ärzte, welche die Untersuchungen durchführen, sollten nicht an der Entfernung oder Implantation des Organs beteiligt sein. Somit wird die Objektivität gewährleistet.

Der Arzt, der die klinisch-neurologischen Untersuchungen durchführt, ist auch für die Stellung der letztendlichen Hirntoddiagnose verantwortlich. Dadurch wird gesichert, dass alle Verfahren des Hirntoddiagnoseprotokolles befolgt werden und dass zu den einzelnen Untersuchungen auch relevante Details in der finalen Erklärung enthalten sind.

 

Wann kann die Diagnose Hirntod gestellt werden?

Die Diagnose ,,Hirntod” kann nur im Falle einer tödlichen Hirnverletzung gestellt werden, deren Ursache bekannt ist und nicht behandelt werden kann. Diese Diagnose ist erst möglich nachdem es plausibel geworden und ausgeschlossen ist, dass es keine anderen Ursachen für die Bewusstlosigkeit und Reaktionslosigkeit gibt.

 

Wie ist das genaue Prozedere der Hirntoddiagnostik?

Die definitive Diagnose des Hirntods basiert auf vier Säulen:

1.    Der Abklärung der Vorbedingungen

2.    Der Abklärung, ob eine medikamentös bedingte Neurodepression vorliegt

3.    Der klinisch-neurologischen Untersuchung

4.    Der ergänzenden Untersuchung

 

Phase 1: (Hetero-) Anamnese und allgemeine Untersuchung

Wie weiter oben bereits beschrieben kann die Diagnose ,,Hirntod“ nur dann gestellt werden, wenn es keine andere Ursache für die Bewusstlosigkeit und Reaktionslosigkeit außer der Hirnschädigung gibt. Diese grundlegenden Vorbedingungen werden in der ersten Phase untersucht.

Es geht hauptsächlich darum diagnostische Daten zu erhalten und sich über die Vorgeschichte der Krankheit (Anamnese) zu informieren, um andere Ursachen von Bewusstlosigkeit und Reaktionslosigkeit ausschließen zu können.

Bei Zweifeln des untersuchenden Arztes, welcher in der Regel der behandelnde Arzt ist, oder bei Unklarheiten bezüglich des anamnetischen oder diagnostischen Befundes, sollte die allgemeine Untersuchung oder ein Teil davon nach einer bestimmten Zeit wiederholt werden und es sollte ein anderer kompetenter Arzt, welcher auch nicht an der Transplantation beteiligt ist, konsultiert werden.

Teilweise, auf der Grundlage der allgemeinen Untersuchung, muss Gewissheit über die tödliche Natur der Hirnschädigung, ihrer Ursache, sowie über das Fehlen von Behandlungsmöglichkeiten gewonnen werden. Diese Beurteilung muss immer in den Händen eines (evtl. pädiatrischen) Neurologen oder eines Neurochirurgen liegen.

Schließlich muss auf der Grundlage der verfügbaren anamnestischen und allgemeinen diagnostischen Daten (körperliche und biochemische Untersuchungen) sichergestellt werden, dass keine anderen Ursachen für Bewusstlosigkeit oder Reaktionsdefizite in Frage kommen.

Es gibt eine Reihe von Ursachen, die auch für die Bewusstlosigkeit oder Reaktionslosigkeit, in Frage kommen können und in besonderem Maße abgeklärt werden müssen:

1.    Hypothermie: Als Hypothermie wird ein Zustand bezeichnet bei dem es durch Unterkühlung dazu kommt, dass die Körperkerntemperatur gleich oder niedriger als 32 Grad Celsius beträgt. Eine Hypothermie ist in der Regel das Ergebnis von Unfällen (Winter, Ertrinken, Kühlhaus), kann aber auch Teil des Versagens des erweiterten Markes sein. Die Messung der zentralen Körpertemperatur und die Reaktion auf die Behandlung geben eine eindeutige Antwort. Für die Hirntoddiagnose muss die zentrale Körpertemperatur auf über 32 Grad Celsius angehoben worden sein.

2.    Intoxikation: Die Kenntnisnahme der Anamnese, auch über Dritte (Heteroanamnese) und derer, unter denen die Person gefunden wurde, kann Aufschluss darüber geben, ob eine relevante Intoxikation vorliegt (z.B. Alkohol, Drogen oder bestimmte Medikamente). Diese Intoxikationen können zum einen die Diagnose des Hirntodes erschweren und zum anderen die Organe für eine Transplantation ungeeignet machen. Auch bei Unfallpatienten können Arzneimittel die Diagnose “Hirntod” verwischen, wenn die Betroffenen dieses selbst eingenommen haben oder weil sie es verabreicht bekamen. Bei Anzeichen einer Intoxikation muss man die (toxischen) Substanzen im Blut oder Urin nachweisen. Wenn die nachteiligen klinischen Auswirkungen der Intoxikation auf die Funktion des Gehirns oder anderer Organe nicht beseitigt werden können, ist es nicht möglich den Hirntod für die Organspende festzustellen.

 

3.    Hypotonie: Als Hypotonie wird ein zu niedriger Blutdruck (systolischer Blutdruck gleich oder niedriger als 80 mm/Hg oder 10,7 kPa) bezeichnet. Ob die Hypotonie Teil des betroffenen Zustands ist (zB. hypovolämischer Schock) oder durch Versagen des ausgedehnten Knochenmarks verursacht wird, kann anhand des Ansprechens auf die Behandlung beurteilt werden. Sinkt der Blutdruck trotz blutdrucksteigernder Therapie deutet dies auf einen Verlust der relevanten Hirnfunktion (ausgedehntes Knochenmark) hin. Eine adäquate Behandlung, nämlich die Verhinderung eines übermäßigen Blutdruckabfalls, ist dann erforderlich. Wenn der Blutdruck zu niedrig ist, kann eine weitere Hirntoddiagnostik (wie z.B. durch den Apnoetest oder Angiographie), auf die in diesem Protokoll Bezug genommen wird, nicht zuverlässig durchgeführt werden.

 

4.    Blockade der neuromuskulären Verbindung: Sobald die neuromuskulären Verbindungen blockiert sind ist eine weiterführende Hirntoddiagnostik unmöglich. Häufig wird diese Blockade durch die Verabreichung bestimmter Medikamente zur Narkotisierung oder bei der künstlichen Beatmung verursacht. Wenn die Blockade beseitigt werden kann ohne andere organische Systeme zu beeinflussen, kann man die Hirntoddiagnostik fortsetzen.

 

5.    Schwere biochemische oder metabolische (stoffwechselbedingte) Störung: Es müssen Störungen ausgeschlossen werden, welche nicht durch das Versagen des Hirnstammes aufgetreten sind, wie z.B. Koma aufgrund von metabolischen und endokrinen Störungen (urämisches Koma, hypoglykämisches Koma, Koma hepaticum, Ketose etc.)

 

 

Phase 2: Abklärung etwaiger medikamentös bedingter Neurodepression

Bei dem Einsatz bestimmter Medikamente, wie z.B. Hypnotika, Anästhetika oder Antiepileptika kann es zu einer Verfälschung der Ergebnisse bei den weiteren Untersuchungen kommen. Die beispielsweise bei Unfallpatienten eingesetzten Medikamente können die Hirnfunktionen dämpfen und so zu einer falschen Diagnose führen.

Bei Patienten, die unter dieser sogenannten medikamentös bedingten Neurodepression leiden, muss abgewartet werden bis die Wirkung des Medikamentes nachlässt und somit das Ergebnis der neurologischen Untersuchung nicht mehr verfälscht werden kann.

 

Phase 3: klinisch-neurologische Untersuchung

In dieser Phase werden eine Reihe von Funktionen, welche für das Gehirn und den Hirnstamm charakteristisch sind, mittels klinisch-neurologischer Untersuchung überprüft.

Sobald einer der folgenden Tests auch nur eine teilweise vorhandene Funktion nachweisen kann, ist der Hirntod ausgeschlossen.

Die klinisch-neurologische Untersuchung muss immer von einem (evtl. pädiatrischen) Neurologen oder Neurochirurgen durchgeführt werden. Bei Zweifeln oder Unsicherheiten über Befunde oder Ergebnisse sollte die Untersuchung nach einiger Zeit und eventuell durch einen anderen Arzt, welcher nicht an einer etwaigen Transplantation beteiligt ist, wiederholt werden.

 

Es werden folgende Aspekte untersucht:

1.    Bewusstlosigkeit, nachgewiesen durch die fehlende Reaktion auf Schmerzreize nach der ,,Glasgow Coma Scale (GCS)“ für Erwachsene und nach der Kinderkoma-Skala (CCS) für Kinder unter 6 Jahren.

2.    Das Fehlen der Hirnsammreflexe:

·       Ausfall der Pupillenverengung auf Licht

·       Erloschener Corneareflex

·       keine Reaktionen auf vestibuläre Stimuli (negative okulo-cephale und oculo-vestibuläre Reaktionen)

·       fehlender Pharyngeal- und Trachealreflex (Hustenreflex)

3.    Fehlende Spontanatmung feststellen: die Verwendung von künstlicher Beatmung bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Spontanatmung vollständig fehlt. Daher muss die Abhängigkeit von der künstlichen Beatmung überprüft werden.

 

Phase 4: Ergänzende Untersuchungen

Die definitive Diagnose “Hirntod” wird mit Hilfe der sogenannten Zusatzdiagnostik erklärt. Diese besteht aus dem Nachweis von:
– Dem Fehlen einer elektrischen Hirnaktivität, nachgewiesen durch ein isoelektrisches Elektroenzephalogramm (EEG),
– Dem Fehlen von Spontanatmung, nachgewiesen durch den Apnoetest

Talmudischer Ansatz

Nun haben wir uns solange mit der medizinischen Definition des Hirntodes beschäftigt. Doch wie ist es mit der Halacha? Stimmen Halacha und gesetzliche Definition überein?

 

Wie sieht das jüdische Gesetz diese Frage ,,nach Leben und Tod”?

Im Rahmen der Bestimmung des Todeszeitpunktes diskutieren einige Poskim (Entscheidungsträger, Gelehrte) eine Mischna (Tradition) aus Traktat Joma (8: 7):

,,Wenn eine Person unter einem Gebäude begraben ist, kann man den Schabbat entweihen, indem man Trümmer wegräumt, auch wenn unklar ist, ob sie noch lebt; aber wenn sie tot aufgefunden wird, bleibt sie (bis nach dem Schabbat) liegen.

 

Diese Mischna verdeutlicht, dass man den Schabbat entweihen kann, obwohl es zweifelhaft ist, ob man durch das Beseitigen der Trümmer ein Leben retten kann. Man kann also sehen, dass selbst eventuelles (Über-)leben die Schabbat Vorschriften verdrängt.

Doch wie stellt man fest, ob die Person tot ist?

Innerhalb dieser Mischna wird beschrieben, wie die Untersuchung stattfinden soll:

,,Wie weit kann man mit der Rettungsarbeit gehen? Bis man seine Nase freigelegt hat. Manche sagen, bis man sein Herz aufgedeckt hat.”

Hier sieht man also zwei unterschiedliche Meinungen. Rav Papa stellt nach dieser Beschreibung fest, dass ,,diese Meinungsverschiedenheit” (Atmung versus Herzschlag) sich nur auf den Fall bezieht, bei der die Retter das Opfer von den Füßen her beginnend ausgraben. Wenn der Verschüttete jedoch vom Kopfe her beginnend ausgegraben wird, dann wird nach dem, was an der Nase gefunden wird entschieden, wie es auch geschrieben steht (1. Mose 7, 22): “Alles, in dessen Nase der Hauch des Lebensodems war” (B. T. Joma 85a).

 

Die Gesetzbücher von Maimonides, Tur und Schulchan Aruch übernehmen die Meinung, dass der Atem das entscheidende Kriterium für die Todesfeststellung ist.

Es scheint also auf den ersten Blick so, als wäre aus halachischer Sicht der Atem für die Feststellung des Todes entscheidend.

Nur Rabbenu Bachja ben Ascher (11. Jahrhundert) entscheidet sich, in seinem Kommentar zur Tora, für das Kriterium des Herzstillstandes.

 

Wenn wir uns andere Traditionen ansehen, so wird schnell klar, dass Atem nicht das einzige Kriterium für die Feststellung des Todes sein kann.

 

Andere Regelungen bezüglich des Todes eines Menschen

Maimonides erklärt in einem seiner Werke, dass ,,derjenige, der die Augen eines sterbenden Menschen schließt, Blut vergoss. Man muss eine Weile warten, denn der Sterbende ist vielleicht einfach weggesackt” (Mischne Tora, hilchot awelut 4: 5).

Es ist klar, dass Maimonides hier über einen sterbenden Menschen schreibt, bei welchem keine Atmung festgestellt werden kann, da man nach einer Wartezeit den Sterbenden als verstorben erklären kann. Dies ist nur bei fehlender Atmung möglich.

Warum können wir die sterbende Person nicht als verstorben betrachten, sobald die Atmung aufhört?

Es stellt sich die Frage, warum wir nach einigen Meinungen noch eine Viertelstunde warten müssen, bevor der Mensch als tot erklärt wird.

Eine Person kann nicht als tot bezeichnet werden, wenn sie aufgehört hat zu Atmen, da andere Körperfunktionen wie die Gehirnaktivität noch einige Zeit nach dem Atemstillstand vorhanden sein können.

 

Es ist z.B. aus der medizinischen Wissenschaft der Fall eines Mannes bekannt, welcher einen schweren Herzinfarkt erlitten hat. Infolgedessen setzten sowohl seine Atmung als auch sein Herzschlag für fünf Minuten aus. Es ist den Ärzten nach einiger Zeit gelungen diesen Mann wiederzubeleben. Da Ärzte jedoch keine Toten wiederbeleben können, ist klar, dass der Mann – auch nach Herz- und Atemstillstand – nicht vollständig gestorben ist. Das Aufhören der Spontanatmung ist daher kein ausreichendes Todeskriterium

Nicht zentral gesendet

Zudem erklärt Maimonides in einem Kommentar zur Mischna (Oholot 1: 6), dass Krämpfe nach dem Tod eines Organismus möglich sind. Diese autonomen Reaktionen sind kein Hinweis auf noch vorhandenes Leben, weil sie nicht von einem zentralen Lenkungsorgan ausgehen. Krämpfe und andere Reaktionen, wie sie bei ,,Hühnern ohne Kopf” beobachtet werden, haben ihren Ursprung in einem Lebensrest, der in einem bestimmten Organ verblieben ist. Sie werden nicht zentral gesendet, sodass vom Leben im halachischen Sinn keine Rede mehr sein kann.

 

Kontrollierendes Zentrum

Aus dieser Tradition kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass solange es ein kontrollierendes Zentrum gibt der Körper noch nicht tot ist, selbst wenn der Herzschlag und die Atmung aufgehört haben.

Die beiden Erklärungen von Maimonides scheinen mit seiner Entscheidung, dass die Rettungskräfte das Einsturzopfer bei nichtwahrnehmbarer Atmung bis nach Ende des Schabbats liegen lassen sollen, nicht übereinzustimmen.

 

Den genauen Zeitpunkt des Todes kann man nicht bestimmen

Eine zweite Entscheidung, die dem Atemkriterium als ausschlaggebendes Kriterium widerspricht, ist ein Psak (halachische Aussprache) von Rabbi Mosche Isserles zu einem Kommentar von R. Josef Karo. Er schreibt in Schulchan Aruch (Orach Chaim 330: 5):,,Wenn eine Frau stirbt, während sie gebärt, kann man den Schabbat brechen und ein Messer bringen, den Leib aufschneiden und den Fötus entfernen, so wie das Kind noch lebt.”

Rema fügt hinzu, dass dies heute auch an einem Wochentag nicht mehr erlaubt ist, da man den genauen Zeitpunkt des Todes der Mutter nicht bestimmen kann.

 

Der Grund ist, dass das Aussetzten des Herzschlages und der Atmung nicht automatisch den Tod bedeutet. Daher kann der Zeitpunkt des Todes der Mutter nicht genau bestimmt werden, sodass man einige Zeit (etwa 30 Minuten) nach der Abwesenheit äußerer Lebenszeichen warten muss, bevor die Mutter halachisch gesehen als tot bezeichnet werden kann. Zu diesem Zeitpunkt ist es jedoch schon zu spät, um das Leben des Kindes zu retten.

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Talmudinterpretationen

Diese Widersprüche haben ihren Ursprung in verschiedenen Interpretationen des Talmuds in B.T. Joma 85a., wo Rettungsarbeiten am Schabbat diskutiert werden.

Die talmudische Abhandlung ist auf verschiedene Weisen interpretierbar.

Absolute Kriterien

Auf der einen Seite könnte man davon ausgehen, dass die Frage vorliegt, welches Kriterium halachisch gesehen als absolutes Todeskriterium angesehen werden kann:

·       Laut Maimonides wäre es dann so, dass der Atemstillstand per se den Tod der Person bedeutet und ein Herzstillstand alleine nicht ausreicht, um den Tod mit absoluter Sicherheit festzustellen.

·       Laut Rabbenu Bachja ben Ascher bedeutet ein Herzstillstand per se den Tod der Person.

Der Atemstillstand ist nur ein Symptom des Todes

Der Vers aus Genesis 7:22 zeigt dann laut Rabbenu Bachja, dass der Atemstillstand nur ein Symptom des Todes ist, aber nicht zwingend dem Tod gleicht. Da das Atmen und der Herzschlag fast immer zusammenhängen und meist auch ungefähr zusammen aufhören, ist der Atemstillstand ein Anzeichen für einen Herzstillstand.

Wahrscheinlich interpretierte Rabbenu Bachja auf diese Weise den Talmudtext (wo Rettungsarbeiten am Schabbat diskutiert werden- Traktat Joma 8:7) und entschied sich nach der zweiten Auffassung.

 

Die anderen Autoritäten, die der ersten Meinung von B.T. Joma 85a folgen, sagen, dass der Atemstillstand nicht nur ein Symptom des Todes ist, jedoch ein absolutes und ausschließliches Todeskriterium.

Wahrscheinlichkeitskriterium

Eine andere Interpretation der talmudischen Diskussion ist ebenfalls möglich. Nach dieser Auffassung gibt es keine Meinungsverschiedenheiten über absolute Todeskriterien, sondern eine Diskussion um Wahrscheinlichkeitskriterien.

 

Wenn jemand am Schabbat unter Trümmern begraben wurde und nicht mehr atmet, kann man davon ausgehen, dass andere grundlegende Lebensfunktionen nicht mehr funktionieren. Dies ist die Meinung der ersten Partei, die Atemstillstand für entscheidend hält.

 

Die zweite Meinung würde dann aussagen, dass diese Schlussfolgerung bereits auf der Grundlage des Herzstillstands gezogen werden kann. Dieser zweiten Interpretation würde wahrscheinlich Raschi folgen, wenn er die oben erwähnte Talmud-Passage erklärt: “Wenn das Opfer tot erscheint und seine Glieder bewegungslos “wie ein Stein” liegen, wie weit kann man (am Schabbat) räumen, um zu bestätigen, dass er tatsächlich verstorben ist? Zu seiner Nase. Wenn in seiner Nase kein Lebenszeichen ist, weil es keinen Atem gibt, so ist er sicher tot und muss dort bleiben (bis nach dem Schabbat). “

 

Im Rest des Körpers kein Lebenszeichen mehr

Nach der ersten Meinung im Talmud wäre Atemstillstand an sich nicht entscheidend. Erst nachdem festgestellt wurde, dass der Rest des Körpers auch kein Lebenszeichen mehr gibt, ist das Atmen entscheidend. Erkennt man jedoch irgendwo im Körper des Opfers noch ein Lebenszeichen, ist er selbst bei Atemstillstand noch nicht verstorben. Mutatis mutandis gilt das gleiche für den Talmud-Sprecher, der auf den Herzschlag achten würde.

 

Prozesskriterium

Eine dritte Interpretation des Talmuds sieht nicht das Sterben als ein einmaliges Ereignis an, sondern als einen Prozess, welcher in verschiedene Phasen unterteilt werden kann.

 

Der Prozess des Sterbens ist erst dann beendet, wenn alle Körperfunktionen, die von einem zentralen Punkt aus gesteuert werden, aufgehört haben.

 

Atemstillstand nur ein Aspekt

Der Atemstillstand ist dann nur ein Aspekt in diesem Prozess. Sobald die Atmung aufgehört hat, sind die Menschen nicht mehr lebensfähig. Erst nachdem der Herzschlag aufgehört hat und in den Gehirnarealen und in dem Rest des Körpers keine Aktivität mehr festgestellt werden kann, ist der Mensch tot.

 

Zustand der Dämmerung

In der Zeit zwischen dem Atemstillstand und dem letztlichen Fehlen jeglicher Köperfunktionen, befindet sich der Patient in einer Art Zustand der Dämmerung. Er ist noch nicht tot, aber auch nicht mehr tatsächlich am Leben.

 

Dennoch ist er aus halachischer Sicht immer noch “lebendig”, um die Person zu stigmatisieren, die den Todesvorgang in dieser Dämmerungsphase durch „Blutvergießen“ beschleunigt.

Alle grundlegenden Lebensfunktionen

Zusätzlich zu dieser dritten Sichtweise ist nur jemand wirklich gestorben, wenn alle grundlegenden Lebensfunktionen eingestellt wurden. Der Begriff “grundlegende Lebensfunktion” bezieht sich dann auf jede Körperaktivität, die von einem zentralen Punkt aus gerichtet ist, der die Gehirnaktivität selbst einschließt. Nur wenn keine Gehirnaktivität mehr beobachtet werden kann, ist dies halachischer Tod. Einige nicht zentralisierte Reflexbewegungen können das nicht ändern.

 

Abwesenheit des Atems bedeutet den Beginn des Todesprozesses

Diese Sichtweise scheint durch Vers 1. Mose 7:22 widerlegt zu werden: “Alles, in dessen Nase der Hauch des Lebensodems war.” Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Es ist möglich, dass dieser Vers lediglich anzeigt, dass das Atmen das wichtigste Lebenszeichen ist und dass seine Abwesenheit den Beginn des Todesprozesses bedeutet.

 

Möglichkeit wiederzubeleben

Wie lässt sich das mit dem Verbot vereinbaren ein Opfer des Zusammenbruchs zu retten, das nach dem dritten Konzept nicht mehr wirklich lebendig aber auch nicht tot ist? Ist es nicht zwingend notwendig, Leben unter allen denkbaren Umständen zu erhalten?

 

Keine Reanimationstechniken

Es muss geschlussfolgert werden, dass der Talmud von einem Fall spricht, in dem der Tod bereits begonnen hat (wegen der Beendigung der Atmung) und es keine Möglichkeit mehr gibt, das Opfer zu erwecken.

Wenn es jedoch eine Möglichkeit gibt, ihn wiederzubeleben, ist man sogar verpflichtet den Schabbat zu entweihen.

Die Diskussion im Talmud diskutiert dann nicht die Reanimationsmöglichkeit.

 

Die Gelehrten abstrahieren von dieser Möglichkeit, wahrscheinlich weil zur Zeit des Talmud noch nicht wirklich Reanimationstechniken bekannt waren.

 

Widersprüche aufgelöst

Mit dieser dritten Ansicht können die Widersprüche bei Maimonides und Rema erklärt werden.

Ich habe früher angedeutet, dass Maimonides höchstwahrscheinlich der Meinung ist, dass ein Atemstillstand per se nicht den Tod bedeutet. Dies trat in seiner Aussage zur Mischna in Oholot 1:6 in den Vordergrund. Dennoch kann er behaupten, dass ein Opfer, das unter Trümmern begraben ist und nicht atmet, am Schabbat liegen bleiben sollte.

Wiederbelebung nicht mehr möglich

Der Talmud in Joma spricht ausschließlich von dem Fall, dass eine Wiederbelebung nicht mehr möglich ist, wie es in talmudischen Zeiten allgemein der Fall war.

 

Sterben ist ein ziemlich langwieriger Prozess.

Deshalb sollte man einen sterbenden Menschen nicht anrühren oder anderweitig bewegen, auch wenn er keine äußeren Lebenszeichen mehr gibt: Es kann sein, dass es noch eine Gehirnaktivität gibt, sodass er wiederbelebt werden könnte. Er ist noch nicht verstorben.

 

Rema geht auch wahrscheinlich auf die dritte Interpretation der oben erwähnten Talmud-Passage ein. Die Tatsache, dass ein Fötus nicht durch einen Kaiserschnitt gerettet werden kann, liegt daran, dass die Mutter noch nicht vollständig gestorben ist, da Atem- und Herzstillstand nicht unmittelbar den Tod bedeuten.

 

Unvollendeter Hirntod

Rabbenu Bachja folgt der zweiten Meinung im Talmud, welche besagt, dass der Herzstillstand das entscheidende Todeskriterium ist. In seinem Kommentar zum Vers (5. Mose 6: 5): ‚,Du wirst den Ewigen lieben, deinen G’tt, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allem, wofür du verantwortlich bist”, erklärt er, dass das Herz der Sitz der Seele ist. ,,Weil das Herz das erste Organ ist, das im Menschen erschaffen wurde, und als letztes, von allen Organen stirbt, besagt die Tora, dass wir G-tt mit ganzem Herzen lieben müssen, was bedeutet: bis zum letzten Moment.”

Hirntod alleine bedeutet nicht Tod

Selbst wenn das Gehirn auf dem Enzephalogramm erkennbar tot ist – wenn das Herz oder die Lunge noch funktionieren ist der Patient nach halachischen Kriterien noch nicht gestorben. Dies entspricht allen Interpretationen der talmudischen Stelle in Joma 85a.

Somit bedeutet der Hirntod alleine im halachischen Sinne nicht den Tod eines Patienten:

 

·       Wenn jedoch das einzige Lebenszeichen die Gehirnaktivität ist, ist der Patient gemäß der ersten Interpretation gestorben.

·       Nach der zweiten Ansicht (Raschi) lebt er in einer solchen Situation noch.

·       Nach der dritten Ansicht (Maimonides und Rema) befindet er sich in diesem Zustand in einem Sterbeprozess, ist aber noch nicht tot.

 

Rabbi Feinstein

All diese Meinungen finden sich in den Ansichten späterer Poskim (Entscheidungsträger). Rav Mosche Feinstein diskutiert die Todeskriterien in seinen Responsa Igrot Mosche (Joré Dé’a II Nr. 146). Er beginnt mit der Frage, ob Phänomene, welche für das bloße Auge nicht beobachtbar sind, für die Halacha relevant seien und kommt zu dem Entschluss, dass sie halachisch gesehen irrelevant seien.

 

Insekten und Schädlinge

Zum Beispiel verbietet die Tora den Verzehr jeglicher Insekten und Schädlinge. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieses Verbot auch für die verschiedensten Mikroorganismen in der Luft oder in Lebensmitteln gilt, obwohl diese Lebensformen heutzutage mikroskopisch beobachtbar sind.

 

Tefillin und Schlachtmesser

Ebenso müssen die Kästchen der Tefillin (Gebetsriemen), die laut Halacha quadratisch sein müssen, nicht mikroskopischen Maßstäben entsprechen.

Ein Schlachtmesser, das keine Scharten oder Defekte haben darf, muss nicht mit einem Mikroskop untersucht werden.

 

Elektrokardiologische Aktivität zeigt noch Leben

Dies impliziert jedoch nicht, dass beobachtbare Phänomene, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind, für Fragen nach Leben und Tod irrelevant sind. Wenn Ärzte über ein Elektrokardiogramm Lebenszeichen im Herzen eines Patienten feststellen können, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Patient tot sei, nur weil seine Atmung ausgesetzt hat.

Im Gegenteil: selbst wenn die elektrokardiologische Aktivität des Herzens das einzige Lebenszeichen ist, bleibt man verpflichtet, alles zu tun, um ihn -selbst am Schabbat- wiederzubeleben. (Es wird davon ausgegangen, dass der Patient nicht aufgrund dessen lebt, dass die elektrokardiologische Aktivität mit der Bewegung (der Gliedmaßen) gleichgesetzt wird, sondern dass jemand ohne die Anwesenheit von Atmung oder Herzschlag noch am Leben sein kann).

Leben ohne üblichen Lebenssymptome

Im Traktat Semachot (8: 1) wird von einem Mann berichtet, der am dritten Tag nach seiner Beerdigung in einer Gruft nach einer Todeserklärung aufgefunden wurde.

Er lebte weitere 25 Jahre und hatte nach seiner ,,Beerdigung” mehrere Kinder. Laut Rav Feinstein bedeutet dies, dass Leben auch ohne die üblichen Lebenssymptome noch vorhanden sein kann. Normalerweise muss man diese Möglichkeit jedoch nicht berücksichtigen, da die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Fall auftritt, sehr gering ist.

Wenn jedoch im Körper noch so wenig Aktivität vorhanden ist, wie gering auch immer, so lebt der Patient ,,immer noch”, obwohl diese Lebenszeichen nur mit ausgeklügelten medizinischen Geräten beobachtet werden können. Wenn die Körperaktivität auf einem Elektrokardiogramm oder einem Enzephalogramm sichtbar ist, wird der Patient nach der Halacha immer noch als lebendig angesehen.

 

Das Atemkriterium aus dem Talmud bedeutet nicht, dass die Nase eines der lebenswichtigen Organe ist. Die lebenswichtigen Organe sind das Herz und das Gehirn. Das Kriterium des Lebens, die ,,Nasenatmung“, wird nur deshalb im Talmud aufgeführt, weil diese deutlich wahrnehmbar ist. Durch Herz und Gehirn lassen sich von außen viel schwieriger Lebenszeichen wahrnehmen.

Auf der Oberfläche des Körpers wahrnehmbar

Der Vers ,,Alles, in dessen Nase der Hauch des Lebensodems war” zeigt nur an, wo man auf einfache Weise ,,Leben” auf der Oberfläche des Körpers wahrnehmen kann, auch wenn andere Glieder oder Organe, wie das Herz, keine Lebenszeichen mehr aufweisen. Nun ist es auch plausibel, dass dies nicht in Konflikt mit den Ansichten des Sohar und Maimonides (in Moré Newuchim) steht, die behaupten, dass das Herz allen Gliedern “Leben” und “Stärke” gibt.

 

Da der Herzschlag insbesondere ohne ein Stethoskop auf der Körperoberfläche oft schwer wahrzunehmen ist, findet sich das Atemkriterium im Falle eines unter Trümmern begrabenen Opfers im Talmud.

Rav Feinstein entscheidet aus praktischen Gründen, dass ein Sterbender noch am Leben ist, solange er ein klinisches Lebenszeichen gibt, auch wenn die Atmung aufgehört hat. Auch wenn bei der überwiegenden Mehrheit der Todesfälle wissenschaftlich bewiesen ist, dass Atem- und Herzstillstand den Tod bedeuten, ist es nicht zulässig sich allein von diesen Symptomen leiten zu lassen.

 

Nicht auf die Mehrheit verlassen

Bei Lebensrettung (Pikuach Nefesch) gilt die Maxime, dass wir uns nicht auf die Mehrheit verlassen. Diese Ansicht findet sich auch in der Antwort vom Maharascham (6: 124). Auch aus der Antwort von Rabbi Mosche Sofer (Joré Dé’a 338) wird klar, dass die Abwesenheit von Atmung nicht den Tod allein bedeutet.

 

Drei Bedingungen

Er sagt dort, dass ein sterbender Patient gestorben ist, wenn drei Bedingungen erfüllt sind, wenn:

·       der Körper keine Lebenszeichen mehr zeigt und ein ,,toter Stein‘‘ ist,

·       kein Puls mehr beobachtet werden kann,

·       die Atmung aufgehört hat.

 

Gesamtbild

Aus dem Vorhergehenden könnte man aus halachischer Sicht für die medizinische Praxis schließen, dass der Hirntod nur ein unzureichendes Todeskriterium ist. Auch Atem- und Herzstillstand sind angesichts des aktuellen medizinischen Kenntnisstandes nicht ausreichend.

 

Nur wenn das Gesamtbild eines Patienten den Tod anzeigt, es ein isoelektrisches EKG und EEG gibt, Herzfrequenz und Atmung aufgehört haben und die Reanimationswahrscheinlichkeiten gleich Null sind, kann man den Tod eindeutig feststellen. Der Atemstillstand muss mindestens 30 Minuten gedauert haben, um eine Reanimation auszuschließen.

 

Für Unfälle oder Vergiftungen strengere Kriterien

Bisher wurde sich auf natürliche Todesumstände bezogen.

Rav M. Feinstein fügt hinzu, dass für Opfer von Unfällen oder Vergiftungen strengere Kriterien gelten. Wenn mittels Radioisotopentechniken überprüft werden könnte, ob im Gehirn ein Kreislaufsystem vorhanden ist, sollte dies mit Sicherheit versucht werden.

Selbstständige Atmung

Wenn ein klinisch toter Patient an ein Beatmungsgerät angeschlossen ist und dadurch künstlich am Leben erhalten wird, ist es verboten das Gerät einfach auszuschalten, soweit es funktioniert. Wenn das Gerät zum Beispiel für einen Moment zum Nachfüllen angehalten werden muss, ist es nicht erlaubt, den Patienten sterben zu lassen. Nachdem der Patient vom Beatmungsgerät getrennt wurde, muss er für einige Zeit genau beobachtet werden.

Wenn er eine selbstständige Atmung zeigt – egal wie schwach – dann muss er direkt wieder mit dem Beatmungsgerät verbunden werden. Wenn dies nicht der Fall ist, ist der Patient gestorben.

 

Künstliche Lebenserhaltung

Die Schlüsselfrage beim Fund einer halachischen Position bei Herztransplantationen lautet, ob das Krankenhauspersonal Verstorbene künstlich am Leben halten darf, um zu verhindern, dass das Herz des Spenders stirbt bis der Empfänger bereit ist für die Transplantation.

 

Diese Frage wurde Dajan Weiss (Jerusalem) von dem emeritierten Oberrabbiner I. Jakobovits aus England gestellt. Dajan Weiss antwortete, dies seie laut Halacha nicht erlaubt. Aus dem Vorstehenden ergibt sich weshalb.

 

Sobald es jedoch möglich ist den Tod des Spenders festzustellen ohne ihn künstlich am Leben zu erhalten, gibt es keine Einwände gegen eine Herztransplantation. Eine eingehende Diskussion über dieses Thema hat zwischen den rabbinischen Behörden in Israel begonnen.

Angesichts der enormen Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten im medizinischen Bereich erzielt wurden, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Herztransplantationstechniken in wenigen Jahren so perfektioniert werden können, dass Herztransplantationen für die Halacha völlig akzeptabel sein werden.

 

Dieser Text ist nur als theoretische Orientierung in der halachischen Literatur gedacht. Bei den verschiedenen Fragestellungen werden nicht immer alle Meinungen erwähnt. Ein Laie kann daher keine (praktischen) rabbinischen Entscheidungen über und durch die Autorität dieses Autors treffen. In jedem Fall muss eine maßgebliche rabbinische Autorität von allen beteiligten Parteien befragt werden.

 

Literaturverzeichnis

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Tendler, M.D., Medical Ethics, Federation of Jewish Philantropies of New York, Inc., New York, 1975, p. 51 ff.

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