Das Hohelied I

SCHIR HASCHIRIM, DAS HOHELIED AN SCHABBAT CHOL HAMO’EJD, IN DEN ZWISCHENTAGEN VON PESSACH

An Schabbat Chol Hamo’ejd, dem Schabbat in den Zwischentagen von Pessach, wird das Hohelied in der Schul, in der Synagoge, gelesen. In vielen Synagogen wird Schir Haschirim vor Hotsa’a Wehachnassa, dem Ausheben der Sifrej Tora, der Tora-Rollen aus dem Aron Hakodesch, der Heiligen Lade, gelesen.

In anderen Gemeinden liest man das Hohelied vor Mincha, dem Mittagsgebet und in einigen Gemeinden liest man es nach Mincha.

Wenn kein Schabbat in die Zwischentage von Pessach fällt, liest man Schir Haschirim am siebten oder achten Tag Pessach, wenn dieser ein Schabbat ist.

Ein Liebeslied

Was ist dieses Hohelied? Das Hohelied ist ein Liebeslied zwischen HaSchem, G“tt und Am Jisra’ejl, dem Jüdischen Volk. Es hat eindeutig mit Pessach zu tun, als G“tt das Jüdische Volk für eine innige Verbindung erkor. Das erhielt beim Auszug aus Ägypten Gestalt. Aber weshalb wird das Hohelied gerade an Shabbat gelesen?

Das Hohelied ist ein Liebeslied, das leicht verkehrt aufgefasst werden kann. Passt es wohl in den Tenach, der Bibel, mit ihrer sprichwörtlichen Verantwortung für die sinnbildliche Liebe zwischen Kenesset Jisra’ejl, dem Jüdischen Volk und G“tt? Die ungestüme Leidenschaft springt uns entgegen: „ Das Lied der Lieder von Schlomo. Lass IHN mich mit SEINEM Mund ausgiebig küssen, denn DEINE Liebe ist besser als Wein“ (1:2).

Es scheint nicht sehr zwischen den viel zurückhaltenderen Texte der anderen Bücher des Tenach zu passen. Als der Tenach zusammen gestellt wurde, gab es in der Tat viele Diskussionen über dieses Werk. Rabbi Akiva erklärt jedoch im Talmud unumwunden, dass „alle Lieder im Tenach heilig und geweiht seien. Aber Schir Haschirim sei das Allerheiligste“.

Spirituelle Deutung

Das Hohelied war nie buchstäblich gedacht. Der Allmächtige hat keinen Körper. Wenn wir es buchstäblich, als wortwörtlich verstehen, verfehlen wir die Pointe und haben den Kern dieses Himmlischen Liedes nicht erfasst. Dieses Lied wurde jedoch in dieser irdischen Formulierung mit seinen physischen Bezeichnungen als Bestandteil der Heiligen Bücher, dem Tanach, akzeptiert. G“tt befasst Sich nicht mit Denjenigen, die spirituelle Empfindungen verkehrt erklären und auf physische Art aufnehmen. G“tt lässt die Sonne auch für Götzendiener scheinen, die die Sonne anbeten.

Die Scheidung in der Gola

König Salomo, der Autor des Schir Haschirim, sah prophetisch vorher, dass das Jüdische Volk eines Tages ins Exil (Gola) gehen würde und im allegorischen Sinn von ihrem Geliebten geschieden würde. Das Schir Haschirim beschreibt in konkreten Sätzen das Verlangen oder die Sehnsucht des Jüdischen Volkes nach einer erneuten Offenbarung und der Wiedervereinigung mit HaSchem. Im Galluth (Gollah, Goles, Exil) erinnert sich das Jüdische Volk an G“ttes Nähe in Israel, als die Beziehung zwischen Mensch und G“tt noch ungetrübt und tief spirituell war. Auch G“tt hat immer noch gute Erinnerungen an die „Flitterwochen“, als Am Jisra’ejl nach dem Exodus aus Ägypten, ohne irgendwelche Überlebenssicherheiten, seinem G“tt in die Wüste Sinai folgte und mit Fallen und Aufstehen nach und nach das Volk des Buches, nach der Offenbarung auf dem Berg Sinai, wurde.

Körper und Seele

Der Mensch besteht aus Körper und Geist und ist eine äußerst paradoxe Mischung aus „body and soul“. Die Psychosomatik, das Zusammenspiel von beiden – Körper und Seele, die so oft als gegensätzliche Schöpfungen betrachtet werden – wird innerhalb des Judentums als etwas Wunderliches wahr genommen, dass das Spezielle und Besondere unseres Mensch-Seins bekräftigt.

Einerseits hat der Mensch Zeichen dieser Welt in sich, wie diese auch in Pflanzen und Tieren wahr zu nehmen sind – des Menschen Körperlichkeit und seine grundlegenden Triebe – während er andererseits, mittels der höheren Formen seiner Seele, zu erhabeneren Welten gehört.

Deshalb bildet er die einzige mögliche Beziehung zwischen beide. Der duale Charakter des Menschen wird – um eine Aussage der Chachamim (der Talmudgelehrten) hinzu zu ziehen, wie folgt umschrieben und gefühlt:

Wir müssen unsere tierische Tendenz mit unserer göttlichen Seele verbinden. Dies ermöglicht es uns, auf einer viel höheren spirituellen Ebene zu wirken.