Das Judentum ist eine revolutionäre Religion:

Das Judentum ist eine revolutionäre Religion:

Rosch Haschana wird als Jom Ha’Din bezeichnet, den Tag des Urteil G“ttes über uns. Wenn jemand uns beurteilt, bedeutet das die Sorge um uns. Dem Allmächtigen liegt es in der Tat sehr am Herzen, wie wir uns verhalten. Letztendlich ist das Urteil ein überzeugendes Zeichen von Liebe und Sorgsamkeit. G“tt steht nicht abseits der Welt, sondern ist innig mit dem Wohlergehen und den Sorgen eines jeden Menschen verbunden.

Wir tunken einen Apfel in Honig als Symbol der Dualität unseres Lebens. Ein Stich einer Biene kann schmerzhaft sein, aber dieselbe Biene erzeugt auch den herrlichsten Honig. Unsere freie Wahl bestimmt die Realität unseres Lebens. Bei den meisten Früchten erscheinen zuerst Blätter, als schützende Hülle der entstehenden Früchte. Der Apfel jedoch erscheint vor den Blättern. Wir werden mit einem Apfel verglichen, da wir bereit sind, unsere Geborgenheit und unsere Sicherheit für das Judentum auf zu geben. Verantwortungsbewusstsein und Aufopferungsbereitschaft bilden die Ecksteine unseres zerbrechlichen Daseins.

Der Tag, an dem der Mensch erschaffen wurde

Das Judentum betrachtet alles anders, da es der Lifestyle und der Blickwinkel G“ttes ist. Die Thora ist ein revolutionäres Werk, da alles aus der Perspektive G“ttes betrachtet wird. Alles ist anders, als es zu sein scheint. Jeder glaubt, dass die Welt an Rosch Haschana erschaffen wurde. Aber das stimmt nicht. Die Welt wurde am 25. Ellul erschaffen, fünf Tage früher.

Geburtstag des Zieles der Welt

Rosch Haschana ist der sechste Tag der Schöpfung, an dem der Mensch erschaffen wurde. Wir feiern die Schöpfung des gesamten Universums durch den Geburtstag des Zieles der Welt: den Menschen. Der Einzige, der einen freien Willen hat, ist der Mensch. Das gesamte Judentum dreht sich um den Menschen und seiner eigenen Wahl. Durch seinen freien Willen kann der Mensch aus der Welt eine Hölle machen, aber auch ein Paradies. Rosch Haschana stellt den Mensch in den Mittelpunkt.

Schofar vom Stamm Leschapejr, verbessern

Deshalb blasen wir den Schofar. Schofar ist ein selbständiges Nennwort vom Stamm Leschapejr, verbessern, verschönern. Lass uns mit unseren Beziehungen zu Jedem um uns herum anfangen. Allein schon nur mit unseren zwischenmenschlichen Absichten hat selbst ein Humanist alle Hände voll zu tun. Ein alter talmudischer Spruch besagt, dass „wer seinen Vater liebt, auch seine Kinder lieb hat“. Die moralische Grundlage für Nächstenliebe liegt in unserem gleich sein vor G“tt.

Wir sind einmalige Geschöpfe. Anders als Tiere haben wir die Möglichkeit, unser Leben zu ändern. Wir können uns selber erneut programmieren.

An unserem sechsten Tag der Schöpfung wurden wir beTselem Elokim, „im Ebenbild G“ttes“ geschaffen. Das ist unser freier Wille. Unser freier Wille macht uns für allem unserem Tun und Lassen persönlich verantwortlich. Den Geburtstag des Menschen an Rosch Haschana zu feiern, bedeutet unseren freien Willen aus zu üben.

Der Mensch ist im Stande, aus seiner eigenen Haut zu schlüpfen und sein Denken und sein Handeln wie ein objektiver Zuschauer zu beurteilen. Das ist die Größe des Menschen.

Niemand, noch nicht mal der fanatischste Atheist, wird annehmen, dass er ohne tägliches Wachstum auskommen kann. Stillstand ist Rückschritt. Rosch Haschana ist deshalb sowohl ein Festtag wie auch ein ernster Tag. Aufrichtige Ernsthaftigkeit passt zum Tag des Urteils. Andererseits wissen wir, dass wenn wir diese „Opportunity“ aufgreifen, wir ein positives Urteil erhalten.

Wachstum setzt Harmonie mit uns selber voraus. Wir versuchen, unsere spirituelle Schuldenlast von uns ab zu wälzen. Wenn wir sündigen, werden wir automatisch zu einer gespaltenen Persönlichkeit, da wir immer etwas zu verbergen haben.

Das Gefühl, etwas Unkorrektes begangen zu haben, zerstört unser Empfinden für innerliche Zusammenhänge und Harmonie, ob das nun in unsere Ehe ist oder in den Beziehungen zu unserem Mitmenschen.

Rosch Haschana ist die Krönung des Königs

G“tt schuf den Menschen als Partner bei der Vollendung Seiner Schöpfung. Was machen wir mit diesem großartigen Geschenk? Das höchste Bestreben des Menschen ist G“ttlich zu werden. Zum Allmächtigen hin zu wachsen und IHM als die höchste Macht in unserem Leben an zu erkennen, ist der Sinn von Rosch Haschana. Letztendlich bezwecken wir das mit der Souveränität G“ttes über die ganze Welt. G“tt gab uns etwas von Sich Selbst. G“tt gab uns Leben. G“tt gab uns das gesamte Universum. Wenn wir zur menschlichen Perfektion hin wachsen möchten, müssen wir G“tt zum König über uns, über das Universum krönen. Rosch Hashana ist die Königskrönung. Wir blasen nicht auf einer Trompete, da dieses nur äußerlicher Posaunenschall ist, aber keinen Inhalt hat. Der Schofar ist Leschapejr, die Verbesserung von uns selbst, der Welt um uns herum, Tikkun Olam.

Der Schofar erinnert uns an unserem Bedarf und Anweisung, unser Leben für unser höchstes Ideal zu geben. Der Schofar ist keine Trompete, da der Schofar sich auf die Opferung von Jitzchak bezieht, bei der deutlich wurde, wie viel Vater (Avraham) und Sohn (Jitzchak) für ihren glauben an G“tt zu geben bereit waren.

An Rosch Haschana fand die Bindung von Jitzchak statt. Letztendlich ersetzte ein Widder das Menschenopfer. Der Schofar ist ein Widderhorn. Aber was haben WIR für das Judentum übrig? Wie stark ist unser Glaube? Was erübrigen wir für den Chinuch (die Erziehung) unserer Kinder? Auf was sind wir für unser spirituelles Wachstum bereit, zu verzichten?

Deshalb feiern wir Rosch Haschana nicht mit der Verabschiedung des Alten Jahres und dem Empfang des Neuen Jahres. Nichts an Rosch Haschana erinnert uns an Berliner Ballen, an Feuerwerk, an Trinkgelagen und an Sonnenwende.

Einen Sonnen- oder Mondkalender?

Unser Jüdisches Neujahr basiert auf der Symbolik des Mondes und nicht auf der Symbolik der Sonne. Wir Juden werden mit dem Mond verglichen. Wie dunkel uns das Leben auch erscheinen möge, wir sollen uns immer wieder darüber bewusst werden, dass das Licht immer vorhanden ist und dass unser „Licht“ jeden Moment durch brechen kann. Anders als die Sonne, die immer voll anwesend ist, befindet sich der Mond in einem allmählichen Wachstumsvorgang, einer fortschreitenden steigenden Entwickelung. Kleine spirituelle Start-ups, einfache, leuchtende Anfänge, können selbst die dunkelste geistige Finsternis überwinden. Das ist Rosch Haschana: dauerhafte Hoffnung und Wachstum.

Die Losungen über die zwei Böcke: unser Los oder Schicksal

Während Jom Kippur im Tempel stand die Losung über die zwei Böcke im Mittelpunkt. Wir lesen diesen Vorgang an diesem heiligen Tag in der Synagoge vor. Der Bock, auf dem das Los „für HaShem (G“tt)“ fiel, wurde als Sühneopfer gebracht und der Bock, auf dem das Los „für Asasel“ fiel, musste in die unwegsamste Wüste gejagt werden (vergl. Leviticus 16:5 usw).

Ein symbolisches Gebet

Dieser Vorgang ist ein „Chok“ – eine nicht verständliche Vorschrift. Viele Erklärer versuchten im Laufe der Jahrhunderte jedoch, eine rationale Erklärung zu finden. Rabbi Jitzchak Abarbanel (15. Jahrhundert) sieht hier ein symbolisches Gebet in der Form eines Opferdienstes. Die beiden Böcke, die vollkommen identisch sein müssen, stehen für Ja’akov und Esav, die als Zwillinge geboren wurden und das gleiche Schicksal haben sollten. Es sollte jedoch nicht so sein. Ja’akov wurde der Erzvater des monotheistischen Judentums, Esav der Erzvater des heidnischen Römischen Reiches. Heutzutage, da wir keinen Tempel mehr haben, dawwenen (beten) wir dafür, dass wir nicht schlechten Einflüssen unterzogen würden.

Spiritualismus – das Judentum und der Materialismus sind in einem ewigen Kampf verwickelt. Wählen wir für uns ein inhaltleeres Leben wie die raue Wüste oder wählen wir uns ein Leben mit geistigem Inhalt?

Sündenbekennung und Sündenbock

Der Hohepriester sprach über den weg zu jagenden Bock ein Sündenbekenntnis aus (ibid.21), um damit an zu zeigen, dass alle Verfehlungen des Jüdischen Volkes den assimilatorischen Einflüssen, aus fremden Völkern ausgehend, anzukreiden seien.

Die Verjagung des Bockes bestätigte das Verlangen, dass wir von fremden Einflüssen weiterhin verschont bleiben sollten, so dass wir uns vollständig der Entfaltung unserer wahren Identität und Berufung würden widmen können.

Der Bock wird in die Wüste geschickt, die die „Galut“ symbolisiert, womit wir dann klar stellen möchten, dass „die bedrückenden Umstände der Diaspora die Ursachen für unseren geschädigten Zustand“ sind.

Das Gute und das Schlechte im Gleichgewicht

Maimonides (1135-1204) war mit dieser „Sündenübertragungstheorie“ schon Jahrhunderte davor nicht einverstanden. Rabbiner Hirsch (1808-1888) sieht in diesen beiden Böcken die freie Wahl eines jeden Menschen. Das Los steht dann für die Wahl zwischen Gut und Böse, einem geistigen oder materialistischen Leben. Diese zwei Optionen, zwischen denen viele Menschen nur schwer wählen können, scheinen gleich zu sein, führen aber auf längere Sicht zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen.

G“tt hält beide Kräfte im Gleichgewicht, um dem Menschen eine reelle Wahl zu bieten. Jom Kippur bietet uns genügend Zeit, um diesen Zwiespalt zu überdenken!

KETIWA WE CHATIMA TOWA!