Derjenige, der die Sünder trägt – Parascha Ki Tisa

Derjenige, der die Sünder trägt – Parascha Ki Tisa

Nach der schrecklichen Sünde von Chet HaEgel (dem goldenen Kalb) bittet Mosche Rabbeinu HaSchem sehr stark, dem jüdischen Volk zu vergeben. Nachdem HaSchem seine Vergebung gewährt hat, informiert Er Mosche über seine 13 Middot von Rachamim (die 13 Merkmale der Barmherzigkeit). Er sagt Mosche, wann immer das jüdische Volk Barmherzigkeit braucht, sollte es dieses Gebet ausrufen.

Einer dieser Middot ist, dass HaSchem “noseh avon v’pesha v’chataas” ist;

Dies wird normalerweise so übersetzt, dass HaSchem Ungerechtigkeit, vorsätzliche Sünde und Irrtum vergibt. Die wörtliche Übersetzung des Wortes “noseh” bedeutet jedoch nicht “vergibt”, sondern “trägt”.

Was bedeutet es, dass HaSchem Sünde “trägt”?

Rav Noach Weinberg zt”l erklärte mit einer Analogie, wie eine Bank mit einem Mensch umgehen kann, der eine Hypothek hat (siehe 1. unten).

Er zahlt seine Hypothek regelmäßig und pünktlich, aber irgendwann kann er schwere Zeiten erleben und Schwierigkeiten haben, für ein Paar Monate zu bezahlen.

Die Bank könnte auf zwei mögliche Arten reagieren: Sie könnte hart auf ihn fallen und verlangen, dass er sofort zahlt. Alternativ könnte sie tolerant und geduldig handeln und erkennen, dass der Kreditnehmer im Allgemeinen eine zuverlässige Person ist, die vorübergehende Schwierigkeiten hat und wird bald in der Lage sein, die Zahlung der Hypothek wieder aufzunehmen. Dementsprechend wird die Bank den Kreditnehmer “tragen” und ihn geduldig unterstützen, bis er sich erholen kann.

Rav Weinberg erklärte in diesem Sinne, dass HaSchem nicht sofort denjenigen bestraft, der sündigt, sondern Er “trägt” ihn, damit er unberührt bleiben kann und ihm die Möglichkeit gibt, Teschuva (siehe 2. unten) zu machen.

Einer der grundlegendsten Aspekte des Avodat HaSchem eines Menschen ist es, HaSchems Middot nachzuahmen, denn wenn wir sozusagen „wie“ G-tt sind, kommen wir Ihm näher. Wie kann man G-ttes Eigenschaft “Sünder zu tragen” nachahmen?

Es gibt viele Gelegenheiten im Leben eines Menschen, in denen er andere Menschen begegnet, die plötzlich eine signifikante Verschlechterung (Yerida) ihres Verhaltens erfahren.

Dies kann sich manifestieren, wenn sich ein Kind oder ein Schüler auf unerwünschte Weise zuverhalten anfängt. Die natürliche Neigung der Eltern oder Lehrer kann darin bestehen, sie streng zu behandeln, in der Hoffnung, dass eine solche Behandlung sie dazu zwingt, sich selbst zu verbessern.

Die Erfahrung zeigt, dass dieser Ansatz oft nicht hilfreich ist und in vielen Fällen schädlich sein kann.

Die Wurzel des Fehlers bei diesem hartnäckigen Ansatz liegt darin, dass der Grund für die plötzliche Verschlechterung dieser Person nicht berücksichtigt wird.

Ein konstruktiverer Ansatz könnte darin bestehen, zu akzeptieren, dass es mildernde Umstände gibt, die die Verhaltensänderung verursacht haben, und ihn mit Geduld und Verständnis zu behandeln, bis die Ursache entdeckt wird.

Man kann dann diesen Faktor ansprechen und sich bemühen, seine schädliche Wirkung zu verringern.

Auf diese Weise kann man HaSchems Eigenschaft nachahmen, Sünder zu tragen, indem man eine sofortige Bestrafung vermeidet und eine Verbesserung ermöglicht.

Die folgende Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, diese Midda zu verwenden.

Ein Junge (Bachur) in Jeschiwa hatte plötzlich begonnen, Schabbat vor Augen seiner Mitschülern zu brechen. Sein Roschei Jeschiwa entschied, dass es keine andere Möglichkeit gab, als ihn aus der Jeschiwa auszuschließen. Sie reisten zu Rav Schach zt”l, um die Richtigkeit dieses Ansatzes zu erfragen.

Rav Schach fragte sie, wie die finanzielle Situation im Haushalt des Jungen sei und ob Schalom Bayit (eheliche Harmonie) in seinem Haushalt sei.

Die Roschei Jeschiwa waren überrascht durch diese Fragen und sagten: “Woher sollen wir wissen, was in seinem Haushalt passiert?”

Rav Schach stand plötzlich auf und schrie sie mit Tränen in den Augen an:

“Rodfim (siehe 3. unten)!” Verlasset mein Haus! Ich will nicht mit Ihnen sprechen, Ihr kennt die Situation in seinem Haushalt nicht, ihr denkt nicht über seine persönliche Situation nach, alles was Ihr wißt ist ihn auf die Straße zu werfen!”

Nach Ermittlungen wurde festgestellt, dass die Eltern dieses Bachurs eine Woche zuvor wegen schwerwiegenden finanziellen Schwierigkeiten sich scheiden liessen (siehe 4. unten)!

Dieser Vorfall lehrt uns die Wichtigkeit der Midda „Sünder zu tragen“. Wenn diese Midda nicht richtig benutzt wird, kann dies leicht dazu führen, dass ein Junge dauerhaft von der Tora vertrieben wird. In Wahrheit war alles, was nötig war, die Anstrengung, die Wurzel seines plötzlichen negativen Verhaltens zu verstehen.

Wenn ein Kind oder ein Schüler anfängt, konsequent destruktiv zu handeln, könnte der Elternteil oder Lehrer instinktiv auf harte Disziplin zurückgreifen. Die Eigenschaft des „Tragens“ lehrt uns jedoch, dass es konstruktiver sein kann, die Ursache dieser Verhaltensänderung zu erkennen.

In ähnlicher Weise kann ein Schüler einen Rückgang seines Verhaltens erleben, aber wie uns die Geschichte von Rav Schach lehrt, ist es für die beteiligten Pädagogen ratsam, den Grund für diesen Rückgang herauszufinden, bevor sie ihn bestrafen.

Es scheint, dass die Wichtigkeit der Verwendung dieser Midda sich nicht auf Lehrer und Eltern beschränkt ist. Im Laufe des Lebens eines Menschen trifft er unweigerlich auf Freunde oder Kollegen, die in ihrem Verhalten eine plötzliche Yerida erleben.

Durch die Nachahmung von HaSchems Eigenschaft, „Sünder zu tragen“, kann eine Person eine schädliche Reaktion auf ein solches Verhalten vermeiden und stattdessen der Person helfen, den Niedergang einzudämmen.

Mögen wir alle es verdienen, uns in schwierigen Zeiten gegenseitig zu helfen.

Quellen aus dem Text:

1) Heard in the name of Rav Yaakov Haber Schlita, Rav of Kehillas Schivtei Yeschurun, der dies vor über 35 Jahren von Rav Weinberg in einem Vaad über Tomer Devorah in Yeshivas Torah Ohr hörte.

2) Siehe Mesillat Jescharim, Ka.4, s.41-2.

3) Ein „Rodef“ ist eine Person, die jemand anderen jagt, um ihn zu töten.

4) Rav Yitzchak Lorenz Schlita, ‘Binat HaMidot’, s.10.