DIE DREIZEHN GLAUBENSSÄTZE DES MAIMONIDES – Teil V: G’tt kennt den Menschen, Strafe und Belohnung – Parascha Lech Lecha

DIE DREIZEHN GLAUBENSSÄTZE DES MAIMONIDES – Teil V: G’tt kennt den Menschen, ...
Parascha Lech Lecha

Awram legte den Grundstein für das Judentum in all seinen spezifischen Merkmalen. Awrams Vertrauen in G’tt war grenzenlos. G’tt hat den Menschen geschaffen und kennt daher alle seine Wünsche und Gedanken.

Maimonides’ zehnter Glaubenssatz lautet:

10. Ich glaube fest daran, dass der Schöpfer jede Tat der Menschen und alle ihre Gedanken kennt, wie es geschrieben steht: “Er, der alle Herzen formt, Der auf alle ihre Taten achtet”.

Der zehnte Glaubenssatz: G’tt kennt den Menschen

Der Existentialismus sieht den Menschen als ein unabhängiges und selbstständiges Wesen. Maimonides stellt diese “Unabhängigkeit” des Menschen in Frage. G’tt hat die Fähigkeit zu denken geschaffen und kennt auch alle unsere Gedanken. Der Mensch ist so, wie er von G’tt gesehen wird. Wir befinden uns tatsächlich in einem ständigen Dialog mit dem Allmächtigen. Wir führen kein isoliertes Leben.

Unsere persönlichen Ansichten sind nicht das “Maß der Dinge”. Unsere eigenen Vorstellungen bestimmen nicht die Grundlagen unserer Realität. Es gilt nicht “cogito ergo sum, ich denke, also bin ich”, sondern: “Ich wurde von G’tt erkannt, das bestimmt mein Sein. Meine Gedanken werden von Ihm gesehen, so bin ich”. Mein Ego ist also keine unabhängige Basis-Tatsache. Mein Ego steht in ständiger Verbindung mit höheren Welten und letztlich mit dem Allmächtigen.

Maimonides vertritt ein theologisches Menschenbild. Sein Geschaffen-sein begleitet den Menschen immer und überall. Es gibt eine intime Interaktion: G’tt ist intensiv am Handeln und Wandeln der Menschen beteiligt. Dass G’tt den Menschen vollkommen kennt, bedeutet auch, dass wir G’tt kennen können. Dies stellt jedoch keinen Determinismus dar. G’tt bestimmt nicht unsere wichtigsten moralischen Entscheidungen. Und G’tt ist gewiss nicht jenseits unseres Erfahrungsbereichs, auch wenn wir ihn nie wirklich kennen können.

Bestrafung und Belohnung 

Maimonides’ 11. Glaubenssatz lautet:

11. Ich glaube fest daran, dass der Schöpfer denen, die sich an Seine Gebote halten, Gutes gewährt und diejenigen bestraft, die sie übertreten.

Der 11. Glaubenssatz befasst sich mit dem Prinzip von Strafe und Belohnung. Im Jüdischen Denken wurde das Paradoxon zwischen dem guten Menschen, der Schlechtes tut, und dem schlechten Menschen, der Gutes tut, schon sehr früh erkannt. Ich muss zugeben, dass die Besonderheiten der irdischen Gesellschaft ohne die Perspektive eines endgültigen Urteils jenseits der Schwelle des Todes für einen kritischen Beobachter besonders ungerecht erscheint.

Belohnung und Bestrafung kommen in der Gegenwart nicht zur Geltung

Die moderne Geschichte zeigt nichts als Ungerechtigkeit. Die Aggressoren der Vergangenheit sind heute große wirtschaftliche Machtblöcke mit hohem Wohlstand. Belohnung und Bestrafung können in dieser Welt nicht gerecht sein. Es ist wichtig, hier zu betonen, dass Leiden nicht immer als Strafe empfunden wird. Manchmal sind es auch Liebesstrafen, durch die ein überwiegend guter Mensch für seine kleinen Verfehlungen im Diesseits geläutert wird, um völlig unbefleckt ins Jenseits zu gelangen. Auch eine Belohnung in dieser Welt hat ihre Grenzen.

Das Judentum kennt keine Romantik des Leidens

Es mag sein, dass überwiegend schlechte Menschen für das wenige Gute, das sie getan haben, nur in dieser Welt belohnt werden, weil G’tt ihnen die viel größeren, spirituellen Freuden in der zukünftigen Welt vorenthalten will. Im Denken der Tora bilden dieses Leben und das künftige Leben eine Einheit. Geduld und Überzeugung mildern die irdischen Realitäten. Das Judentum kennt keine Romantik des Leidens.

Bei direktem Himmlischem Handeln bliebe keine freie Wahl

Die Hintergründe der Himmlischen Entscheidungen, ob schwierig oder angenehm, bleiben für uns unergründlich. Aber natürlich bestraft oder belohnt G’tt normalerweise nicht direkt. Würden Strafe und Belohnung unmittelbar in dieser Welt vergeben, bliebe dem Menschen keine freie Wahl. Jeder würde nur das Richtige tun, um die Belohnung sofort zu kassieren, und niemand käme auf die Idee, G’ttes Gesetze zu brechen, um einer sofortigen Bestrafung zu entgehen. Bestrafung und Belohnung sind der zukünftigen Welt vorbehalten. Ein unerschütterlicher Glaube an G’ttes Weltlenkung und Seine Gerechtigkeit überbrückt die Kluft zwischen der Lüge der Gegenwart und der Wahrheit des Jenseits.

G’ttes Nähe

Im Judentum waren die Vorstellungen von Bestrafung und Belohnung nicht sehr ausgeprägt, so wie z. B. die bekannten Phantasien von Höllenstrafen oder Vorstellungen von einem übernatürlichen Harem mit allen möglichen Jungfrauen. Unserer Ansicht nach ist die Belohnung die Nähe zu G’tt, aber das löst das Problem in dieser Welt nicht. Ist Leiden der schnellste Weg zu G’tt oder ist es freudige Ekstase, die uns G’tt nahe bringt? Der Psalmist, König David, hebt letzteres hervor.