DIE MATZA IST DAS SYMBOL DES WIDERSPRUCHS IN DER JÜDISCHEN GESCHICHTE

DIE MATZA IST DAS SYMBOL DES WIDERSPRUCHS IN DER JÜDISCHEN GESCHICHTE

Pessach 5783

DAS BROT UNSERES GLAUBENS

KOSCHERES UND FREUDIGES PESSACH

Am Mittwochabend, dem 5. April, feiern wir in der Seder-Nacht die Befreiung aus Ägypten, die vor 3335 Jahren stattfand. Damit beginnen wir die acht Tage des Pessachfestes  (das manchmal auch als Ostern übersetzt wird aber Ostern ist etwas ganz anderes als Pessach). Wir sitzen als freie Menschen an den Tisch gelehnt, trinken vier Becher Wein als Ausdruck unserer Freude über unsere Freiheit und essen dann vier Matzes. Wir erzählen uns ausführlich, wie der Exodus ausgesehen haben könnte.

Sklavenbrot

Die Matze ist als Sklavenbrot bekannt. Es besteht einfach aus Mehl und Wasser. Es ist nicht schmackhaft und hat kaum einen Geschmack. Es war billig und lange haltbar. Deshalb gaben die ägyptischen Herren ihren Sklaven Matze zu essen. Die Matze wurde zu einem Symbol für Sklaverei und Unterdrückung. Aber wenn man genau in der Tora nachschaut, findet man diese Aussage nirgends. Dort heißt es nur (Ex. 12:15): “Sieben Tage lang müsst ihr ungesäuertes Brot essen. Gleich am ersten Tag müsst ihr den Sauerteig aus euren Häusern entfernen; denn jeder Mensch, der etwas Gesäuertes isst, muss vom ersten bis zum siebten Tag aus Israel ausgerottet werden.” Ungesäuerte Brote sind Brote, bei denen keine Hefe verwendet wurde. Es handelt sich um Matzes, die mangels Sauerteiges oder Hefe nicht aufgehen. Aus der mündlichen jüdischen Überlieferung geht jedoch eindeutig hervor, dass jüdische Sklaven in Ägypten Matzes aßen.

Freiheitsbrot

In der Tora steht, dass die Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten Matzes aßen. Dies wird in den Tora-Versen (Ex 12:34) deutlich: “Da hob das Volk seinen Teig auf, noch bevor er gesäuert war. Ihre Backtröge banden sie in ihren Kleidern auf die Schultern” und (Ex. 12:39) “Sie backten ungesäuerte Kuchen aus dem Teig, den sie aus Ägypten mitgebracht hatten; denn er war nicht gesäuert, weil sie aus Ägypten vertrieben worden waren und nicht warten konnten, noch hatten sie für sich selbst Vorräte vorbereitet”. Matzes sind also Brote der Befreiung: Brot der Freiheit.

Höhen und Tiefen in der jüdischen Geschichte

Dieses Fladenbrot hat also eine widersprüchliche Symbolik. Es ist gleichzeitig ein Symbol der Sklaverei und der Freiheit. Dies wird auch bei der Feier des Auszugs aus Ägypten am Sederabend, dem 5. April, deutlich. Wir nehmen eine Matze und brechen sie in zwei Teile. Das kleinere Stück wird zuerst als “Brot des Elends”, d. h. als Sklavenbrot, gegessen. Aber gegen Ende des Sederabends essen wir das größere Stück als Symbol unserer Befreiung.

Meine Lehrer haben mir das immer als ein Symbol der jüdischen Geschichte erklärt. Manchmal ging es uns gut und wir wurden von unseren Mitmenschen geduldet. Häufiger aber wurden wir verfolgt, gedemütigt und getötet. Das sind die Höhen und Tiefen, die das jüdische Volk im Laufe der Jahrhunderte erdulden musste, die uns aber letztlich nicht unseres Glaubens beraubt haben.

Das Brot unseres Glaubens

In der Kabbala (Mystik) wird die Matze deshalb als “Brot unseres Glaubens” bezeichnet: Was auch immer uns widerfahren ist, wir sind in unserem Judentum standhaft geblieben. Nach dem Holocaust religiös zu bleiben, war für viele eine Prüfung. Aber auch in Zeiten des Wohlstands und des Glücks ist es nicht immer leicht, religiös zu bleiben. Es besteht die Versuchung, sich völlig in seine geschäftlichen Belange zu vertiefen oder durch Luxus und Exzess dekadent zu werden. Die Assimilation schlägt zu, wenn es uns gut geht.

Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass beide Umstände unsere Treue zum Glauben ernsthaft bedrohen können. Am Sederabend feiern wir unsere beliebte Existenz trotz der schwierigen Umstände nach 210 Jahren Sklaverei. In Israel geht es uns im Moment noch einigermaßen gut. Aber gerade dann kommt die Zerrissenheit des israelischen Volkes zum Vorschein. Aber auch dafür werden wir eine Lösung finden, mit Hilfe von oben.

Koscheres und frohes Pessach

Ich wünsche allen ein koscheres und frohes Pessach, wie wir es hier in Israel nennen. Koscher, weil der Verzicht auf aufgestiegene und vergorene Produkte eine ziemliche Aufgabe ist, und fröhlich, weil die Suche nach Einheit in diesen politischen Turbulenzen, die jetzt alle Bereiche betreffen, wirklich die Feier von 75 Jahren Israel zu trüben droht. Aber: wir haben schon vor heißeren Feuern gestanden… Mit Gottes Hilfe wird alles wieder gut werden.