Einführung in die Trauerregeln und Trauerpraktiken Teil 6 Niwul : äußerliche Verwahrlosung

4. Niwul : äußerliche Verwahrlosung

Nach sieben Tagen steht die trauernde Familie auf. Das Privatleben beginnt wieder, aber es gibt noch längst keine Freude. Die äußere Erscheinung weist noch immer auf ein nach innen gerichtetes Gemüt hin; dieser Zustand dauert bis zu dreißig Tagen nach der Beerdigung an. Bei Trauer um die Eltern solange, bis die Menschen an dem vernachlässigten äußeren Erscheinungsbild Anstoß nehmen, oder, falls dies nicht der Fall ist, bis zu drei Monaten nach der Beerdigung. Während dieser Zeit bleibt das Schneiden von Kopf- und Barthaaren untersagt.

Neue Kleider, Festkleidung oder frisch gepresste Kleidung sind nicht erlaubt. Frisch gewaschene Kleidung darf nur angezogen werden, wenn sie zuvor von einer anderen Person getragen wurde. Während dieser Zeit ist es nicht erlaubt, Feste zu besuchen. Eheschließungen können erst nach Ablauf der drei Jahresfeiern3 geschlossen werden, es sei denn, man war noch nicht verheiratet oder hat kleine Kinder, die dringend eine Mutter brauchen130.

Der Schmerz ist nun überwunden, die Persönlichkeit erhebt sich selbstständig wieder, aber das Selbstwertgefühl ist noch nicht vollständig wiedergewonnen und daher wird das äußere Erscheinungsbild noch vernachlässigt. Der Mensch trifft wieder auf die Gesellschaft, in die er gehört. Schließlich löst sich der Schmerz in der Gemeinschaft. „Nur das individuelle, persönliche Leben wird durch einen Sterbefall wirklich verletzt. Die Gemeinschaft hingegen erholt sich schnell, regeneriert und erneuert sich immer wieder und dauert auf ewig weiter an“.131

In den sieben Tagen von Awelut fand die Trauer aktiv statt. Jetzt ist das Trauern eher passiver Natur.

An der Trauer wird nicht mehr absichtlich festgehalten und die Trauernden werden nicht mehr stets daran erinnert. Niwul ist eine Art Übergangsphase: keine aktive Trauer mehr, aber die aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Ereignissen ist nach wie vor weitestgehend verboten. Oberflächlich wird der Mensch an sein vermindertes Selbstwertgefühl erinnert: Sein Bart und seine Kleidung weisen noch immer auf den bereits begonnenen, aber noch unvollkommenen Anschluss an die Gemeinschaft hin; das sind Stimuli, die es ihm nicht ermöglichen, ganz in dem Geschehen um ihm herum aufzugehen.

Für andere haben diese Reize eine Signalfunktion: Nehmen Sie Rücksicht auf sein gemindertes Selbstwertgefühl; laden Sie ihn nicht zu Feiern ein, an denen er nicht teilnehmen will oder kann. Er bleibt in der Nähe des Todesortes: In diesen dreißig Tagen darf er nicht weit reisen132. Musik und überschäumende Fröhlichkeit würden nicht mit seinem inneren Gemüte übereinstimmen und sind daher verboten.

Manche Menschen haben die Angewohnheit, das Yahrzeitlicht in den ganzen `Schloschim“ (dreißig Tagen nach der Beerdigung) im Haus des Verstorbenen brennen zu lassen und ein Yahrzeitlicht in der Synagoge während des ganzen Trauerjahres anstecken (zu lassen).