ERLÄUTERUNGEN ZU DEM GEBETBUCH 4 BUCH III DIE BRACHOT – SEGENSSPRÜCHE ÜBER DAS LERNEN DER TORA

ERLÄUTERUNGEN ZU DEM GEBETBUCH

BUCH III DIE BRACHOT – SEGENSSPRÜCHE ÜBER DAS LERNEN DER TORA

BRACHOT ÜBER DIE TORA

Anweisungen:

1. Die Brachot la’asok und veha’arev bilden gemeinsam eine lange Bracha. Nach la’asok bedivre Tora sagt man deshalb nicht Amen.

2. Vor dem Lernen der Tora sage man die folgenden zwei Brachot. Vorher darf man die Tora nicht studieren. Die Pflicht, die Tora zu lernen, beginnt im Grund schon, sobald wir aufwachen. Das ist der Grund, warum diese Bracha am Beginn des Morgengebetes steht.

3. Beim Sprechen dieser Bracha muss man seine Freude über unsere Auserwählung zum Volk des Buches und über die Tatsache, dass wir die Mizva des Tora-Lernens erhalten haben, zum Ausdruck bringen.

4. Über das Lernen der Tora sagt man diese beiden Brachot nur einmal am Tag. Unmittelbar danach lernt man Teile der Schriftlichen und Mündlichen Lehre.

5. Zu Beginn des Abends ist bereits ein fester, aber kurzer Schlaf als Unterbrechung ausreichend, um die folgenden zwei Brachot wieder aufs Neue zu sprechen.

Wir sagen zwei Brachot, die erste über die Mizva die Mündliche Lehre, Mischna und den Talmud zu studieren, und die zweite über das Studium der Schriftlichen Lehre. Die Schriftliche Lehre ist ohne die Mündliche Lehre nicht (leicht) zu verstehen.

Präsens

Die Brachot “Gelobt…. Wer Sein Volk Jisrael Tora lehrt” und “Gelobt… Wer die Tora gibt” sind im Präsens geschrieben, weil der ganze Inhalt – also sowohl die Schriftliche als auch die Mündliche Lehre -, die die Juden auf dem Berg Sinai erhalten haben, durch den Begriff der Tradition umfasst werden kann.

Tradition

Tradition hat meistens einen negativen Beiklang. Die Assoziationen sind oft: altmodisch, konformistisch, Langeweile oder leere Worte. Für uns ist die Tradition kein statischer, sondern ein dynamischer Wert: Sie ist kein kritikloses Weitergeben und Übernehmen bestimmter Inhalte und Werte, sondern eine Fortsetzung der Erfahrungen, die das ganze Volk im Laufe der Geschichte gemacht hat, in der sich die religiöse Kreativität eines ganzen Volkes entwickelt hat und immer noch ausdrückt, unterstützt und geleitet von einer “unsichtbaren Hand” der G’ttlichen Inspiration (vgl. B.T. Pessachim 66a).

Stimmenmehrheit

Die Tora wurde seit dem Sinai in die Hände von Menschen gegeben. Es liegt an den Menschen, mit ihr und nach ihr zu leben. Wenn sich eine neue Lebenssituation auftut oder sich neue Technik entwickelt, müssen die Chachamim (Weisen) nach der Stimmenmehrheit entscheiden, wie das Neue nach den Richtlinien der Tora definiert werden kann. Kein Wunder oder Orakel, nicht einmal eine Stimme aus dem Himmel kann den Menschen von dieser Verantwortung befreien. Im Judentum gibt es keinen G’ttlichen Lehrstuhl im Sinne der G’ttlichen Offenbarung “après la lettre”, in dem die G’ttliche Absicht weiter ausgeführt wird. Die Tora ist “vom Himmel”. Seit dem Sinai wird sie den Menschen gegeben.

Die weitere Verantwortung liegt beim Menschen. Aber das Judentum hat ebenfalls keinen irdischen Lehrstuhl. Beschlüsse werden nach der Stimmenmehrheit gefasst. Die Meinungen, die weniger Stimmen erhalten haben, werden mit der Entscheidung aufgeschrieben.

Vergangenheit und Zukunft zusammen

Im Judentum gibt es die Erkenntnis, dass jede Generation nur ein Glied in der Kette der Geschlechter ist. Der Mensch ist sich bewusst, Teil der Geschichte zu sein. Jeder Einzelne fühlt, dass er die Vergangenheit und die Zukunft in sich vereint. Er realisiert auch, dass man G’tt nur „durch G’tt”‘ kennenlernen kann und nicht durch menschliche, begrenzte und egozentrische Projektionen auf ein Unendliches Wesen.

anhand der Lehre geprüft

Das konkrete Forschen nach der G’ttlichen Absicht ist nur möglich, indem jede Lebenssituation anhand der Lehre geprüft wird, wie sie von G’tt Selbst offenbart und in späteren Generationen unter der Anleitung durch die G’ttliche Inspiration ausgearbeitet wurde. Ein Text funktioniert nur in der Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit. Durch Konfrontation und Interpretation erhält ein Text Gehalt.

Nur in der Hermeneutik erfüllt die Tora ihr bezwecktes Ziel. Die Offenbarung war kein einmaliges Ereignis, sondern setzt sich fort und wird als kontinuierlicher, organischer Prozess erlebt.

Die Offenbarung auf dem Sinai war einmalig, aber G’tt ‘baute’ in die Tora dynamische Elemente ein, die den statischen Text mit der immer fließenden Quelle der Inspiration verbindet.

Die Tora fungiert als Medium zwischen der Lebenspraxis und der Absicht G’ttes. Und bei dieser Erkundung geht es weniger um die (individuelle) Belohnung als vielmehr um die Vollendung der Welt als universelle Tatsache.

Die größten Chachamim, Gelehrten jeder Generation, gelten als fähig, auf der Grundlage der Tora immer wieder die unverzichtbare Verbindung zwischen den Fragen der Praxis und der wahren Absicht des Tora-Gesetzgebers herzustellen.

Unsere Weisen sagen, dass wir die Tora ständig als “neu” betrachten sollten. In jeder Generation ist die Tora wieder hochaktuell. Das liegt daran, dass die Tora von G’tt stammt und per Definition jeder vom Menschen geschaffenen Philosophie entgegen steht. Die Tora ist revolutionär und trägt immer etwas zum menschlichen Denken bei.

AUSERWÄHLUNG

Das Jüdische Volk wurde auserwählt, die Tora zu empfangen und zu verbreiten. Darauf sind wir nicht stolz, denn es geht um zusätzliche Verantwortung und zusätzliche Verpflichtungen. Das Jüdische Volk hat mehr Ge- und Verbote erhalten als die Noachiden. Das Jüdische Volk hat als solches die Rolle eines Priesters gegenüber denjenigen, die als Noachiden leben. Ein “Königreich von Priestern und eine heilige Nation” zu werden, verpflichtet zur Anstrengung und ist kein Grund für Eitelkeit oder Überlegenheit.

Auch innerhalb des Jüdischen Volkes wird zwischen Israeliten, Leviten und den Kohanim oder Priestern unterschieden. Die Kohanim haben viel mehr Pflichten und Rechte als ein Levi und er wiederum mehr als ein Israelit. Diese Unterteilung bedeutet jedoch nicht, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen den verschiedenen Gruppen gibt. Sie haben nur verschiedene Verantwortungs- und Weihegrade.

Es bedeutet jedoch, dass die Mitglieder einer Gruppe nicht die Rechte und Pflichten einer anderen Gruppe übernehmen können. Ein bekanntes Beispiel für Menschen, die ihre Grenzen nicht kannten, findet sich in der Geschichte von Korach. Zusammen mit 250 Fürsten der Gemeinde focht Korach die Kehuna – das Hohepriestertum – von Aaron an. Dafür musste Korach jedoch teuer bezahlen. Er und seine Familie wurden von der Erde verschlungen und ein Feuer vom Himmel verzehrte seine 250 Anhänger (Bemidbar/Numeri 16:32 ff.).

Unterschiedliche Gruppen, unterschiedliche Vorschriften

Verschiedene Personengruppen erhalten unterschiedliche Vorschriften, die jeweils ihren Talenten entsprechen.

Das Überschreiten dieser Grenzen würde bedeuten, der Struktur der Mitglieder dieser verschiedenen Gruppen nicht gerecht zu werden. Das Judentum erkennt an, dass jede Gruppe von „ewiger Seligkeit” überzeugt sein kann, wenn die G’ttlichen Gesetze, die für jede einzelne Gruppe gelten, eingehalten werden. Der Noachidismus ist übrigens viel umfassender, als allgemeinhin angenommen wird. Die Reichweite der sieben Noachidischen Gebote ist viel größer. Und die Ausführung der Tora führt in der Praxis zu weniger als 613 Ge- und Verboten, da viele Mizvot außerhalb Israels und ohne Tempel leider nicht mehr gelten.

TORAT EMET, TORA DER WAHRHEIT

Die G’ttlichkeit der Tora ist bereits aus einer codierten Identifikation in der Tora selbst ersichtlich. Die Tora ist das einzige Werk, in dem die Identität des Werkes selbst oder des Autors codiert wurde. Wird der Text geändert, lässt sich der Betrüger schnell entlarven.

Wenn man 49 Plätze (Buchstaben) ab dem ersten Buchstaben T (Taw) in der Tora weiterrückt, so der letzte Buchstabe des hebräischen Wortes für Genesis (Bereschit- Am Anfang….), liest man das Wort Tora. Die anderen drei Bücher der Tora lassen sich auf die gleiche Art und Weise identifizieren.

Nur das dritte Buch der Tora, das kleinen Kindern zuerst gelehrt wird, weil es so sauber und rein ist, wird durch das Tetragrammaton identifiziert, den nicht auszusprechenden vierbuchstabigen G-ttesnamen, der mit einem Abstand von 7 oder 8 Plätzen sichtbar wird.

G’tt offenbarte sich einem ganzen Volk.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen den Büchern anderer Glaubensrichtungen und der Tora. Am Fuße des Berges Sinai erlebte ein ganzes Volk, dass G’tt sich ihm offenbart hatte. Jeder – und nicht nur einige wenige – erlebten die Wahrheit der G’ttlichen Anwesenheit.

Keine unfehlbaren Anführer

Es ist auch erwähnenswert, dass Mosche über sich selbst Dinge schreibt, die ihm sicher keinen Ruhm einbringen. Mosche war sehr bescheiden und außerordentlich demütig. In der Tora erzählt Mosche Dinge über sich selbst, die nicht immer positiv sind, wie das Schlagen auf den Felsen, was dazu führte, dass er nicht Israel betreten durfte. Auch von den Erzvätern Avraham, Jizchak und Jakov und den Erzmüttern Sara, Rivka, Rachel und Lea werden nicht nur gute, sondern auch weniger positive Dinge erwähnt. In den heiligen Büchern anderer Völker werden keine Schwächen und der Fehler der geistlichen Anführer aufgezeigt.

Kontrast zur eigenen Zeit und Umgebung

Auch die Tora sticht überragend aus den besten Werken aus der Zeit hervor. Die Tora basiert auf einem G’tt, Der die Welt mit Seinem Wort erschaffen hat. In einem der Glaubensbilder der Götzendiener kämpfen die verschiedenen Götter um die Erschaffung der Welt. Die Tora schreibt über G’tt, dass er keine Form besitzt, während die anderen Götter mit allerlei möglichen menschlichen Zügen und Leidenschaften vertreten sind. Im Gegensatz zur Literatur vor 3500 bis 4000 Jahren aus dem Mittleren Osten stellt sich die Tora der Unterdrückung der Armen und Fremden mit all ihrer Kraft entgegen.

Die Tora eröffnet ihren legislativen Teil mit der Erhöhung des Underdogs. Die Gesetzgebung zur Sklaverei basiert auf einer sehr humanitären Grundlage der Rehabilitation und Erziehung anstelle von Repression und Ausbeutung. Auch der Fremde durfte nicht unterdrückt werden (Exodus 22:20).

Unüberwindbare Kluft zur Kultur der Umgebung

Auch die Witwe und das Waisenkind werden recht schnell geschützt: “Keine Witwe und Waise sollt ihr bedrücken. Wenn du sie doch bedrückest – denn, wenn sie zu mir schreien, höre ich ihr Geschrei – Wird mein Zorn entbrennen” (Exodus 22:21-23). Welch ein Mitgefühl für den leidenden Mitmenschen: “Wenn du Geld leihst meinem Volk, dem Armen bei dir, sei ihm nicht, wie ein Schuldherr, leget ihm nicht Zinsen auf. Wenn du pfändest das Kleid deines Nächsten: ehe die Sonne untergegangen, gib es ihm zurück. Denn dies ist seine einzige Bedeckung, dies seine Hülle für seinen Leib; worauf sollte er schlafen? Und es wird geschehen, wenn er zu mir schreit, so werde ich hören, denn ich bin erbarmungsvoll“ (Exodus 22,24-26).

Es gibt viele Beispiele für den sehr hohen moralischen Standard in der Tora. “Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen… Du sollst dich nicht rächen und nichts nachtragen den Kindern deines Volkes, sondern deinen Nächsten lieben, wie dich selbst” (Lev. 19:17-18) und “Du sollst nicht Nachsicht haben mit dem Geringen und nicht ehren den Vornehmen” (Lev. 19:15). „Du sollst nicht ausliefern einen Knecht an seinen Herrn. Bei dir soll er bleiben, in deiner Mitte, an dem Ort, den er erwählt, in einem deiner Tore, wo es ihm gefällt. Du darfst ihn nicht kränken” (Deut. 23:16-17). Die Moral, vor mehr als 3300 Jahren, war so hoch, dass sie nicht vom menschlichen Geist selbst, aus der kulturellen Umgebung jener Zeit, erzeugt werden konnte.

Es gibt eine unüberbrückbare Kluft zwischen den Ansichten der Umgebung und der Haltung der Tora gegenüber dem Fremden: “Du sollst den Fremdling lieben wie dich selbst; denn Fremdlinge wart ihr im Land Mizrajim” (Lev. 19,34). Es gibt einen immensen Unterschied zwischen dem Einen, dem unsichtbaren G’tt, Der über das ganze Universum regiert, und dem Pantheon der Abgötter, das die alten Kulturen regierte.

Mosche stellt sich nicht an erster Stelle

Mosche hat für sich selbst keinen Vorteil erhalten. In einer anderen Glaubensrichtung würde der Überbringer und Erläuterer von G’ttes Wort zu einem Messias oder König über ein Volk, das er sich unterwerfen würde. Mosche selbst wurde keiner Ehre zuteil, er wurde weder König noch Priester. Selbst für seine Kinder oder Enkelkinder hat er keinen Vorteil erlangt. Er wollte nicht mal die Macht halten. Er hat die meisten seiner Funktionen auf andere übertragen. Das lesen wir in Exodus 18:24: „Und Mosche hörte auf die Stimme seines Schwiegervaters, und tat alles, was er gesprochen” – er teilte die richterliche Macht mit 78.600 anderen Richtern, und in Numeri 11:14: “Ich allein vermag nicht dieses Volk zu tragen, denn es ist mir zu schwer“.

Mosche wollte, dass jeder ein Prophet werden kann. Als Eldad und Medad über den Tod von Mosche und die neue Führung von Jehoschua prophezeiten, antwortete Mosche seinem Schüler: „Eiferst du für mich? dass doch das ganze Volk von HaSchem Propheten wären” (Numeri 11:29).