Freude an der Sukka in Corona-Zeiten und steigender Antisemitismus

Freude an der Sukka in Corona-Zeiten und steigender Antisemitismus

בסייד           

Wie verbinden wir die äussere Bedrohung mit der inneren Freude?

Mit dem gestrigen Polizeieinsatz an der Synagoge in Hagen ist nach bisherigen Erkenntnissen ein Anschlag verhindert worden. Wir erleben in diesen Zeiten ein Paradoxon. Wir gedenken regelmäßig des Holocausts, sind aber immer wieder schockiert über die Gewalt des Antisemitismus. Noch nie war der Antisemitismus so ausgeprägt und bedrohlich wie heute. Es wird immer schlimmer. Es ist eine sehr aufregende Zeit, böse und seltsame Dinge passieren. In einer Zeit, in der der Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit laut und deutlich ertönt, ist der Antisemitismus auf einem Höchstwert. Ich stehe ohnmächtig davor und sehe keinen Weg mehr zurück.

Antisemitismus ist wieder salonfähig

Es geschieht vor unseren Augen. Ich hatte nicht erwartet, dass es in so kurzer Zeit so weit gehen würde. Leider gibt es kein Gegenmittel. Erziehung, Strafrecht und gesellschaftliche Reaktionen können das Blatt nicht wenden. Der Kampf gegen  den Antisemitismus wirkt wie ein Tropfen auf den heißen Stein und manchmal sogar wie ein Bumerang. Die gesellschaftliche Moral ist am Rande des Zusammenbruchs, was den Antisemitismus betrifft. Der Antisemitismus war immer latent vorhanden, zeigt aber jetzt sehr deutlich sein monströses Haupt. Antisemitismus ist wieder salonfähig geworden.

Ich wohne jetzt in Israel. Ist es dort bezüglich auf die Bedrohung so viel besser? Der Iran von Ebrahim Raisi benutzt ständig eine bedrohliche Sprache. Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf seine nuklearen Ambitionen ist viel zu schwach. Auch dort haben wir es leider mit rücksichtslosen Regimen zu tun.

Auch die Corona-Krise verursacht viel Leid und Unsicherheit. Wie können wir in diesem Jahr Sukkot feiern, “Sman simchatentenu – die Zeit unserer Freude”, wenn wir wieder einmal nicht nach Israel reisen dürfen, weil der Flughafen Ben Gurion geschlossen ist? Oder müssen wir zwei Wochen die Quarantäne in unserer Sukka verbringen?

Ohne Teschuwa (Reuegibt es keine geistige Errettung

Sukkot setzt unseren psychischen Kampf während Rosch HaSchana und Jom Kippur fort. Unsere Weisen sagen klar, dass es ohne Teschuwa keine Erlösung geben kann. Wenn wir geistig überleben wollen, müssen wir moralisch und ethisch würdig sein. An Jom Kippur befinden wir uns in der Hitze des Gefechts. Es wird so dramatisch, dass es unmöglich ist, zu essen. Wir fasten, weil ein “Soldat an der geistigen Front” nicht an seinen Magen denkt. Die Aussage in der Liturgie der Hohen Feiertage “wer soll leben und wer soll sterben” ist für den Soldaten angemessen. Die Soldaten konzentrieren sich auf den nächsten Angriff. Dieses Thema von Krieg und Kampf setzt sich bis Sukkot fort. Soldaten errichteten Zelte, Hütten und provisorische Unterkünfte in der Nähe des Schlachtfelds. Soldaten lagern in eilig errichteten Unterständen auf offenem Gelände. Sind das unsere Sukkot (Laubhütten)?

Zerbrechliche Hütten

Wenn wir jedoch in diesen zerbrechlichen Hütten sitzen, ohne Angst vor Angriffen zu haben, bedeutet das, dass wir die Schlacht gewonnen haben. Wir müssen nur warten, bis sich der Rauch des Schlachtfeldes lichtet. So feiern wir den ersten Morgen unserer neuen Existenz mit dem arba’a minim, den vier Pflanzenarten. Wir halten den Lulav, den Palmzweig, der hoch über uns thront. Wir schütteln ihn in alle vier Richtungen. Der Lulav wird im Midrasch (den Hintergrunderklärungen) als das siegreiche Schwert nach einer schweren Schlacht gesehen. Der Sieg, das Ziel der Reise, ist erreicht. Alle Kämpfe scheinen ausgefochten zu sein. Wir haben alle Beurteilungen bestanden.

Die Thora ist unsere verborgene Waffe

Deshalb ist es gut und wichtig zu verstehen, dass der letzte Tag von Sukkot, Schmini Azeret (Abschlussfest), an dem wir für unsere spirituelle Befreiung gerichtet werden, Simchat Thora, Freude des Gesetzes, ist, ein Tag, an dem wir uns mit unserer Thora, dem Etz HaChaim, dem Baum unseres Lebens, freuen. Die Thora ist unsere verborgene Waffe. Die Thora garantiert uns den Sieg, wenn wir ihre Gebote erfüllen: “Es geschah, als die Lade hinaufging, dass Mosche sagte: ‘Erhebe dich, o G’tt, und lass deine Feinde zerstreut werden und die, die dich hassen, vor dir fliehen'” (Bemidbar/Num. 10:35). Wenn wir mit unserer Thora zur heiligen Lade gehen, haben wir nichts zu befürchten. Sukkot ist eine wunderbare Synthese von Natur und Geist, von Körper und Seele, von Landwirtschaft und Symbolik, von dieser Welt und der kommenden Welt, von Irdischem und Überirdischem. Wir bleiben jüdisch und bleiben optimistisch, trotz aller Bedrohungen, trotz allem.