Krieg und Frieden, eine paradoxe Realität – Parascha Ree
בסייד
Wir lesen in dieser Parascha über Krieg und Frieden. Das jüdische Konzept des Schalom erscheint widersprüchlich. Auf der einen Seite hat der Frieden höchsten Wert in der jüdischen Zielhierarchie, auf der anderen Seite kann – unter ganz bestimmten Umständen – Gewalt sogar eine Tugend darstellen.
Ein Paradoxon (Widerspruch) und sehr verwirrend!
Das Judentum ist eine Religion der Wirklichkeit, der greifbaren Lebensrealität.
Familienprobleme, Familienfehden, Nachbarschaftsstreitigkeiten, religiöse Spaltungen, Bürgerkriege und internationale Konflikte sind an der Tagesordnung, und sie füllen täglich die Medien.
Frieden auf der Erde wird laut unseren Chachamiem, laut unseren Weisen, erst in der Zeit des Masjie’ach möglich und wirklich werden. Unsere Welt scheint davor eher einem Dschungel zu gleichen, geprägt durch den steten Kampf denn durch eine friedliche Gesellschaft.
Trotz der großen Nachdrücklichkeit der rabbinischen Schriften über “das Streben nach Frieden”, sprechen der Talmud und die Sjulchan Aroech – der jüdische Code – eine klare Sprache: ‘haba lehorgecha, hasjkeem lehorgo – wenn jemand es darauf anlegt, dich zu töten, komm ihm zuvor und töte ihn zuerst’ (B.T. Sanhedrien 72a).
Dieses Recht auf Selbstverteidigung wird gleichfalls im jüdischen Codex erwähnt (I: 329:6): ‘Wenn eine feindliche Gruppe eine Stadt ohne klare Absichten bedroht – wenn es also unklar ist, ob “nur” eine Plünderung oder ob die Ermordung der Bevölkerung bevorsteht, dann soll man ihnen bewaffnet entgegentreten und darf dazu sogar den Schabbat brechen.
Das Vorstehende gilt nur für Städte in der Mitte des Landes; in den Grenzregionen ist die Situation anders. Hier gilt, dass man den Feind bereits angreifen darf – obwohl die Schabbat hierbei gebrochen wird – “wenn Sie nur ein wenig Heu stehlen möchten”. Rabbiner Mosje Isserles (1520-1577, Krakau) fügt sogar hinzu ‘das diese Vorschriften bereits gelten, wenn eine feindliche Bande nur mit einem Angriff droht.’.
Aber warum sprechen wir so deutlich über das Recht auf Selbstverteidigung?
Im Laufe der Jahrhunderte hat das Jüdische Volk der Weltgemeinschaft substantielle Werte beigebracht.
Und nach diesen Werten haben wir unter anderem nicht das Recht, unsere physische Existenz, die uns in die Lage versetzt, den höchsten Zielen der Torah zuzustreben, in die Waagschale zu werfen.
Es steht uns nicht zu, die von G”tt gegebene Existenz aufs Spiel zu setzen. Das würde eine Identitätschwäche darstellen und den Unglauben der eigenen Berufung, das ‘Licht für die Völker’ zu sein, beweisen.
Das Judentum ist die Religion unseres Volkes und natürlich nehmen wir unser Überleben im Sinne der Thora für essentiell auch für die gesamte Weltgemeinschaft.
Wir lieben unsere eigenen Menschen und unser Land, stehen aber auch anderen Völkern positiv gegenüber. Auch nehmen wir unsere politischen Gegner sehr Ernst in ihren Bestrebungen.
Die Geschichte hat uns gelehrt, Bedrohung und Aggression von außen nicht zu unterschätzen. Aber nicht nur auf der politischen Ebene droht immer wieder Gefahr; vielmehr haben Andere auch immer wieder versucht, auf unsere Werte und Vorstellungen auf der religiösen Ebene an den Pranger der angeblichen Friedensmoral zu ketten.
Judentum sei einfach gesagt nicht friedfertig genug!
Doch das Judentum ist eine friedliche Religion und über die Torah wird im weitesten Sinne gesagt, dass ‘alle ihre Wege Frieden sind’ (Sprüche 3:17).
Dies steht augenscheinlich in krassem Gegensatz zu den eben gehörten Kriegsgesetzen. Ein paradoxes Friedenkonzept? In jedem Fall nicht das Prinzip, die andere Wange auch hinzuhalten!
So zeigt zum Beispiel die Geschichte des guten Samariters das sicher positive Wirken eines Einzelnen.
Aber als Volk waren die Samariter vor 2000 Jahren die politischen Gegner des jüdischen Volkes. Somit von der damalige jüdischen Bevölkerung zu erwarten, diesem Gegner bedingungslose Liebe entgegenzubringen – das wäre heute gleichbedeutend damit, von den modernen Israelis zu erwarten, alle Fundamentalisten zu lieben…
Die Förderung einer solchen bedingungslosen Toleranz für alle benachbarten Völker, also auch für diejenigen, welche in Wort und Tat an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung inner- und außerhalb Israels arbeiten, zeugt von ausgesprochen geringer Sensibilität der internationalen Staatengemeinschaft für das Überleben unseres Volkes!
Kein Land muss jedoch ewig das Stigma des politischen Gegner tragen.
Die Torah lehrt uns deutlich böse Taten und Absichten der Menschen zu verurteilen, nicht jedoch erlaubt sie, eine Person alleine ihrer Abstammung oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu verurteilen.
Das Judentum ist eine Religion der Hoffnung in die Menschen und positiver Erwartungen für die Zukunft.