Liebe im Judentum
Viele Menschen wundern sich, wie man im Judentum heiratet, ohne sich vorher richtig zu kennen. Man müsse doch aus Liebe heiraten und so eine Ehe, welche nach einigen Wochen Bekanntschaft beschlossen wurde, müsste doch scheitern. Aber zur allgemeinen Verwunderung erzählen die Zahlen der Statistik eine ganz andere Geschichte…
32,94% der Ehen in
Deutschland (Stand 2017, Quelle: Statistisches Bundesamt) enden mit einer
Scheidung. In anderen Worten mehr als jedes drittes Paar ließ sich letztendlich
scheiden! Natürlich gibt es auch bei nach jüdischem Brauch geschlossenen Ehen Scheidungen,
aber kein solch hoher Prozentsatz und keinesfalls so häufig.
Wie lässt sich
dieses Phänomen erklären?
Wenn man verstehen will, wie etwas funktioniert, zum Beispiel eine Waschmaschine, dann nimmt man sich die Gebrauchsanweisung des Herstellers zur Hand und lernt wie sie funktioniert und wie man sie zu verwenden hat. Jemand, der diese Regeln und Anweisungen nicht kennt oder nicht beachtet, wird das Gerät nicht nutzen können und es möglicherweise beschädigen.
Auch G´tt, unser „Hersteller“, hat uns eine Gebrauchsanweisung für diese Welt und uns Menschen hinterlassen – die Tora. Auch das Konzept der Ehe ist Teil der Schöpfung, sodass diese nur funktionieren kann, wenn man die Anweisungen und Regeln der zugehörigen Gebrauchsanweisung befolgt.
Auch würde ein Hersteller niemals eine Gebrauchsanweisung mitgeben, welche dem Model des Geräts nicht passt oder nicht mehr aktuell ist, ansonsten würde sie ihren Sinn verlieren. Entsprechend muss die Gebrauchsanweisung der Welt, des Menschen und der Ehe für alle Zeiten gelten, um ihren Zweck richtig erfüllen zu können.
Lasst uns also in
der Tora, unserer zeitlosen Gebrauchsanweisung, nachsehen, wie sie den Ablauf
der Bekanntschaft und der Ehe vorschreibt, um zu verstehen, wie es
funktioniert: Am Ende unseres Wochenabschnitts Chajei Sara beschreibt die Tora,
wie Rivka aus dem fernen Aram Naharaim gebracht wird, um Yitzchaks Frau zu werden
(natürlich mit ihrem Einverständnis siehe Kap. 24, Vers 57 und Raschi dort).
Wenn man sich den Vers 67 genauer ansieht, wird man merken, dass Rivka zuerst
Yizchaks Frau wurde und erst danach er anfing sie zu lieben.
Hier lehrt uns die Tora die erste Lektion, wie man eine glückliche Ehe anfängt:
Liebe ist etwas, woran man arbeiten muss und diesen Zustand kann man ERST nach der Hochzeit erreichen. Viele Menschen verwechseln Liebe mit Verliebtheit (Infatuation). Verliebtheit ist ein anfängliches Gefühl, dessen Wirkung recht kurzzeitig ist und nach einer Weile verblasst.
G´tt pflanzte dieses Gefühl in uns Menschen, um die Annäherung zweier komplett verschiedenen Menschen zu erleichtern und über die offensichtlichen Unterschiede hinwegzusehen, aber es ist keine langzeitige Bindung. Dieses Gefühl muss von wahrer Liebe ersetzt werden, damit die Bindung weiterhin beibehalten werden kann.
Doch was ist wahre Liebe und wie entwickelt man dieses Gefühl?
Liebe auf Hebräisch ist אהבה und stammt vom aramäischen Wort “הב“ (Geben) ab. Dies lehrt uns, erklärt Rav Dessler, dass man denjenigen liebt, dem man gibt und nicht andersrum, wie viele denken. Um jemanden richtig zu lieben und eine wahre Beziehung aufzubauen, muss man geben, geben und geben.
Die ganze Aufmerksamkeit und der gesamte Fokus müssen auf den Partner gerichtet sein und darauf was ihm/ihr guttun und ihn/sie erfreuen würde. So eine Ehe, bei welcher beide Ehepartner versuchen nur dem anderen zu geben und an den anderen zu denken, wird immer stärker und es entwickeln sich das Gefühl der wahren Liebe.
Der große Irrtum der Menschen liegt darin, dass sie sich auf das kurzfristige Gefühl der Verliebtheit verlassen, welches nach einer Weile verblasst und nicht von wahrer Liebe abgelöst wird. Solange jeder nur ein „Nehmer“ ist und sein gesamter Fokus nicht auf den anderen gerichtet ist, kann sich auch keine wahre Liebe entwickeln.
Auch im Judentum lernt man sich natürlich vor der Hochzeit kennen und es wird gründlich über den potenziellen Lebenspartner recherchiert, aber wahre Liebe muss gemeinsam noch erkämpft werden.