Materieller und geistiger Umweltverschmutzung – PARASCHA MATOT

Materieller und geistiger Umweltverschmutzung – PARASCHA MATOT
PARASCHA MATOT (Numeri 30:2 – 32:42)

“Du sollst den Leviten auch die Weiden geben, die um die Städte herum liegen”.

(Num. 35:2)

Dieser Vers ist ein wichtiger Grundsatz im Umweltdenken des Judentums. Um die 48 levitischen Städte herum musste ein Raum von 1.000 Ellen (ungefähr 500 Meter) als “noi la-ir” – für die Schönheit der Stadt- offengelassen werden, in dem keine Gebäude errichtet werden durften. Nach Maimonides (12. Jh.) musste um diesen herum ein weiterer Gürtel von 2000 Ellen (ungefähr 1000 Meter) landwirtschaftlicher Nutzfläche angelegt werden.

die Umweltaspekte der menschlichen Existenz

Das Interesse an der Umwelt hat sich in kurzer Zeit von der Sorge einiger weniger zu einem globalen Phänomen entwickelt. Die jüngsten groß angelegten industriellen und wirtschaftlichen Entwicklungen haben auf internationaler Ebene zu wachsender Besorgnis geführt. Bislang wurde Umweltfragen in Jüdischen Kreisen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das bedeutet jedoch nicht, dass unsere Chachamim – selbst vor mehr als 2000 Jahren – keinen Blick für die Umweltaspekte der menschlichen Existenz hatten. Im Gegenteil.

Bewahre die Natur und zerstöre Meine Welt nicht

In den ältesten Midraschim findet sich eine bemerkenswerte Passage. Nachdem HaSchem Adam erschaffen hatte, führte Er ihn in den Gan-Eden herum. “Seht meine Werke”, sagte er, “seht, wie schön alles ist! Ich habe alles für dich geschaffen. Bewahre die Natur und zerstöre Meine Welt nicht. Denn wenn man mit der Umwelt nachlässig umgeht, gibt es niemanden, der sie wiederherstellen kann” (Kohelet Rabba 7, sinngemäß). Welche prophetische Weisheit, welche Weitsicht! Wer in der Antike hätte vor Jahrtausenden voraussehen können, dass die Umwelt in unserer Zeit zum Weltproblem Nummer Eins werden würde?

das harmonische Verhältnis zwischen Mensch und Natur gestört         

Der Konflikt zwischen dem Menschen und der Welt um ihn herum wird von unseren Weisen als Folge des Falles des Menschen im Paradies betrachtet. Der “Sündenfall” hat das harmonische Verhältnis zwischen Mensch und Natur gestört. “Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen” (Bereschit 3:19), so lautete das G’ttliche Urteil, und seither ist der Mensch von seiner Umwelt entfremdet, doch die anderen Lebewesen, die diesen Planeten bevölkern, erhalten ihr Brot und ihren Schutz direkt aus der Hand des Schöpfers. Die Verblendung unserer Zivilisation ist nicht so sehr Ausdruck unseres Einfallsreichtums, sondern vielmehr die Folge eines grundlegenden Mangels an Harmonie mit der Natur.

Umweltverschmutzung

Obwohl der Begriff Umweltverschmutzung in der Mischna (Mündliche Lehre) noch nicht als solcher bekannt war, erörterten Mischna- und Talmudgelehrte bereits ausführlich Probleme wie Lärmbelästigung, Luftverschmutzung und Schäden durch Geruch und Erschütterungen. Die Industrie im alten Israel konnte sich natürlich nicht mit der des Rheingebiets messen, aber auf der Mikroebene werden alle modernen Probleme bereits im Traktat Bava Batra (Talmud) behandelt. Gerbereien, Kalköfen und Tennen waren wegen des Gestanks, des Rauchs und der vom Wind verwehten Spreu die Verursacher schlechthin. Diese umweltbelastenden Industrien, auch wenn sie aus heutiger Sicht klein sind, mussten außerhalb der Städte angesiedelt oder dorthin verlagert werden.

Kann man das Recht auf Verschmutzung abkaufen?

In der Halacha wird die Umweltverschmutzung als eine Form des Schadens angesehen, so dass das Prinzip, dass “der Verursacher zahlt” sicherlich keine Erfindung unserer postindustriellen Gesellschaft ist. Eine aktuelle Frage ist, ob z.B. bei “Rauch- und Geruchsschäden” Abgeltungszahlungen zulässig und verbindlich sind. Finanzielle Ausgleichsvereinbarungen zwischen Unternehmen und lokalen Betroffenen können von der Regierung aufgelöst werden. Es mag aufschlussreich sein zu erfahren, dass sich bereits der italienische Rabbi Daniel Estrosa im 16. Jahrhundert mit diesem Thema befasst hat. In einem historisch gewordenen Responsum (Antwort) ordnete er die Schließung eines Schlachthofs an, der eine starke Geruchsbelästigung verursachte, obwohl der Schlachthof den Anwohnern das Recht auf Verschmutzung abgekauft hatte.

Standort verlegen

Umweltschädigende Unternehmen können gezwungen werden, ihren Standort zu verlegen. Doch wer soll die Umzugskosten tragen? Im Prinzip sollte der Verursacher zahlen, aber unter bestimmten Umständen sollte auch die Gemeinschaft einen Beitrag leisten.

Abwälzung der Verantwortung

Dieses Problem der Abwälzung der Verantwortung wird häufig durch ein bekanntes Responsum aus der Türkei veranschaulicht. Rabbi Chaim Palache war im 18. Jahrhundert mit einem unangenehmen Problem konfrontiert. Ein Haus im Ghetto wurde zum Verkauf angeboten. Die stets aktiven Missionare waren interessiert, denn sie suchten schon lange nach einem geeigneten Standort für ihre missionarischen Aktivitäten, und was wäre besser als ein “Gemeindezentrum” mitten im Jüdischen Viertel? Die Missionare boten dem Jüdischen Besitzer eine fabelhafte Summe an. Der Hauseigentümer befand sich in einem großen Dilemma.

die Preisdifferenz sollte von der Gemeinde getragen werden

Rabbi Palache reichte ihm eine helfende Hand. Auf der Grundlage des Gebots, “alles Böse aus unserer Mitte zu entfernen”, stimmte er zu, dass es dem Hauseigentümer verboten sei, dieses trojanische Pferd in das Ghetto hereinzubringen. Das Grundstück musste an einen Juden verkauft werden. Der entgangene Gewinn wurde dadurch ausgeglichen, dass Rabbi Palache festlegte, dass die Preisdifferenz von der Gemeinde getragen werden sollte. Die gesamte Jüdische Gemeinschaft musste sich an der Differenz beteiligen, denn es lag im Interesse aller, dass die Mission nicht innerhalb des Jüdischen Stadtstaates angesiedelt wurde. Mutatis mutandis könnte dies auch für Industrien gelten, von denen alle profitieren.

Eine gute Umweltinfrastruktur verhindert viel Elend. Auch die Thora betreibt Stadtplanung. In Bemidbar 35:2-5 wird vorgeschrieben, dass um die 48 levitischen Städte herum ein Raum von 1000 Ellen als “noi la-ir” – Stadtschönheit – offengelassen werden muss, in dem keine Gebäude errichtet werden durften und um den herum ein weiterer Gürtel von 2000 Ellen landwirtschaftlicher Nutzfläche angelegt werden muss. Nach Maimonides galt diese Bestimmung für alle Städte im Heiligen Land. Für uns, das Volk des Buches, ist der Grüngürtel also nichts Neues. Vielleicht wollte die Thora auch verhindern, dass gigantische Ballungsräume entstehen.

Umweltverschmutzung: ein moralisches Problem

Für meinen Geschmack wird die Umweltverschmutzung in modernen Publikationen viel zu technisch behandelt. Umweltprobleme sind viel eher ein moralisches Dilemma. Hinter jeder Form von Wasser-, Boden- oder Luftverschmutzung steht ein verantwortungsloser Einzelner, der seine Abfälle auf Kosten der Allgemeinheit entsorgt und dem es egal ist, welche Auswirkungen sein Umweltverbrechen hat, solange es ihm nur passt.

materieller und geistiger Verschmutzung

Der bekannte Schriftsteller Aryeh Carmell weist auf eine interessante Koinzidenz von materieller und geistiger Verschmutzung hin, insbesondere in unserer Zeit. Es sei eine Ironie des Schicksals, dass sich die Weltöffentlichkeit mit der Umweltverschmutzung beschäftige, der ständigen Verschmutzung unseres moralischen Empfindens aber kaum Beachtung schenke. Tag für Tag werden wir mit Eindrücken von Gewalt, Sex und Verbrechen bombardiert. Dr. Paul Ehrlich, einer der größten Ökologen unserer Zeit, hat seine Besorgnis darüber bereits zum Ausdruck gebracht. Nur mit der Thora und den Mizwot, der Befolgung biblischer Richtlinien, können wir uns und unsere Kinder, die Zukunft unserer Jüdischen Gemeinschaft, vor den Gefahren der geistigen Verschmutzung schützen, mit der wir regelmäßig konfrontiert werden.