OHNE VERGANGENHEIT KEINE ZUKUNFT – Parascha TOLDOT

OHNE VERGANGENHEIT KEINE ZUKUNFT – Parascha TOLDOT

Vor Kurzem begegnete ich einem Freund, der eine schwierige Zeit durchgemacht hatte. Ich fragte ihn, wie es ihm ginge. „Ich danke G“tt jeden Tag, dass wir vergessen können“. Täglich erinnern wir im Judentum. Ereignisse aus der Vergangenheit sind wichtig. Aber wir dürfen uns nicht durch das Negative leiten lassen.

Joseph konnte mit seinem Leben zu recht kommen, da er das Elend seiner Vergangenheit – wie er von seinen Brüdern verraten und verkauft wurde – vergessen konnte. Er nannte selbst seinen ersten Sohn Menasche, vom Hauptwort „Vergessen“ abgeleitet: „Denn G“tt hat mich mein Elend vergessen lassen“ (Gen. 41:51).

Aber das Vergessen kennt auch eine Kehrseite. Ich war vorige Woche beim Gedenken an die Reichspogromnacht, die immer noch oft „Kristallnacht“ genannt wird. Keine Verbreiterung oder Verwässerung. Wir wollen die Jüdische Identität dieses Gedenkens fest halten. Das ist das Mindeste, was wir für die tatsächlichen Opfer tun können.

Die Verwässerung ist auch unerträglich. Versöhnung ist das Motto heutzutage in vielen Kreisen. Beinhaltet das dann anschließend auch Verzeihung?

Durch wen und für wen? Vollkommen verkehrt. Aber hierüber ist in der örtlichen Presse genug geschrieben worden. Auf alle Fälle „l’histoire se repète“, die Geschichte wiederholt sich:

1. zuerst wird unser Tenach von Dritten einverleibt,

2. danach wird unser Maschiach beansprucht,

3. anschließend wird unser Part in der Geschichte durch die Lehre der Relativierung relativiert, das soll heißen, durch eine neue Lehre ersetzt, die bei uns, global gesehen, Unverständnis bewirkt,

4. danach wird unser Land von Anderen beansprucht und

5. anschließend werden unsere Gedenktage ohne Mitleid in die allgemeine kulturelle Erbmasse einverleibt.

Auf alle Fälle haben wir dauerhaft eine Vorreiterrolle zu erfüllen.

Zurück zum Vergessen. In ihrer extremsten Form führt das Vergessen zur Identitätveränderung.

Das Vergessen der Vergangenheit kann zu Lasten der Jüdischen Identität erfolgen.

Werden wir durch unsere Vergangenheit so sehr gefangen gehalten, dass es an einer positiven Zukunft mangelt?

Die Erinnerung hat für die Gegenwart eine deutliche Aufgabe. Viele unserer Jamim Towim, die Feste, erfolgen zur Erinnerung an den Exodus, den Auszug aus Ägypten. Nun ist das nicht nur ein historisches Ereignis, sondern an der Tagesordnung, auch heutzutage.

Ägypten heißt auf Hebräisch MITZRAJIM, was Einschränkungen und Verengungen bedeutet. Wir müssen jeden Tag mit der einschränkenden Negativität aus der Vergangenheit abrechnen und immer wieder auf einer höheren Ebene anfangen oder darauf auf alle Fälle zu steuern.

Nach vorne schauen kann allerdings nur erfolgen, wenn wir auch zurück blicken. In ihrem Buch „The Roadremender“ beschreibt Margaret Fairless Barber diesen Gedanken auf unübertreffliche Weise: „Mal eben zurückschauen erfrischt unsere Sichtweise. Unser Blick richtet sich aus. So wird unsere Aussicht auf unsere Zukunft wieder transparent“.

In unserer sich rasant verändernden Gesellschaft vergessen wir nur zu schnell, was unsere Eltern und Großeltern gemacht haben, um nach dem Holocaust den Jüdischen Draht wieder auf zu greifen. Sie haben die Jüdische Infrastruktur wieder hergestellt und sind weiter nach vorne gestrebt, trotz jeden Schmerzes und furchtbaren Erinnerungen.

Ich verspüre bei der jüngeren Generation zu wenig Anerkennung für alles, was die vorigen Generationen aufgebaut haben. Wir sind für Fortsetzung, für Dauerhaftigkeit, verantwortlich. Denn schließlich dreht sich alles um die Erziehung der heutigen Generation. Das bereitet viel Mühe und Anstrengung. Die Weitergabe des Glaubens in einer profanen Umwelt ist ein Kraftakt, der unsere vollkommene Aufmerksamkeit erfordert.

Wie können wir unsere eigene Identität in der modernen Gesellschaft handhaben?

Hierzu benötigen wir Talent und Einsatzbereitschaft. Es gibt drei Faustregeln hierzu:

1. frühzeitig damit anfangen, schon ab zwei bis drei Jahren;

2. Regelmäßigkeit und Einbezug;

3. Elterliche Zusammensetzung und Konsequentheit.

In den Paraschot der vergangenen und dieser Woche wird die Basis für das Jüdische Volk gelegt.

Die Geburt unseres dritten Erzvaters Ja’akov, der die zwölf Stammesväter hervorbringen wird, war erst der Anfang. Sein Vater Jitzchak hatte alle seine Kenntnisse auf ihn übertragen.

Aber Awraham bekam auch Jischmajel und Jitzchak bekam auch Esau.

Wer würde die vorväterliche Tradition fort setzen?

Jischmajel und Esau scheiterten. Aber wir haben noch viel mit ihren Nachkommen zu tun. Unsere Identität gegenüber unseren Cousins zu handhaben, kostet jede Generation wieder enorm viel Kraft und Standfestigkeit.

Der Grundsatz dieser zwei Richtungen wird in diesen wichtigen Traktaten der Tora herausgestellt.

Diese sind wichtige Gegebenheiten, auch für die heutige Wirklichkeit. George Santayana sagte es bereits: „Wenn wir die Lehren aus der Geschichte nicht ziehen, sind wir dazu geneigt, alle historischen Fehler zu wiederholen“.