SEI ZU DIR SELBER GENÜGSAM – PARASCHA BALAK

SEI ZU DIR SELBER GENÜGSAM

“Wie schön sind Deine Zelte, o Jaakow, Deine Wohnstätten, o Israel! (Bamidbar/Numeri 24:5)”.

Dieser berühmte Passuk, dieser Vers, wird auf unterschiedliche Weisen erklärt oder interpretiert: Wie prächtig sind Deine heiligen “Zelte”, der Tabernakel zu Schilo und der erbaute Tempel zu Jerusalem, wenn dort Sühnopfer erbracht werden. Sühnopfer sind Gegenleistungen für begangene Sünden oder Verfehlungen.

Selbst wenn Sie verwüstet oder zerstört sind, geht aus Ihnen etwas Gutes hervor. Denn diese G”tteshäuser sind eine Art von Absicherung für das Jüdische Volk. Ihre Zerstörung ist eine Sühne, da G”tt als der alles Bestimmende Seine Wut an Holz und Steinen ausgelassen und den größten Teil des Volkes verschont hat.

Der heidnische Prophet Bile’am war von der Beziehung zwischen HaShem (G”tt) und Am Jisraejl tief beeindruckt und sein Fluch verwandelte sich in eine Broche, einem Segen.

Aber laut dem Talmud (B.T. Bawa Batra 60a) sah Bile’am, wie die Juden Ihre Lagerstätten gestaltet hatten. Er war über die Tatsache entzückt, dass die Eingänge ihrer Zelte sich nicht gegenüber einander befanden, so dass man sich nicht gegenseitig hinein schauen konnte. Das deutete auf einen religiösen und moralisch höher befindlichen Standard hin. Es genügte, sich so zu verhalten, da man sich mit seiner Beziehung zum Allmächtigen im Klaren war. Man hätte es nicht nötig, sich andauernd mit dem Anderen zu vergleichen.

Die Privatsphäre hatte immer einen hohen Stellenwert. Die Gemeinschaft ist sicherlich wichtig, aber die individuelle Entfaltung darf nicht aus dem Blickwinkel verloren gehen. Die Privatsphäre ist zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unverzichtbar.

Die Thora war ihrer Zeit mal wieder weit voraus und widmet dem eigenen Bereich eines jeden Einzelnen ihre Aufmerksamkeit. Auf vielerlei Gebieten, juristisch und psychologisch. Die größte Bedrohung der Privatsphäre jedes Einzelnen bilden die Gläubiger. Im schlimmsten Fall können Sie – ganz rechtmäßig- in das Haus ihres Schuldners eindringen und was sie als richtig und wichtig meinen, zum Verkauf stellen oder selbst das gesamte Wohnhaus oder Wohnung versteigern lassen.

Sie dürfen das Recht nicht in die eigenen Hände nehmen, aber Gerichtsvollzieher und andere Beamte dürfen das wohl, im Rahmen ihrer Befugnisse. Nur in der Thora steht eine die Privatsphäre schützende Maßregel, die selbst in unserem modernen Rechtsstaat (noch) unbekannt ist (Dewarim/Deut. 24:10 und weiter): “Wenn Du von Deinem Nächsten Einiges an Schulden zu fordern hast, darfst Du nicht seine Wohnung oder Haus betreten, um ein Pfand von ihm an Dich zu nehmen. Du sollst draußen stehen bleiben und der Mann, der Dir schuldet, soll Dir den oder das Pfand nach außen bringen”. Dieses gilt sowohl für den Kreditgeber wie für den Gerichtsvollzieher.

Um was es sich hier handelt ist nicht, dass sie Thora die Verantwortung für finanzielle Verpflichtungen abschwächt. Schulden müssen ohne weiteres beglichen werden und fehlende oder mangelnde Kreditwürdigkeit findet in der Thora dieselben Folgen wie im bürgerlichen Recht.

Um was es wohl geht, ist die menschliche Wertschätzung, die in Bedrängnis gerät, wenn Fremde in den Bereich eine Anderen eindringen. Die Thora schreibt dem Kreditgeber vor, die Ehre nicht zu verletzen. Selbst ein Gerichtsdiener bleibt draußen stehen, um das Recht auf die Privatsphäre nicht zu unterlaufen.

Nicht jedes Benehmen oder jede Handlung kann in juristische Sätze gefasst werden. Auch nicht nachvollziehbare Wege, das Privatrecht zu unterlaufen, haben ihre Niederschrift im Talmud gefunden (500 nach der Zeitrechnung). Zu den vier Verhaltensweisen, die laut Rabbi Schimon bar Jochai in den Augen von G”tt und dem Mitmenschen verwerflich sind, gehört auch das plötzliche Betreten des Zimmers des anderen, selbst in der eigenen Familie. Rabbi Akiwa sagte: “Betritt Dein eigenes Haus nicht ohne Ankündigung; dieses gilt umso mehr für das Haus eines Anderen” (B.T. Pessachim 112a).

Diese Ratschläge basieren auf einem Abschnitt im Genesis (3:9). Bevor G”tt Sich Selbst Adam gegenüber offenbarte, fragte er ihm: “Wo bist Du?” um ihm nicht zu überrumpeln. Eine Frage von guten Manieren.

Weitere Regeln im Bereich der Privatsphäre finden sich im Nachbarschaftsrecht. Der Talmud anerkennt, dass jeder das Recht auf ungestörte Privatsphäre hat, auch wenn es sich nur um die Aussicht des Anderen handelt. Voyeurs, also unangenehme Neugierige, werden vermieden, abgewehrt. Nachbarn dürfen keine Sichtfelder anbringen, von denen sie Einblicke bei ihren Nachbarn erzielen könnten.

Aber es geht um mehr. Die Privatsphäre von persönlicher Korrespondenz wird durch eine Aussage von Rabbejnu Gerschom aus dem zehnten Jahrhundert gewährleistet. Auf unser Jahrhundert bezogen bedeutet das ein Verbot, Telefongespräche ab zu hören oder das Veröffentlichen von Computerergebnissen, auch durch Regierungsstellen – mit Ausnahme des Falles von (ernsthaftem) Verdacht von strafbaren Handlungen, in Bereichen der Staats – oder Lebensinteressen.

Tora und Talmud bleiben aktuell.