BRÜDERLICHE UND SCHWESTERLICHE LIEBE – Parascha Behaalotecha

BRÜDERLICHE UND SCHWESTERLICHE LIEBE – Parascha Behaalotecha

BRÜDERLICHE UND SCHWESTERLICHE LIEBE

Nach der üblen Nachrede über Mosche, dawwente (betete) Mosche für das Leben der mit Lepra erkrankten, aussätzigen Mirjam. Mosche rettet das Leben seiner Schwester Mirjam.

Durch die modernen medizinischen Möglichkeiten kann ein Bruder das Leben seiner Schwester durch Transplantation retten. Geht das nicht schon viel zu weit? Ist es ethisch zulässig, einen seiner oder ihrer Brüder zu verwenden, um sein künftiges Schwesterchen vor einem sicheren Tod zu retten?

ADAM UND MOLLY

Am neunundzwanzigsten August zweitausend wurde Adam in Colorado geboren, um seine große Schwester Molly (sechs Jahre alt) zu retten. Molly litt an einer ernsthaften Blutkrankheit. Nur eine Transplantation konnte sie retten. Die Eltern entschieden, Molly zu helfen. Ein Embryo im Entstehen aus ihren eigenen Körperellen wurde der Mutter eingepflanzt; so entstand Adam. Kaum auf die Welt gekommen, wurde Molly mit Blut aus seiner Nabeschnur behandelt. Die einfachen Zellen aus dieser Nabeschnur können zur Bildung von roten Blutkörperchen verwendet werden; Molly selber produzierte diese roten Blutkörperchen nicht mehr.

Die Möglichkeit, dass diese Behandlung gelingen würde, wurde auf fünfundachtzig bis neunzig Prozent geschätzt. Inzwischen geht es Molly und Adam gut.

Dieser und ähnlich gelagerte Fälle lösen heftige Kontroversen aus. Dürfen Eltern auch nur eine Möglichkeit nicht nutzen, um ihr Kind zu retten? Darf man ein Kind dazu benutzen um ein anderes Kind zu retten? Wie wird Adam später, wenn er grösser geworden ist und die Umstände und die Absicht seines Entstehens erfährt, reagieren?

TIERVERSUCHE DURCH KREUZUNGEN

Gegner dieser Vorgehensweisen zitieren oft Nachmanides (tausendeinhundertvierundneunzig bis tausendzweihundertundsiebzig), der auf das Verbot eingeht, Tieren und Pflanzen zu kreuzen (Wajikra 19:19): „Der, der zwei unterschiedliche Arten mischt oder kreuzt, verändert die Schöpfung. Er sagt somit durch seine Vorgehensweise aus, dass die Schöpfung unvollkommen sei“.

War das Britische Ehepaar darauf aus, die Schöpfung zu verändern? Sicherlich nicht, außerdem hat G“tt die Welt absichtlich unvollkommen erschaffen, um den Menschen, als Partner G“ttes, die Möglichkeiten zu geben, die Welt zu vervollständigen. Medizinische Eingriffe tasten die Schöpfung nicht an, sie sind Tikun Olam, Verbesserung der Welt. Medizinisches Eingreifen ist laut der Thora selbst eine Mitzwah (Erfüllung eines Gebots).

NIE UM LEBEN GEBETEN

Darf man ein Kind in die Welt setzen, nur mit dem einzigen Zweck, einem Brüderchen oder Schwesterchen zu helfen? Wie positiv die Gründe von Eltern auch sein mögen, um Kinder zu bekommen, ein Kind selber hat nie darum gebeten, auf die Welt zu kommen. Rabbejnu Bachja ibn Pakuda (elftes Jahrhundert) besagt: „ Der Grad der Dankbarkeit, den wir unseren Wohltätern schuldig sind, ist diametral von der Absicht abhängig, uns zu helfen……wenn uns etwas Gutes zugeht, ohne dass der Wohltäter beabsichtigt, uns zu bevorzugen, schulden wir ihm keinen Dank.“

Rabbejnu Bachja sagt mit dieser Stellungnahme aus, dass die Motive von Eltern bei der Schaffung von Nachwuchs oft egoistisch und egozentrisch sind. Selbst das Behüten und die Erziehung, die Eltern ihren Kindern zukommen lassen, sieht er als einen Ausdruck eines angeborenen Elterninstinktes, wobei Dankbarkeit nun nicht unbedingt am Platze ist.

Ich denke, dass „die Sozialisierung des Geboren-Werdens“ für das Brüderchen des kranken Sains eine schöne Angelegenheit ist. Eltern haben eine biblische Verpflichtung, Kinder zur Welt zu bringen. Wenn das Kind dazu auch noch sein Brüderchen retten kann, ist das aus meiner Sicht selber eine Mitzwa, wie schlimm dieses sich auch anhören mag.

KEIN RECHT AUF NICHT-EXISTENZ

Noch gar nicht so lange her war beim Hohen Rat der Niederlande die Angelegenheit der behindert zur Welt gekommenen Kelly anhängig. Ihre Eltern hatten zu Verstehen gegeben, dass sie dem künftigen Leid von Kelly eine größere Gewichtung zuschrieben als an ihrem Leben und wollten sie aus diesem Grund abtreiben lassen. Durch Nachlässigkeit der Entscheidungsbeauftragten konnten die Eltern von ihrem Selbstentscheidungsrecht keinen Gebrauch machen. Der Hohe Rat entschied, dass die Entscheidungsbeauftragte den Eltern eine deftige Entschädigungssumme zu bezahlen hatte. Müssen wir uns vor künftigen Ansprüchen von „therapeutischen Babys“ fürchten wie vom Brüderchen von Sain, der mit der Behauptung, „er sei nur in die Welt gesetzt worden, um mein Brüderchen zu retten, was mich – in einem extremen Fall – äußerst depressiv macht“ Entschädigung beanspruchen könnte? Sicherlich nicht. Im Falle Kelly hat der Hohe Rat gerade KEIN „RECHT AUF NICHT-EXISTENZ“ anerkannt, da laut geltendem Recht für Eltern ein fundamentales Recht besteht, zu entscheiden, ob Kinder wohl oder nicht geboren werden sollen.