Probleme und Vorteile eines Schaltjahres

Probleme und Vorteile eines Schaltjahres

DER JÜDISCHE KALENDER – DAS MOND-SONNE-SYSTEM, DAS LUNISOLAIRE SYSTEM

Dieses Jahr haben wir zwei Monate mit dem Namen Adar. Wenn wir den zweiten Monat Adar einbauen, wird das Jüdische Jahr einen Monat länger. Es ist dann ein Jahr mit dreizehn jüdischen Monaten. So ein Jahr nennen wir ein Schaltjahr. Aber weshalb benötigen wir ein Schaltjahr im Jüdischen Kalender? Wie oft kommt ein Schaltjahr vor? Was ist der philosophische Hintergrund eines jüdischen Schaltjahres? Welche Bedeutung hat dieses für unsere jüdischen Feiertage? Wenn jemand im zweiten Monat Adar geboren wurde, feiert er dann seinen Geburtstag wann in einem normalen Jahr? Feiern wir in einem Schaltjahr zwei Mal Purim?

Die Jüdische Kalenderberechnung folgt in erster Linie die Mondbewegung um die Erde. Der jüdische Kalender kennt:

·       einen Wochenzyklus von Schabbat zu Schabbat,

·       einen Monatszyklus von Neumond zu Neumond und

·       einen Jahreszyklus von Pessach bis Pessach.

Das weltliche Jahr hier in Deutschland ist ein Sonnenjahr und richtet sich nach der Umkreisung der Sonne um die Erde.

Das Jüdische Jahr ist jedoch ein Mondjahr. Dieses Mondjahr wird jedoch überwiegend, soweit es geht, mit dem Sonnenjahr in Übereinstimmung gebracht.

Die Philosophie

Wieso ist bei uns der Mondkalender am wichtigsten? Da dieses so in der Thora steht (Exodus 12:2): „Dieser Monat ist für Euch der Anfang der Monate. Dieser Monat ist für Euch der erste der Monate des Jahres“. Dieser erste Monat war Nissan, der Monat von Pessach.

Der Mondkalender ist aber auch philosophisch beeinflusst: ein aufgehender und ein abnehmender Mond sind Symbole für die Erneuerung des Jüdischen Volkes. „Dem Mond gleichend, geht das Jüdische Volk nie verloren, selbst nicht in den dunkelsten Zeiten. Erneute Blüte und Wiederentstehung sind für alle Zeiten gesichert, so lange G“ttes Kinder IHM treu bleiben“, so der aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Rabbiner Hirsch (Frankfurt), der den Jüdischen Kalender den Katechismus des Judentums nannte.

Ohne Gleichschaltung mit dem Sonnenjahr würden die Jüdischen Monate und Feiertage die Saisons durchlaufen, wie dieses beim Islam der Fall ist. Im Islam sind Schaltjahre verboten, da dieses laut dem Koran eine “Hinzufügung von Nicht-Glauben“ sein würde. Als Folge hiervon schiebt sich der Ramadan durch das Jahr, er fällt mal in den Herbst und dann wieder in den Sommer.

Das Sonnenjahr

Das weltliche Jahr, auch bürgerliches Jahr genannt, fußt auf dem Lauf der Sonne. Julius Cesar legte den Sonnenkalender auf genau dreihundertfünfundsechzig und einen Viertel Tag fest.

Das Jahr dauert bei ihm dreihundertfünfundsechzig Tage und alle vier Jahre wurde ein Schalttag eingeführt. Spätere astronomische Berechnungen zeigten auf, dass Cesars Jahr elf Minuten und dreizehn Sekunden zu lang war.

Im Jahre fünfzehnhundertzweiundachtzig sah sich Papst Gregorius der Dreizehnte hierdurch gezwungen, den Kalender zu reformieren, indem er 10 Tage einfach strich. Der fünfzehnte Oktober fünfzehnhundertzweiundachtzig folgte direkt nach dem vierten Oktober.

Kombination

Das Jüdische Kalendersystem ist eine Kombination eines Sonnen- und eines Mondjahres, das sogenannte lunisolaire System. Das Judentum muss  auch die Jahreszeiten berücksichtigen, da die Thora vor schreibt, dass Pessach, das Jüdische Ostern, im Frühling und Sukkot (das Laubhüttenfest) in den Herbst fallen müssen.

Die Unterschiede zwischen dem Mondjahr mit etwa dreihundertvierundfünfzig Tagen und dem Sonnejahr mit etwas mehr als dreihundertfünfundsechzig Tagen werden harmonisiert, indem sieben Mal in den 19 Jahren ein zweiter Monat Adar am Anfang des Frühlings eingeschoben wird.

Die Jahren drei, sechs, acht, elf, vierzehn, siebzehn und neunzehn des sogenannten kleinen Kreislaufs (des Mondkreislaufs von 19 Jahren) sind Schaltjahre, womit der Unterschied zwischen Sonne- und Mondjahr fast komplett ausgeglichen wird. Dieses Muster ist eine Folge des stabilen Kalenders, der vor etwa tausendsechshundertfünfundsiebzig Jahre durch Hillel II festgelegt wurde. Davor kannte der Jüdische Kalender nicht so eine feste Regelmäßigkeit. Jeder neue Monat wurde durch den Sanhedrin zu Jerusalem ad hoc fest gelegt, nachdem die erste Mondsichel wahr genommen wurde. Jedes Schaltjahr wurde umgehend eingesetzt oder entfiel, wenn Erscheinungen in der Natur hierzu Veranlassung gaben.

Die Klugheit der Jüdischen Zeiterrechnung

Der Oberrabbiner von Algier, Rabbi Schimon ben Semach Duran (um das Jahr tausendvierhundert) wurde irgendwann dreist gefragt, weshalb die Jüdische Zeiterrechnung den Lauf des Mondes benutzt, wodurch wir „gezwungen werden, Schaltjahre ein zu führen, um mit dem Sonnenjahr ins Gleichgewicht zu kommen?“. Rabbi Schimon erwiderte scharf, dass unsere Zeiterrechnung ein Beweis großer Weisheit sei: „Der Kreislauf der Sonne ist nicht in Monaten ein zu teilen. Die hier übliche Einteilung der Monate ist etwas künstliches, das nach Vereinbarung erfolgt, aber nicht den Lauf der Natur berücksichtigt. Viele Weise der antiken Völker haben unsere Zeiterrechnung gepriesen…Sie nehmen also Anstoß an etwas, dass gerade ein Verdienst und eine Vorzüglichkeit unserer Lehre ist und Sie würden sich wünschen, dass wir wie diejenigen würden, die sich im Dunkeln befinden, während es „für alle Kinder Israels Licht gibt“!?“.

Zehn Sefirot

Das Jüdische Mond-Sonne-Kalendersystem beinhaltet noch einen tieferen Aspekt mystischer Art. In der Kabbala wird behauptet, dass die Anwesenheit G“ttes dermaßen überwältigend sei, so dass ER SICH ganz eindeutig aus dem physischen Universum hat zurücknehmen müssen, um ein „unabhängiges“ irdisches Leben zu ermöglichen. Die Zurückname G“ttes dient dazu, um Seine Ausdehnung von Licht und Leben verborgen zu halten. Nur ein minimaler „Strahl“ des G“ttlichen Lichtes erreicht die Geschöpfe. Die Welt wird in den Zehn  Sefirot gelenkt und aufgelistet, den zehn Sphären der Ausstrahlungen, die G“ttes Werkzeuge bilden, um das irdische Leben zu regeln.

Männlich und weiblich

Das männliche Element darin ist das „Gebende“ und das Weibliche wird das „Entgegennehmende“ bezeichnet. In diesem mystischen System wurde die Sonne in der sechsten Sphäre platziert, die auch nach unserem Erzvater Ja’akov benannt wurde. Der Mond – der Empfänger des Sonnenlichtes – steht in der zehnten Sphäre, die auch wohl mit dem Namen unserer Erzmutter Rachejl gezeigt wird. Das Mond-Sonne-System harmonisiert somit nicht nur naturwissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch das männliche und das weibliche Element in der Himmelsphäre. Der Jüdische Kalender widerspiegelt also das zentrale Ideal von totaler Harmonie im Universum, von oben bis unten, in wissenschaftlichen Bezeichnungen und Inhalten.

Probleme

Früher wurde jeder neue Monat und jedes Schaltjahr durch den Sanhedrin zu Jerusalem festgelegt, nachdem Zeugen mit der Aussage kamen, dass sie den Neumond gesehen hätten. Die Mischna (Edujot 7:7) vermerkt, dass ein zweiter Monat Adar auch nach Purim (15. Adar) eingesetzt werden konnte: „Rabbi Jehoschu’a und Rabbi Papias bezeugten vor dem Hohen Gerichtshof Sanhedrin (dass nach der Zerstörung des Tempels im Jahre siebzig nach der Zeitrechnung in Jawne tagte), dass der Schaltjahrmonat Adar II während des gesamten Monats Adar I festgestellt werden konnte“.

Welcher Adar ist der Wichtigere?

Aber ab Mitte des vierten Jahrhunderts weist der Jüdische Kalender ein genaues und vorhersagbares Muster auf. Der Talmud (J.T. Megilla 1:5) wirft eine Frage auf, die auch heutzutage sehr aktuell ist: „Welcher Monat wurde nun „hinzu gefügt“, Adar I oder Adar II?“. Welcher Adar ist nun der Tatsächliche und welcher der Schaltjahrmonat? Der Talmud gelangt zur Entscheidung, dass der zweite Adar der wichtigere sei.

Dieses ist für verschiedene Ereignisse im Jüdischen Leben, wie die Begehung der Bar-Mitzwa, bedeutend. Ein Junge, der in einem „normalen“ Jahr im Monat Adar geboren wurde oder wird, hat seine Bar-Mitzwa in einem Schaltjahr erst im Monat Adar II. Ist man aber in einem Schaltjahr im Monat Adar II geboren, wird man in einem „normalen“ Jahr Bar-Mitzwa im üblichen Monat Adar.

Bar-Mitzwa-Unwegsamkeiten

Rabbi Jossejf Karo beschreibt im Jüdischen Kodex Schulchan Aruch (I:55:10) einen bemerkenswerten Fall: „Zwei Jungens werden im selben Schaltjahr geboren, der eine am neunundzwanzigsten Adar I und der zweite etwas später am ersten Adar II. Nach dreizehn Jahren ist das Jahr, in dem sie ihre Bar-Mitzwa haben, ein normales Jahr mit nur einem Monat Adar. Der zuletzt geborene feiert nun seine Bar-Mizwa am ersten Adar, aber der erstgeborene Junge muss bis zum neunundzwanzigsten Adar auf seine Bar-Mitzwa warten“!

Das Kaddisch

Ein anderes Problem bildet das Kaddisch-Sprechen an Jahrzeit eines verstorbenen Elternteils. Ist ein Elternteil im Adar in einem normalen Jahr verstorben, muss dann Kaddisch in Adar I oder Adar II gesprochen werden? Diese Frage behandeln die Autoritäten unterschiedlich.

Der Sefardische Rabbi Jossejf Karo (I:568:7) ist der Meinung, dass man den Jahrzeittag in Adar II begeht.

Der Aschkenasische Rabbi Mosche Isserles stimmt dem nur zu, wenn auch das Versterben im Monat Adar II eines Schaltjahres erfolgte. Verstarb der Mensch in einem normalen Jahr, dann verwenden die Aschkenasischen Juden als Tag des Jahrzeits im Monat Adar I. Nicht desto trotz vermerkt Rabbiner Isserles, das Manche sowohl in Adar I wie in Adar II am Jahrzeittag fasten.