Wahrheit, Lügen und Frieden – Parascha Wajechi

Wahrheit, Lügen und Frieden – Parascha Wajechi

Die Brüder von Jossejf hatten verstanden, dass sie ihren Vizekönig-Bruder nicht anständig behandelt hatten. Gelinde gesagt. Und dass sie den Frieden wiederherstellen sollten. Mit allen möglichen Mitteln.

Nachdem ihr Vater Jaakow in Israel begraben worden war, kehrten die Brüder mit Jossejf nach Ägypten zurück. Unterwegs ging Jossejf am Loch vorbei, in dem seine Brüder ihn gesteckt hatten. Er wollte dort eine Beracha (einen Segenspruch) über die Tatsache machen, dass er dort vor neununddreißig Jahren aus einem Loch voller Schlangen und Skorpionen gerettet wurde.

Jossejf schaute wohl sehr lange in dieses Loch. Seine Brüder befürchteten, dass er über Rache nach dachte. Als sie in Ägypten zurück gekehrt waren, lud Jossejf seine Brüder nicht mehr ein. Dieses erfolgte nicht aus dem Grund, er würde sie hassen, sondern da er sich mit dem Prozedere der Reihenfolge keinen Rat wusste. So lange sein Vater Jaakow gelebt hatte, wurde Jossejf immer an das Kopfende des Tisches gesetzt. Aber nach seinem Ableben wollte Jossejf weder die Einteilung seines verstorbenen Vaters bei behalten, noch selber eine neue Regelung treffen.

Er konnte den erstgeborenen Ruben nicht auf dem wichtigsten Platz setzen und er wurde sich auch bewusst, dass Jehuda, der eine Position als König hatte, nicht als zweiter gesetzt werden konnte. Um diese Problematik der Bevorzugung zu vermeiden, lud Jossejf seine Brüder überhaupt nicht mehr ein.

Bilha als Mediatorin 

Die Brüder baten Bilha, die nach dem Tode von Rachel wie eine Mutter zu Jossejf gewesen war, Jossejf zu sagen, dass ihm Vater Jaakow, kurz vor seinem Tode, einen versöhnenden Auftrag gegeben hatte: „Verzeih doch die Untaten Deiner Brüder, auch wenn sie Dir Schlimmes angetan haben“. Es war klar, dass Jaakow dieses nie vor seinem Tod gesagt hatte.

unwahre Mitteilungen um des lieben Friedens willen

Es ist jedoch, unter sehr begrenzten Umständen, erlaubt, unwahre Mitteilungen zu machen, des lieben Friedens willen. Jossejf weinte, als man so zu ihm sprach. Er empfand es als furchtbar, dass die Brüder ihn verdächtigen könnten, dass er Rache nehmen würde, obwohl dieses durch die Tora verboten wird: „Du sollst Dich nicht ärgern und keinen Groll hegen“ (Leviticus 19:18). Also gingen die Brüder zum Palast von Jossejf und fielen vor ihm auf die Knie. Sie sagten: „Wir sind bereit, Deine Sklaven zu werden!“ Aber Jossejf sprach zu ihnen: „Fürchtet Euch nicht. Nehme ich in etwa den Platz G“ttes ein? Ihr führtet vielleicht etwas Böses gegen mich im Schild, aber G“tt hat das zu Gutem verwandelt, sodass ER machen konnte, wie das heute geschieht: ich halte ein großes Volk am Leben“.

Jossejf tröstete seine Brüder 

Jossejf erinnerte die Brüder daran, dass die Juden mit dem Sand des Meeres verglichen werden. Der ist unverwüstlich. Darüber hinaus betonte Jossejf, dass Jaakow sie in seiner Schlußberacha mit den Tieren im Wald und auf den Feldern verglichen hatte: die können nicht ausgerottet werden. Auf der Welt muss es zwölf Stämme geben als Gegensatz zu den zwölf Monaten, zu den zwölf Sternenbildern und zu den zwei mal zwölf Stunden des Tages. Dieses hat G“tt so in der Schöpfung angeordnet. Ohne dieses kann das Universum nicht existieren. Die Brüder waren die zwölf Stammesväter und würden spirituelle Bojen für den Rest der Welt werden. Zehn Brüder konnten Jossejf nicht umbringen. Jossejf sagte zu ihnen: „Kann dann EIN Bruder wohl zehn Brüder umbringen? Habet keine Angst. Ich werde Euch und Euere Kinder versorgen“.

königliche Familie von Avraham, Jitzchak und Jaakow

Jossejf tröstete seine Brüder und sprach zu ihren Herzen. Er versuchte sie weiterhin davon zu überzeugen, dass er sie absolut nicht töten wollte, denn dann würden die Ägypter seine Abstammung anzweifeln. Jossejf war im Ansehen gestiegen, indem er jetzt beweisen konnte, dass er zur königlichen Familie von Avraham, Jitzchak und Jaakow gehörte: „Wenn ich Euch tötete, würde jeder begreifen, dass Ihr kein Teil der Familie wäret. Habet keine Angst!“.

Der Friede übersteigt die Wahrheit

Die Moral der Geschichte: der Friede übersteigt die Wahrheit. Manchmal nützt eine kleine Lüge zur Güte, um den Frieden zu erhalten.

Trotz seiner guten Absichten, verstarb Jossejf als erster seiner Brüder. Laut dem Talmud geschah dieses, durch eine einigermaßen negative Eigenschaft bedingt. Jossejf fühlte sich etwas übergeordnet und spielte sich ab und zu als Herrscher auf. Als seine Brüder nach Ägypten kamen, hörte Jossejf, wie sie ihren Vater Jaakow als seinen „Diener“ betitelten. Er protestierte jedoch nicht dagegen.

Da er seinem Vater nicht gebührend Ehre erwiesen hatte, wurde sein Leben verkürzt. Das Ehren der Eltern führt zu einem längeren Leben (Sjemot/Exodus 20:12). Gerade bei großen Geistern gilt: hohe Bäume fangen viel Wind.