Was ist die Bedeutung von Schabbat?

Was ist die Bedeutung von Schabbat?

SCHABBAT WELTWEIT

Was schwebte unseren Chachamim, unseren Gelehrten, vor, als sie die Schabbat-Ruhe ausdehnten und noch mehr Dinge verboten, um ganz sicher zu gehen, dass die im Mittelpunkt stehende Schabbat-Ruhe in keinster Weise in Gefahr geraten könnte?

Wie sollten wir Arbeit und Ruhe wertschätzen? Was ist ihr Verhältnis zu einander? Was ist die Aussage und Ziel von Schabbat?

DAS FEIERN DES SCHABBATTES: LOSLÖSUNG VOM IRDISCHEN

Stress und Beeilung, Gesundheitsproblematik und Zeitmangel sind Merkmale unserer heutigen Arbeitswoche. Der Kampf gegen eine alles verschlingende 24-Stundenökonomie führt uns geradeaus zur großen Gewichtung, die die Thora dem Feiern des Shabbattes bei misst.

Der Ruhetag aus der Thora ist gekennzeichnet durch ein intensives persönliches und erweitertes Familienleben, ein reges Tora- und Talmudstudium und durch den Synagogenbesuch. Das „nichts Neues schaffen“ und „das nicht Herstellen und Erstellen“ stehen an diesem Tag im Mittelpunkt. Man sollte von jedem Handeln absehen, das als geplantes und zielgerechtes Produzieren angesehen werden könnte.

An Schabbat wird am Tisch, um den sich alle Anwesenden geschart haben, gesungen und gelernt und Gäste sind willkommen. Das Telefon, das Radio sowie alle anderen elektrischen Geräte werden nicht betätigt und das Auto hat ebenfalls einen „Ruhetag“. Alle diese Fakten bewirken eine körperliche Ruhe, mit genügend Möglichkeiten zum geistigen Wachstum und Entspannung.

Die Wirtschaft in unserem Land läuft auf vollen Touren. Sie ist der Motor unseres Wohlstandes. Manche Betriebe arbeiten rund um die Uhr, vierundzwanzig Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Die 24-Stundenökonomie beachtet nicht unsere körperlichen und seelischen Zeitabläufe. Dieses hat Folgen für unsere körperliche und geistige Gesundheit. Zudem leidet das soziale Leben bei abweichenden Arbeitszeiten.

Eltern können für die Erziehung ihrer Kinder weniger Zeit erübrigen, wodurch auch die Werte und Normen, die eine Familie sich zusammen teilen, in Bedrängnis geraten und somit auch die Weitergabe hiervon problematischer wird.

Das zusammen Erleben religiöser Werte und das mit einander Innehalten bei der Überlegung richtungweisender Fragen bilden wichtige Elemente im menschlichen Sein. Der Mensch hat das Bedürfnis an Überlegung, Zeit und Raum, um seine Beziehung zu G“tt, – neben der Verbindung zum Mitmenschen – aufrecht zu halten.

ZUSAMMEN KOMMEN, UM ZU SICH ZU KOMMEN

Unser Zusammenleben benötigt darüber hinaus einen gemeinsamen freien Tag.

Einen besonderen Tag, an dem Menschen etwas Anderes machen, als an normalen Tagen und dabei durchweg die Gesellschaft anderer Menschen suchen. Die Ruhe wird ein kostbares und seltenes Gut in unserem Zusammenleben. Es muss einerseits eine gleichgewichtige Abwägung zwischen Konsumenteninteressen und wirtschaftlichen Interessen erfolgen und andererseits zwischen Wünschen, die das private und soziale Leben betreffen.

Die Bevorzugung wirtschaftlicher Faktoren führt dazu, dass wesentliche Dinge aus dem Blickfeld verschwinden.

WAS IST DER SINN DES SCHABBATTES?

Schabbat ist die Krönung der Schöpfung. Die Schabbat-Ruhe ist ein Gebot der Thora.

In den Zehn Geboten wird die Shabbat-Ruhe wie folgt formuliert:

„Gedenke den Shabbat-Tag, um ihn zu heiligen; sechs Tage sollst Du arbeiten und all Dein Werk verrichten, aber der siebente Tag ist der Schabbat (Ruhe) des Ewigen, Deinem G“tt; dann sollst Du keine Arbeit verrichten, weder Du, noch Dein Sohn oder Deine Tochter, noch Dein Knecht oder Deine Magd, noch Dein Vieh, noch der Fremdling, der in Euerer Mitte weilt. Denn in sechs Tagen hat der Ewige Himmel und Erde geschaffen, das Meer und alles, was sich darin befindet; und ER unterbrach Seine Arbeit am siebenten Tag; deshalb segnete G“tt den siebenten Tag und heiligte ihn“ (Exodus 8:11)

Beim Lesen dieser Worte entsteht immer als erstes die Frage, in welche Kategorie die Vorschrift der Shabbat-Ruhe nun eigentlich passt: in die Kategorie Mensch-Umwelt, in das Verhältnis Mensch-G“tt oder ist das eine soziale Vorschrift mit Bezug zum Menschen und seinem individuellen oder gesellschaftlichen Wohlbefinden.

Und was bedeuten die Wörter „all Dein Werk verrichten“? Wie können wir nun ruhen, als ob alle Arbeit erledigt sei?

„Sechs Tage sollst Du arbeiten und all Dein Werk verrichten“. Ist es für einen Menschen überhaupt möglich, innerhalb von sechs Tagen seine gesamte Arbeit zu erledigen? Nein! Aber „ruhe, als ob Deine gesamte Arbeit erledigt sei!“ ist eine alte jüdische Weisheit.

LEBEN ODER ARBEITEN

Leben wir um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu leben? Handelt es sich um das Sein oder um das Haben? Die Schabbat-Ruhe stößt uns mit unserer Nase auf die Frage unserer letztendlichen Bestimmung. Der Mensch und der Shabbat sind gegenseitige Partner. Rabbi Schimon bar Jochai (Anfang des zweiten Jahrhunderts) lehrte wie folgt:

„Der Shabbat sprach zu G“tt: „Herr der Welt, alles, was Du geschaffen hast, hat einen Partner. Aber ich habe keinen Partner!“ Da sprach G“tt zum Shabbat: „Das Volk Israel wird Dein Partner sein“.

Als Israel am Fuße des Berges Sinai stand, sprach G“tt zu Ihnen: „ Erinnere Dich, dass ich zum Shabbat sprach: das Volk Israel wird Dein Partner sein: Gedenke des Shabbat-Tages, ihn zu heiligen (Ex. 20:8).

SICHTBARES ZEICHEN VON VERBUNDENHEIT

In diesem Midrasch (Hintergrunderklärung) wird die Verbindung zwischen der Heiligung des siebenten Tages durch G“tt in Genesis 2:3 und dem Auftrag an den Menschen, den Shabbat zu heiligen, in Exodus 20:8 gelegt. Der Shabbat-Ruhetag ist ein deutliches und sichtbares Zeichen der Verbundenheit zwischen G“tt und dem Volk:

„Weshalb ist Levi’s Laden geschlossen? Weil er den Shabbat einhält. Warum hat Cohen mit seiner Arbeit aufgehört? Weil er den Shabbat beachtet. Derjenige, der den Shabbat „feiert“, also den Shabbat heiligt, legt Zeugnis ab von G“tt, der die Welt geschaffen hat, dass ER SEINE Welt in sechs Tagen geschaffen hat und am siebente Tag ruhte. So vermeldet auch der Prophet Jesaja: „Ihr seid meine Zeugen, ist die „G“ttesaussage und ICH bin G“tt (43:12)“.

AUGENBLICK DES INNEHALTENS

Unser heutiges Zusammenleben verbreitet die Ansicht, dass jeder so weit wie möglich autonom sein sollte. Wenn Du das schaffst, ist es in Ordnung. Wenn Du aber eine Begleitung und eine schützende Hand benötigst, wird das Leben fast unmöglich. Die individuelle Autonomie scheint das höchste Ideal zu sein und gilt als eine heilige Kuh des vollständigen Liberalismus. Sie hat sich mittlerweile zu einer festen Epidemie entwickelt.

Auf vielen Gebieten ist dies die Herausforderung dieses Jahrhunderts. Die menschliche Kreativität scheint zu entgleiten. Gerade in unserer Zeit ist diese Gefahr größer denn jäh. Das sich Einschränken ist deshalb die einzige Garantie für die weitestreichende grundsätzliche Art von Freiheit, nämlich die Verhinderung des Unterganges.

TOTALE RUHE

Alle Geschöpfe, egal welcher Art und Sorte, teilen unsere Freiheit. An Shabbat zeigen wir, dass wir nicht die Eigentümer der Schöpfung sind, sondern dass wir diese als ein Geschenk von Oben betrachten.

Nur bei voller Überzeugung der Notwendigkeit nach Ruhe und Besinnung, wird der Shabbat-Gedanke seinen segensreichen Einfluss ausüben können. Besteht diese Überzeugung nicht, hört man wohl mit der Arbeit auf, aber die zutiefst läuternde Wirkung des Ruhetages wird dem Workaholic nicht zuteil kommen.

AUSSTIEG AUS DEM CIRCULUS VITIOSUS, AUS DEM UNSELIGEN KREIS

Dürfen wir so einfach Schlüsse bezüglich der Folgen und Auswirkungen der Ge-und Verbote der Thora ziehen?

Geht es denen, die die Gebote befolgen, automatisch gut und bleiben die gehetzten „Yuppies“ in einem unseligen Kreis von Unruhe und Nicht-Besinnung gefangen? Ein unaufhaltsamer Strudel von sich stets vermehrender körperlicher Aktivität und immer weniger Spiritualität? Nein! Zu jeder Zeit kann der Mensch den Teufelskreis seiner eigenen Defizite unterbrechen, beenden, entweder mit Unterstützung durch eine von Oben erfolgten Eingebung oder durch ein gerade eingetretenes Ereignis. Früher oder später begegnet jeder ehrliche Mensch sich selber und wird mit der Frage konfrontiert „was tue ich eigentlich in dieser Welt, wofür oder weshalb arbeite ich so schwer?“.

ALTER

Die Talmud-Weisen vergleichen den siebentäglichen Arbeit- und Ruhezyklus:

  • mit den sechs Jahren und dem Shabbat-Jahr,
  • mit den sechzig aktiven und zehn weniger aktiven Jahren im Leben des Menschen und

· mit den sechs mal Tausend Jahren, den sechs Millenien, die durch das siebente Tausend Jahr des Königreich G“ttes in den Messianischen Zeiten gekrönt werden sollen.

Das Siebente in allen diesen Zeiteinheiten ist höheren Bestrebungen gewidmet.

Wenn der geistige Tiefpunkt während des aktiven Teil des Lebens noch nicht erreicht wurde, gibt es eine Aufholmöglichkeit. Auch nach dem Erreichen der Pensionsgrenze bleibt spirituelles Wachstum noch immer Pflicht und Notwendigkeit. Die Thora kennt keine zeitliche Beschränkung im Alter, obwohl die Kohanim – die Priester – im Tempel nach ihrem fünfzigsten Lebensjahr nicht mehr bei den schwierigsten Teilen ihrer bisherigen Arbeit eingesetzt wurden.

Der Thorakommentator Awraham ibn Esra (1092-1167) macht deutlich, dass das Ziel, der Sinn des Siebenten, des Shabbat-Jahres, die Vertiefung der Verbindung mit dem Höheren ist. Rabbi Ja’akov Kuli (1689-1732) weitet dieses ins siebente Decennium aus, ungefähr dem Zeitraum entsprechend, in dem die meisten Menschen unserer Gesellschaft mit der aktiven Arbeit aufhören. Gerade dann ist es geboten, an der geistigen Zukunft zu arbeiten. Mit dem Blick auf die Endlichkeit des Lebens, sollte jeder Mensch am Tage seiner Pensionierung völlig frei sein, um sich dem Höheren zu widmen.

NEUBEGINN?

Gerade am Ende des Lebens kann man auf den Kenntnissen, Erfahrung der G“ttesfreude der ersten sechzig Jahre des Lebens weiter aufbauen. Die körperlichen Gelüste haben deutlich abgenommen und der Geist ist gereift und gesäubert, frei von den alltäglichen Belastungen.

Unsere Weisen fragen sich, ob der Shabbat hauptsächlich das Ende einer aktiven Woche bedeutet und dazu dient, sich von der Arbeit aus zu ruhen oder hauptsächlich im Zeichen der kommenden Woche steht und deshalb gerade die Vorbereitung für sechs Tage voller schäumender Aktivität sei. Der gleiche Gedanke passt zur letzten Phase des Lebens. Dient diese, um sich von den aktiven sechzig Jahren zu lösen oder stehen diese Jahre im Zeichen des Ewigen Lebens, das kommen wird, dem Zeitraum, der „immer Shabbat“ genannt wird, also auch mit dem „Jenseits“ bezeichnet?

WAS WAR DER INHALT, DER SINN DES LEBENS?

„Die Eltern sind die Krone der Kinder“ (Sprüche 17:6). Nach der Pensionierung zeigt man, wofür man sich das ganze Leben lang eigentlich eingespannt hat. Da nun der Druck der täglichen Beschäftigungen gewichen ist, zeigt der Pensionierte, was aus seiner Sicht die Essenz, also das Ergebnis des Lebens, sei. So wird auch für seine oder für ihre Umgebung klar, dass bei Vater oder Mutter, Opa oder Oma, die ewigen Werte der Thora immer an oberster Stelle der Prioritätenliste gestanden hatten, auch wenn die täglichen Umstände es nicht immer ermöglichten, dem Auftrag der Thora völlig zu entsprechen. Ein Jeder kann sich die Werte und Normen der Thora zu eigen machen. Gutes Beispiel steckt an! Glücklich kann der oder sie sich schätzen, der oder die in einer häuslichen- und Familientradition aufwächst, in der das Thora-Shabbat-Ideal vollständig praktiziert wird.

RESUME

Arbeiten ist seit dem Sündenfall wichtig, aber geistige und körperliche Ruhe verdient, ja, sollte mehr Beachtung finden. Wir sind auf Ruhe(pausen) ausgerichtet, wir halten Ausschau nach kürzeren oder längeren Ferien, aber einen festen, wirklich durchgehenden echten Ruhetag, räumen sich nur sehr Wenige ein.

Der Arbeitsfluch aus dem Paradies, das Eingespannt sein durch die Arbeit, schafft die Notwendigkeit, sich aus zu ruhen. Aber in unserer säkularen Gesellschaft lässt sich niemand einen verpflichtenden Ruhetag vorschreiben, da man selbst wohl entscheidet, was uns wann notwendig sei.

Aber religiöse Menschen „haken ein“ im G“ttlichen Strickmuster des wöchentlichen Ruhetages und verbinden sich so mit dem Schöpfer.

Wenn wir den Shabbat einhalten, sind wir es gewohnt, dass viele Andere eine andere Zeitbestimmung haben und diesen Tag anders wertschätzen. Wir sind immer unserer Umwelt gegenüber tolerant gewesen und haben unseren Willen nie Anderen aufgezwungen.

Wir kennen keine Mission oder Jihad. Wir brauchen niemandem von unserer religiösen Einstellung zu überzeugen. Wir befolgen unsere eigenen Traditionen und benötigen hierfür nicht das eingeholte Einverständnis der Mehrheitsgesellschaft. Die Anweisungen G“ttes, die wir bis heute erleben und durchführen durften, genügen uns.