Was machten Eisavs Eltern falsch?

Was machten Eisavs Eltern falsch?

Aufgrund der äußeren Ähnlichkeit von Zwillingen und der (anfänglichen) Harmonie zwischen ihnen, tendieren viele Zwillingseltern dazu sie gleich anzuziehen, gleich zu behandeln und auch gleich zu erziehen. In unserer individualisierten Gesellschaft ist diese Einstellung jedoch alles andere als gesund für ihre individuelle Entwicklung und kontraproduktiv für den Ausbau einer eigenen und selbstständigen Persönlichkeit. Bei Zwillingen ist das wegen ihrem (fast)identischen Aussehen besonders wichtig, aber dies gilt genauso auch die Erziehung von Nicht-Zwillingen. Wenn man zwei verschiedene Kinder gleich erzieht, ohne auf die Stärken und Bedürfnisse jedes Einzelnen zu achten, wird mindestens eines der Kinder Schäden davontragen. Wie wichtig das ist und wie verheerend die Folgen von vernachlässigter Rücksicht auf die besonderen Fähigkeiten eines Kindes sein können, lernen wir aus unserem Wochenabschnitt:

Nach vielen Jahren der
Kinderlosigkeit und endlosen Gebeten geht Yizchak und Rivkas Kinderwunsch sogar
doppelt in Erfüllung. Die Zwillinge, Eisav und Yaakov, unterscheiden sich
äußerlich sehr stark voneinander und haben auch verschiedene Persönlichkeiten.
Eisav ist ein sehr aktives Kind, mit natürlichem Charme und ist außerdem
äußerst sprachgewandt. Yaakov ist genau das Gegenteil, ein stiller und
schüchterner Junge mit großem Interesse am Lernen und Studium der Tora. Die
ersten 13, nach anderen Meinungen, 15 Jahre unterschied sich ihre Entwicklung
kaum und beide machten große Fortschritte. Sobald sie aber ihr 13. bzw. 15.
Lebensjahr erreichten, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden
Zwillingen. Plötzlich war Eisav ein Verbrechner, welchem das Wort „Moral“
unbekannt zu sein schien. Der Medrasch berichtet, dass er an seinem 13. bzw.
15. Geburtstag fünf schreckliche Sünden, wie Mord und Ehebruch, begangen hatte.
Offensichtlich war er auf die schiefe Bahn geraten, obwohl er und sein
Zwillingsbruder Yaakov im selben Haus aufgewachsen sind und genau die gleiche
Erziehung genossen haben.  

Was führte dazu, dass Eisav,
trotz der Erziehung von Yizchak, den Pfad der Gerechten verließ und zum größten
Feind Yaakovs und des jüdischen Volkes wurde?

Rav Schimchon Refael Hirsch
erklärt in seinem Kommentar zum Chumasch, dass die Verwandlung Eisavs auf einen
großen Fehler während seiner Erziehung zurückzuführen ist: Er zitiert den Vers
in Mischlei (Kap.22, Vers 6) “חנוך לנער על פי דרכו“ – „Erziehe das Kind nach seinem Weg“. Die
Aufgabe der Eltern ist es, die besonderen Stärken und Begabungen jedes Kindes
zu erkennen und sie gezielt darin zu fördern. Jedes Kind hat unterschiedliche
Interessen und Fähigkeiten, welche schon im jungen Alter erkennbar sind und
berücksichtig werden müssen. Zum Beispiel, ein aktives Kind, welches neben ein
Buch gesetzt wird und man von ihm erwartet, dass es die Liebe zum Lesen
entwickelt, wird bei dieser Tätigkeit alles andere als glücklich sein. Auch
wenn es, aus Angst oder Respekt vor den Eltern, ihrem Wunsch Folge leisten und
lesen wird, wartet es nur darauf, von dieser Bürde befreit zu werden und wird
in Zukunft sicherlich kein Buch zur Hand nehmen.

Genau diesen Fehler machten
Yizchak und Rivka bei Eisavs Erziehung (man muss Rav Hirsch sein, um behaupten
zu können, dass unsere Stammväter Fehler gemacht haben): Sie wollten Eisav
genauso erziehen, wie Yaakov, berücksichtigten aber nicht, dass sein Charakter
und seine Persönlichkeit dafür nicht geeignet waren. „Wer Yaakov und Eisav auf
dieselbe Schulbank setzt und beide zur philosophischen und akademischen Lebensweise
trainiert, wird einen von ihnen verderben“, schreibt Rav Hirsch. Hätten sich
Eisavs Eltern mehr in seine Persönlichkeit vertieft und diese berücksichtigt,
würde Eisav ebenfalls zu einem großen Menschen heranwachsen, auf seine eigene
Art. Vielleicht nicht so groß wie Yaakov, vielleicht aber noch größer, denn mit
seinen eingeborenen Fähigkeiten und seinem starken Charakter könnte er G´ttes
Willen in dieser Welt verbreiten. Stattdessen entwickelte er eine Abneigung
gegen alles, was mit Religion zu tun hat, widmete sich ausschließlich den
Vergnügen dieser Welt, ohne die Grenzen der Moral zu beachten und wurde zu
unserem größten Feind.