„Wegschauendes“ Verhalten kann ein Segen sein – Parascha Noach

„Wegschauendes“ Verhalten kann ein Segen sein – Parascha Noach

Im Zeitabschnitt von Noach und den Ereignissen von damals finden sich zwei bemerkenswerte Bereiche über Normen und Werte, die in unserem aktuellen Lebensbereich von Frau Merkel und Eurokrise vollauf aktuell sind.

Die Tora betont zwei Mal, dass „Schem und Jafet die Nacktheit ihres Vaters nicht sahen“.

Sie
gingen bei ihrem Versuch, selber nicht zu sehen, was sich nicht
gehört, bis zu ihren Grenzen.

unsere
Selbstliebe überdeckt unsere Versäumnisse

Der
Ba’al Schem Tow (achtzehntes Jahrhundert) schreibt: „Wenn wir bei
einem anderen einen Fehler sehen, ist dieses ein Zeichen, dass wir am
gleichen Übel leiden. Es ist, als ob Du in einen Spiegel schaust.
Wenn Du in Deinem Gesicht hässlich oder auch nur schmutzig bist,
siehst Du Deine eigenen Flecke bei einem anderen“. Da unsere
Selbstliebe unsere Versäumnisse überdeckt, benötigen wir den
anderen, um uns unserer eigenen Fehler bewusst zu werden!

Laut
dem Talmud sollen wir unseren nächsten – ohne allzu viel Porzellan
zu zerschlagen – maßregeln, auch wenn das Hundert mal sein würde.
Was mit einem anderen geschieht, ist nicht nur für uns, sondern auch
für unseren nächsten wichtig. Aber alle unsere Gespräche sollten
auf eine nette und einfühlsame Weise erfolgen. Sowohl zu uns selbst,
wie zu anderen. Dieses ist ein äußerst wichtiger Fingerzeig, gerade
in unserem „Zeitalter der Kommunikation“.

Auch eine unpassende Sprache ist nicht angebracht. Als die Tiere kurz vor der Sintflut zur Arche zogen, beschreibt die Tora die unreinen Tiere als „Tiere, die nicht rein seien“ (9:23). Obwohl es sich hier um Raubvögel und Raubtiere handelt, möchte die Tora nicht das unsympathische Wort „Tamej“ (Unrein) verwenden.

Aus
unserem Mund und in unsere Herzen hinein

Beide
sind wichtig: was aus unserem Mund heraus kommt und was in unsere
Herzen hinein kommt. Beide berühren unsere Psyche. Aber auch, wie
wir mit uns selber umgehen, bestimmt unser Auftreten dem anderen
gegenüber. Genau so, wie wir unsere eigenen Unzulänglichkeiten so
schnell wie möglich hinter uns bringen möchten, sollten wir
Anderen, zur Verzeihung geneigt und menschlich, entgegen treten.

Sehen
und sprechen

Wenn
wir andere „abdriften“ sehen, sollen wir sie liebevoll wieder auf
den richtigen Weg bringen. Aber die Fehler, die wir bei anderen
bemerken, zeigen auch auf uns zurück. Der andere hält uns einen
Spiegel vor.

Sem und
Jafet gingen noch einen Schritt beim Feingefühl weiter: „und die
Nacktheit ihres Vaters sahen sie nicht“. Nicht nur sahen sie die
Scham ihres Vaters nicht im körperlichen Sinne, sondern sie waren
sich kaum des Fehlers ihres Vaters bewusst. Das einzige, was sie
interessierte, war, wie sie die Schande vor der Umwelt abwenden
konnten.

Der Erzählbereich über Noach lehrt uns, dass wir nicht nur die Versäumnisse anderer nicht besprechen sollten, sondern dass es besser wäre, indem wir hierüber selbst nicht mal nachdenken würden. Nur dort, wo die Verfehlungen oder Versäumnisse anderer berichtigt werden können – bei mir selbst wegen der Spiegelfunktion oder beim anderen durch einfühlsame Zurechtweisung – ist es der Mühe wert, Versäumnisse und zu Unrecht erfolgtes zu besprechen.

Dieses
„weg schauende“ Verhalten – wenn es nicht die lieblose
Gleichgültigkeit und das Desinteresse am Wohl und Schmerz des
anderen beweist – wäre ein Segen für Europa im Jahre
5780/2019-2020. Sinnlose Gewalt solle durch sinnlose Liebe ersetzt
werden, wobei mit sinnloser Liebe die uneigennützige Liebe gemeint
ist. Erst dann ändert sich tatsächlich etwas in der Gesellschaft.