ZEDAKA 8 KAPITEL 2 QUELLEN DER ZEDAKA-VERPFLICHTUNG

KAPITEL 2 QUELLEN DER ZEDAKA-VERPFLICHTUNG

Tora-Quellen der Zedaka-Verpflichtung

Schon in der Tora gibt es klare Hinweise darauf, dass es eine Pflicht gibt, verschiedene Sozialabgaben abzuführen: “Wenn dein Bruder neben dir verarmt und seine Hand sinken lässt, so sollst du ihn unterstützen, sodass auch der Fremde und Geduldete bei dir leben möge“ (Vajikra 25:35). Dieser Pasuk zeigt jedoch nicht die Höhe der geschuldeten Zedaka im Verhältnis zu den Einnahmen. Daraus lässt sich höchstens ableiten, dass man die Armen nicht verhungern lassen darf.

Devarim 15:7 ff. gibt einen groben Hinweis darauf, wie viel man abführen sollte: “Wo aber in dem Land, das der Ewige, dein G“tt, dir gibt, in irgendeiner Stadt einer von deinen Brüdern bedürftig sein wird, so verhärte dein Herz nicht und verschließe deine Hand nicht gegen deinen bedürftigen Bruder. Tu ihm deine Hand auf und leihe ihm, so viel er bedarf, so weit sein Mangel reicht.“ Aus diesen Versen lässt sich ableiten, dass man einen armen Menschen unterstützen muss, bis seinen subjektiv gefühlten Mangel beseitigt ist.

Devarim 15:7 liefert einen Maßstab, der nicht auf die Einkommenssituation des Spenders bezogen ist; sondern das Kriterium ist die aktuelle Einkommens- oder Vermögenssituation des Bedürftigen im Verhältnis zu seinem früheren Lebensstandard.

An anderen Stellen erwähnt die Tora die Pflicht, landwirtschaftliche Produkte zu verzehnten. Der erste Zehnte musste den Leviten übergeben werden (Bemidbar 18:21): “Den Kindern Levis gebe ich alle Zehnten in Jisrael zu ihrem Erbgut für den Dienst, den sie zu versorgen haben beim Stiftszelt“. Der zweite Zehnte wurde den Armen in jedem dritten und sechsten Jahr eines Siebenjahreszyklus gegeben (Devarim 26:12): “Wenn du im dritten Jahr, das ist im Zehntjahr, alle Zehnten deines Einkommens völlig abgetragen hast und dem Levi, dem Fremdling, der Waise und der Witwe gegeben hast, diese haben es in deinen Toren verzehrt und sich davon gesättigt“. Diese Zehnten wurden von den landwirtschaftlichen Erzeugnissen abgesondert (9).

Vajikra 19:9-10 behandelt einige andere landwirtschaftliche Gaben für die Armen: “Wenn du die Ernte deines Landes einbringst, wirst du den Rand deines Feldes nicht vollständig mähen, und was von deiner Ernte übrig ist, wirst du nicht lesen. Und in deinem Weinberg sollst du nicht nachlesen und den Abfall in deinem Weinberg nicht aufklauben: dem Armen und dem Fremdling sollst du sie überlassen. Ich bin der Ewige, euer G“tt.“

Die zitierten Tora-Quellen bezüglich der Zehnt-Abgabe von Agrarprodukten treffen nicht ohne weiteres auf unsere derzeitige Praxis zu, mindestens ein Zehntel unseres geldlichen Verdienstes und Einkommens abzugeben.

GRÜNDE FÜR DIE ZEDAKA-PFLICHT BEI ANDEREN EINKÜNFTEN ALS AGRARPRODUKTEN

Sifré (10), zitiert in einer Erklärung der Tosafisten (11), will die Pflicht zur Abgabe eines Zehnten der finanziellen Verdienste auf den Pasuk (Devarim 14:22) basieren: “Verzehnten sollst du all den Ertrag deiner Saat, die herauskommt auf dem Felde, Jahr für Jahr.“ Aus den Worten “all den Ertrag” – das Wort “all” ist eigentlich überflüssig – lässt sich ableiten, dass nicht nur landwirtschaftliche Produkte verzehnt werden müssen, sondern auch alle anderen Einkünfte, wie Zinsen und Gewinne. Dies würde bedeuten, dass auch für alle anderen Einkommenskategorien ein Mindestsatz von einem Zehnten gilt. Aus dieser Interpretation geht hervor, dass das Verzehnten von Agrarprodukten und das Verzehnten von Geldeinkommen auf einer identischen Quelle in der Tora beruhen. Wie dieser Sifré in Bezug auf die Unterstützungspflicht in Devarim 15:7 zu verstehen ist, bleibt im Tora-Text unklar.

Rabbi J.M. Epstein (1838-1905) geht näher auf die Beziehung zwischen dem Zehnten von Agrarprodukten und der Zedaka-Pflicht über den monetären Verdiensten ein. Die Gleichstellung (in Bezug auf die Quelle) des landwirtschaftlichen Zehnten mit dem finanziellen Zehnten führt zu dem Schluss, dass nur im dritten und sechsten Jahr des siebenjährigen Schmita-Zyklus eine Abgabe des Zehnten an die Armen obligatorisch wäre. Andererseits erscheint die Pflicht zur Hilfeleistung aus Devarim 15:7 – jedenfalls für den einzelnen Spender – ohnehin eine fast unmögliche Aufgabe: Wie hält es die Tora für möglich, jedem armen Menschen “ausreichend mit dem zu versorgen, was ihm (subjektiv) fehlt”?

Rav Epstein bringt einiges in einem breiteren Kontext in Einklang. Der Zehnte, erwähnt in der Tora, gilt nur für landwirtschaftliche Produkte. Alle drei Jahre musste ein Zehnt der landwirtschaftlichen Produkte für die notleidende Bevölkerung abgesondert werden.

Dieser Zehnte hat nichts zu tun mit der Zedaka-Pflicht, die auf Devarim 15:7 basiert, bei der es keinen festgelegten Satz gibt, sondern die sich nach dem Mangel der Armen richtet. Obwohl der letztgenannte Pasuk tatsächlich dazu verpflichtet, alle subjektiven Bedürfnisse der Armen zu befriedigen, kann es nie die Absicht der Tora gewesen sein, sein ganzes Privateigentum verschenken zu müssen. Der Pasuk (Vers) bezieht sich vor allem auf wirtschaftlich günstige Bedingungen, als die Juden noch im eigenen Land lebten. Damals gab es nur wenige arme Menschen, so dass es der Gemeinschaft möglich gewesen wäre, sich um die Armen, entsprechend ihrem ursprünglichen Lebensstandard, zu kümmern.

Unter den derzeitigen Bedingungen der Diaspora ist dies jedoch eine unmögliche Aufgabe. Selbst wenn die Reichen ihr ganzes Vermögen für die Notlinderung zur Verfügung stellen würden, wäre das nicht genug. Deshalb legten die Chachamim eine Grenze für die obligatorische Zedaka von mindestens einem Zehnten und höchstens einem Fünften fest. Das bedeutet, dass man grundsätzlich verpflichtet ist, die Not der Armen vollständig zu lindern, und das gilt auch heute noch für extrem reiche Menschen, aber in der Praxis haben die Chachamim (Weisen) eine Grenze gezogen aus Rücksicht auf das, was für die Mehrheit der Menschen machbar ist (12).

Wie ist es möglich, dass die Chachamim nur eine eingeschränkte Zedaka-Pflicht akzeptierten, während die Tora eine uneingeschränkte Wohltätigkeit vorschreibt? Haben die Chachamim das Recht, die Forderungen der Tora zu mäßigen?

Die Antwort darauf ist, dass die Zedaka-Pflicht durch eine andere Überlegung der Tora selbst eingegrenzt wird. In verschiedenen halachischen Rechtsquellen (z.B. B.T. Erechin 28a) wird aus der Tora abgeleitet, dass es nicht erlaubt ist, das gesamte Vermögen zu verschenken. Mit ihrer Vorschrift von mindestens einem Zehnten und höchstens einem Fünften hielten sich die Chachamim an die Vorgabe, die die Tora an anderer Stelle macht. Zum Beispiel sagt Ja‘akov: “Wenn G“tt mit mir sein wird …. und alles, was du mir gibst, will ich dir verzehnten” (Bereschit 28:20 ff.). Bei einfacher Betrachtung hat Ja‘akov die Pflicht auf sich genommen, einen Zehnten seines zukünftigen Vermögens, abzugeben. Wenn man das hebräische Zitat genauer liest, sieht man, dass Ja‘akov das Wort ‘verzehnten’ zweimal benutzt. Daraus leiten die Chachamim die Obergrenze von einem Fünften ab, also zweimal ein Zehnt (A.S. 249:2 ff.).

Im Pasuk Devarim 14:22 findet man die gleiche hebräische Wortdoppelung: “Verzehnten sollst du all den Ertrag deiner Saat, die herauskommt auf dem Felde, Jahr für Jahr”. Übereinstimmend mit den Tora-Vorschriften für landwirtschaftliche Produkte haben die Chachamim auch die finanzielle Zedaka geregelt. Aus Rav Epsteins Interpretation folgt, dass geldliche und landwirtschaftliche Zehnten nicht gleichgesetzt, sondern nur verglichen werden.

Maimonides (1135-1204) untersucht weiter die Beziehung zwischen der scheinbar unbegrenzten Hilfeleistung aus Devarim 15:7 und den Grenzen eines Zehnten und eines Fünften. ‘Ausreichend für das, was ihm fehlt‘ gilt nur, wenn dafür genügend Ressourcen freigemacht werden können. Wenn man nicht so viel besitzt, gibt man vorzugsweise einen Fünften; ein Zehnter ist der Durchschnitt. Auch Rabbi Ja‘akov Ascheri (1275-1340) erklärt die Spannung zwischen diesen Pesukim auf ähnliche Weise. Aus diesen Quellen geht hervor, dass die Obergrenze von maximal einem Fünften nur gilt, wenn man nicht sehr wohlhabend ist. Wenn man problemlos in der Lage ist, mehr zu geben, gilt diese Grenze nicht.

Rabbi Ja’akov Emden (1697-1776) betrachtet die zu leistende Hilfe aus Devarim 15:7 und die Zedaka-Pflicht, wie wir sie heute kennen, als sowohl quantitativ als auch qualitativ unterschiedliche Pflichten: “Nach Vorgabe der Tora muss man einem Armen alles geben, was ihm fehlt: eine Wohnung, Hausrat, eine Einkommensquelle oder Mittel für die medizinische Versorgung. Wenn der Einzelne oder die Gemeinschaft dazu nicht in der Lage ist, müssen die Bedürfnisse der Armen so weit wie möglich befriedigt werden. Die Zedaka-Pflicht, um Vermögen und andere Einkünfte zu verzehnten, ist jedoch rabbinischen Ursprungs. Diese individuelle Verpflichtung gilt auch dann, wenn die jüdische Gemeinde über ausreichende Mittel verfügt, um den Armen zu helfen.

Diese letzte Form von Zedaka dient dann dazu, die Armen weitläufiger oder weiträumiger, z.B. außerhalb des Wohnortes des Spenders, zu unterstützen. Laut Rabbi Joël Sirkes (1561-1640) basiert diese letzte Form von Zedaka nur auf dem – ansonsten überaus lobenswerten – “Gewohnheitsrecht” (Zedaka uMischpat 1:4:8).

Laut Rabbi Ja‘akov Emden sind die Richtlinien zur Unterstützung aus Devarim 15:7 und die Zedaka zwei unabhängige Verpflichtungen, die nicht einmal als komplementär bezeichnet werden können. Es handelt sich um getrennte Systeme, bei denen sich die Tora-Verpflichtung auf die direkte und möglichst vollständige Befriedigung der Bedürfnisse bezieht, während die Rabbinische Verpflichtung einen eher indirekten und ergänzenden Charakter hat.

ZEDAKA ALS TEIL DER GEMEINDESTEUER IN MISCHNA UND TALMUD

Von der Zeit des Talmuds bis nach dem Ende des Mittelalters genossen die jüdischen Gemeinden in der Diaspora eine beträchtliche innere Autonomie, die in der Regel weit über die Verwaltungsbefugnisse z.B. eines (Ober-)Bürgermeisters, wie wir es heute kennen, hinausging. Eine jüdische Gemeinde war quasi ein Staat innerhalb eines Staates. Ein jüdischer Stadtrat hatte weitreichende Befugnisse bei der Erfüllung der Gemeindeaufgaben. Bis ins späte Mittelalter galt die Zedaka-Steuer als eine Gemeinschaftsangelegenheit, deren Umsetzung auf den Schultern der jüdischen Regenten lag, die sich bei der Einforderung und Verteilung der sozialen Abgaben durch die Empfänger und einen Sozialrat unterstützen ließen. Erst im 18. und 19. Jahrhundert wurden dem jüdischen Stadtrat viele Befugnisse entzogen. Dies schwächte den obligatorischen Charakter der Zedaka-Abgabe. Dennoch beeinflussen die talmudischen und mittelalterlichen Verhältnisse noch immer die zeitgenössische Praxis der Zedaka.

Den wichtigsten talmudischen Passus zur Kommunalsteuer findet man in B.T. Bawa Batra (7b, 8a). Ebenda besagt die Mischna, dass jeder Einwohner einer Stadt verpflichtet ist, sich an den Kosten für die Mauer, das Stadttor und die Torriegeln zu beteiligen. Die Mischna fragt sich auch, wer zu den Einwohnern der Stadt gerechnet werden sollte, und beantwortet diese Frage, indem sie sagt, dass jeder, der mindestens zwölf Monate in einer Stadt lebt, als Bürger dieser Stadt angesehen wird und verpflichtet ist, sich an den Gemeinschaftskosten zu beteiligen. Wer jedoch ein Haus in der Stadt gekauft hat, wird mit sofortiger Wirkung als Bürger der Stadt angesehen.

Der Talmud (8a 8b) fragte auf der Grundlage dieses Wohnsitzprinzips hinsichtlich der kommunalen Steuerpflicht, ob dieses Kriterium so allgemein festgelegt werden könne; schließlich gibt es Steuern, bei denen die Zahlungspflicht unabhängig vom Wohnsitz gilt, insbesondere, wenn es sich um Steuern im Bereich der Armen-Versorgung handelt. Um dies zu beweisen, zitiert der Talmud eine Überlieferung, die frei übersetzt so viel lautet wie: “Nach dreißig Tagen (Aufenthalt in der Stadt) muss man eine Sachspende in die “Armenschale” (eine Schüssel für Sachspenden, die täglich bei den Wohlhabenderen eingesammelt und an die Ärmsten verteilt wurden) legen, nach drei Monaten muss man in die Armenkasse einzahlen (aus der den Armen einmal pro Woche Geld ausgezahlt wurde), nach sechs Monaten ist man verpflichtet, zu den Bestattungskosten der Bedürftigen beizutragen”.

Rav Aschi antwortete, dass das 12-Monats-Kriterium tatsächlich nur für Steuern gilt, die zur Finanzierung städtischer Maßnahmen bestimmt seien. Für die Versorgung der Armen gelten andere Kriterien.

Der Talmud macht auch Vorgaben für Regelungen bezüglich der Eintreibung der Zedaka-Gelder und derer bedarfsgerechten Verteilung. Die jüdische Gemeindebehörde oder der örtliche Beit-Din waren berechtigt, die Zedaka-Forderungen bei Nichtzahlung zu pfänden. Dies erklärt, warum die Niederschrift der Zedaka-Pflicht in den Werken der Rischonim und im Schulchan Aruch sich wie ein Gesetzestext liest.

Der Talmud und die darauf basierende Responsenliteratur sehen die Zedaka-Steuer als eine Steuer auf Einkommen, Gewinn und Vermögen mit internationaler Tragweite, weil sie überall auf der Welt gültig ist. Der Talmud behandelt die Zedaka-Steuer als Teil des öffentlichen Rechts, da die Zedaka-Steuer auf die Wahrung des Allgemeinwohls abzielte. Die Behörde war für die Umsetzung des Rechts zuständig. Das Zedaka-Gesetz kennt eine eigene Definition von Einkommen, Gewinn und Vermögen, berücksichtigt die Inflation und verwendet ein künstliches Einkommenskonzept, was beinhaltet, dass das persönliche Einkommen aus verschiedenen Einkommensquellen addiert wird; über die Summe wird die Höhe der Zedaka-Steuer berechnet. Die Zedaka beruht auf einem subjektiven Ansatz, bei dem die Nationalität keine Rolle spielt. Die Zedaka ist im Prinzip eine Abgabe, für die es keine individuelle Gegenleistung gibt, sei es, dass ihr im religiösen Sinne durchaus etwas gegenübersteht (vgl. J.D. 247.4).

Darüber hinaus ist die Zedaka-Abgabe eine so genannte zweckgebundene Abgabe, da ihre Einnahmen sehr klar definierten Zwecken dienen. Die Abgabe richtet sich nach der Tragfähigkeit, auch wenn ein progressiver Tarifsatz nicht ausgeschlossen wird.

Das Zedaka-Gesetz enthält auch Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, z. B. im Falle der Überschneidung säkularer und religiöser Besteuerung, eine Reihe von Befreiungen, prozentuale Höchstbeträge, die Wahl zwischen der offenen Posten-Buchhaltung und der Debitoren-/Kreditorenbuchhaltung, eine Aufteilung in Jahresraten oder in kürzere Zeiträume, abzugsfähige Posten, Nominalismus versus Substanzialismus, verrechnungsfähige Verluste, Regelungen für Rückzahlung und Zinsen auf Darlehen und das Konzept der Abschreibung.