Zwischenmenschliche Beziehungen

Gemeinsam sind wir stark!

Wir nähern uns den hohen Feiertagen zu. Mit Rosch haSchana, wo wir den einzigen G-tt anerkennen, Jom Kippur, wo wir um Vergebung für unsere Sünden betten, Sukkot wo wir aus unseren Häusern rausgehen um in der Sukka zu sitzen als Zeichen dafür, dass wir bereit sind alles Materielle zu verlassen weil wir der Überzeugung sind, dass unser Schutz von G-tt abhängt und nicht von den dicken Wänden unserer Häuser und schließlich mit Simchat Tora, wo wir das Beenden und den Neuanfang der wöchentlichen Abschnitten der Toralesung erleben wir eine Zeit die eine sehr große Verantwortung von uns verlangt.

Denn am Rosch haSchana wird die ganze Welt gerichtet, wer leben wird und wer sterben, wie viel Geld jeder von uns nächstes Jahr verdienen wird und welche Krankheiten und Naturkatastrophen die Menschheit befallen werden. Bis Jom Kippur während den Bußtagen haben wir die Zeit das Urteil zu verändern, doch am Jom Kippur wird er endgültig festgelegt. Am Sukkot wird die Welt über das Wasser gerichtet, wie viel Wasser jedes Land im kommenden Jahr abbekommt, und vielleicht lebend in Deutschland merken wir nicht wirklich die enorme Bedeutung und Wichtigkeit von diesem Urteil, doch in Ländern wie Israel wo der Regen zu den lebensnotwendigen Sachen gehört werden die Gebete für den Regen in einem ganz anderen Ton gesprochen. Also liegt auf unseren Schultern sowohl unser eigenes Wohlergehen als auch das Wohlergehen der ganzen Welt im nächsten Jahr.

Doch wenn wir ehrlich mit sich selbst sind, weiß jeder von uns ganz genau, dass er nicht ganz „artig“ im vergangenen Jahr gewesen sind, jeder von uns hat Sachen getan die weniger gut waren, und vieles dass wir uns letztes Jahr am Rosch haSchana und Jom Kippur vorgenommen haben wurde im Verlauf des Jahres einfach vergessen oder von uns vernachlässigt. Wie können wir dann auf ein gutes Urteil vertrauen? Schließlich geht es um einen Richter der allmächtig und allwissend ist und an dem die kleinste Sünde nicht vorbeiziehen kann ohne bemerkt und aufgeschrieben zu werden. Man kann diesen Richter auch nicht bestechen, so wie man es vielleicht bei einem Richter aus Fleisch und Blut machen könnte. Wie sollen wir dann schaffen das nächste Jahr zu überleben?

Unsere Weisen zeigen uns eine Hintertür, wie man manches umgehen kann und womit man sich manches verdienen kann. Der Talmud sagt an verschiedenen Stellen, dass derjenige der seine Mitmenschen immer zum Guten beurteilt, wird auch von G-tt zum Guten beurteilt. Die Weisen sagen uns auch wie wir schneller Gesund werden können, indem wir für die Gesundheit unserer Mitmenschen beten. Genau dasselbe sagen die Weisen über jemanden der seine zweite Hälfte schneller finden möchte, er soll für seinen Freund beten, dass er schneller seine zweite Hälfte findet. Denn unsere Aufgabe in dieser Welt ist in den Wegen G-ttes zu gehen. Und wie schafft man es? Indem man genauso wie Er uneigennützig Gutes tut, sagt der Talmud. Und was kann mehr über die Nächstenliebe eines Menschen bezeugen als die Tatsache, dass er über die Lösung der Probleme von seinen Menschen bittet obwohl er selbst dieselben Probleme hat?

Viele Menschen konzentrieren sich währen der Feiertage auf ihren G-ttesdienst, was sehr gut ist, doch sehr oft werden unsere zwischenmenschliche Beziehungen vernachlässigt, doch wie wir gesehen haben sind unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen nicht weniger wichtig und ausschlaggebend auch für unser eigenes Wohlergehen. Man soll auch nicht vergessen, dass Jom Kippur nur für die Sünden Sühne bringt mit denen man gegen G-tt gesündigt hat, doch wenn man jemanden verletzt hat, kann man die Vergebung nur von der von ihm verletzten Person bekommen und sogar wenn die Person nicht mehr am Leben ist soll man um Vergebung an seinem Grab bitten.

Also sollten wir sehr auf unsere zwischenmenschliche Beziehungen aufpassen, denn man hat immer die Möglichkeit G-tt um Vergebung zu bitten, man braucht auch nicht immer Rosch haSchana oder Jom Kippur dafür. Denn er hört uns immer unabhängig davon wo wir uns befinden, doch einen anderen Menschen um Vergebung zu bitten ist viel schwieriger als ihn zu kränken und sehr oft wird es noch durch die geografische oder andere Bedingungen erschwert. Doch die Wichtigkeit davon darf nicht unterschätzt werden.
Die folgende Geschichte, die zu den Geschichten von Rabbiner Scholom
Schwadron, der auch als Jerusalemer Maggid bekannt war zählte, wird diese Idee
noch besser verdeutlichen.

In der Stadt Zhitomir (Ukraine) lebte ein Mann namens Hirsch Ber.
Seine Geschäfte waren nicht sonderlich erfolgreich, alle seine
Versuche etwas Neues anzufangen gingen immer daneben. Demzufolge war
er ziemlich arm, wurde von den Menschen aus der Gemeinde nicht
sonderlich respektiert und sogar seine eigene Frau erlaubte sich hin
und wieder ihn zu verspotten.

Es war kurz vor Jom Kippur Beginn und alle Familien waren gerade dabei
ihre Seudah haMafseket (die letzte große Mahlzeit vor dem Fastenbeginn,
die von der Tora verschrieben wird) zu verspeisen, doch Hirsch Ber
kam wieder mit leeren Händen nach Hause, worauf seine Frau sehr sauer
wurde und ihn von Zuhause rauswarf ohne ihm auch eine Kleinigkeit zum Essen zu
geben. Die Suppenküche der Gemeinde war schon zu und es wurde Hirsch
Ber klar, dass er sich dem Fasttag hingeben musste ohne was
vernünftiges gegessen zu haben.

Er begab sich in die Synagoge, wo sich langsam die Menschen für das Abendgebet
versammelten. Er nahm sein Platz in der Letzten Reihe und beobachtete
betrübt wie die anderen Tfila Zaka (ein Persönliches Gebet, welches man
vor dem Abendgebet am Yom Kippur sagt) lesen in der Hoffnung seinen
Hunger zu vergessen. Doch plötzlich kam zu ihm ein Funke Freude, er
bemerkte Reb Boruch. Reb Boruch war einer der wohlhabenden
Gemeindemitglieder und hatte immer eine Schachtel Schnupftabak dabei.
Dieser Tabak könnte Hirsch Ber den Tag wenigstens ein bisschen
versüßen. Langsam bewegte sich Hirsch Ber von seinem Platz in der
hintersten Reihe nach ganz Vorne wo die wichtigsten Gemeindemitglieder
saßen. Er legte seine Hand von hinten auf die Schulter von R. Boruch
und fragte verunsichert: „Reb Boruch, ein bisschen Tabak vielleicht?“.
Reb Boruch war empört, wer konnte nur so frech sein und ihn bei
seiner Tfila Zaka stören? Wer könnte sich wichtiger halten als sein
persönliches Gebet. Als er sich umdrehte und nach oben schaute, sah er
den kleinen und schmächtigen Hirsch Ber, den Schnorrer aus der letzten
Reihe. Die ganze Synagoge hörte plötzlich einen Schrei: „Hirsch Ber,
doch nicht während der Tfila Zaka“.

Beschämt und gekränkt, mit einem roten Gesicht begab sich Hirsch Ber
zurück in die letzte Reihe, nahm seinen Platz und begab sich weinend
in sein Gebet. Im Gebet fragte er G-tt:“ Lieber G-tt, bin ich denn
wirklich nichts wert, nicht einmal ein bisschen Tabak?“. Sein Gebet wurde
durch das himmlische Gericht erhört und es wurde beschlossen Reb
Boruch wegen seiner Verachtung gegenüber seinen Mitmenschen zu
bestraffen. Es wurde beschlossen, dass im neuen Jahr Reb Boruch sein
ganzes Geld verlieren wird, wobei Hirsch Ber zu einem reichen Mann
werden sollte.

Am darauffolgenden Tag kam ein wohlhabender Verwandter von Hirsch Ber
nach Zhitomir und lieh ihn eine ziemlich große Summe aus. Hirsch Ber
eröffnete einen Laden der sehr erfolgreich lief und langsam aber
sicher war er in der Lage seine Schulden zu begleichen und wurde schon
nach ein paar Monaten zu einem ziemlich wohlhabendem Mann und auch zu
einem angesehenen Gemeindemitglied.

Auf der anderen Seite fingen die Geschäfte von Reb Boruch immer
schlechter und schlechter zu laufen, ein Geschäft nach dem anderen
brachten nur Verluste ein, und er verstand, dass es sich um irgendwas
Außergewöhnliches handeln muss, da es noch nie zuvor passierte, dass
er so viele erfolglose Geschäfte machte. Er begab sich zu dem Rebben
Levi Yitzchak von Berditschew um ihn nach einem Rat zu fragen. Sie
saßen zusammen und versuchten die Taten von Reb Boruch zu analysieren,
doch sie konnten nichts finden was so eine schwere Strafe verdienen
würde. Doch nebenbei bemerkte Reb Boruch, dass parallel zu seinen
finanziellen Abstieg verliefen die Geschäfte von Hirsch Ber immer
besser und besser. Rav Levi Yitzchak fragte sofort ob er an irgendein
Ereignis sich erinnern könnte, das Hirsch Ber un Reb Boruch gemeinsam
betraf. Und dann erinnerte sich Reb Boruch an die bis jetzt total unbedeutende (zumindest in seinen Augen) Geschichte mit dem Tabak. „Das ist es!“
– rief Rav Levi Yitzchak, „Es ist die Beschämung, die du deinem
Nächsten angetan hast, die deinen Niedergang bewirkte!“.
„Doch was kann ich dagegen machen?“ – fragte Reb Boruch. Rav Levi
Yitzchak erwiderte, dass es nur eine Möglichkeit gäbe alles wieder
rückgängig zu machen, nämlich den jetzt reichgewordenen Hirsch Ber
nach ein bisschen Tabak zu fragen und vor allen eine Absage von ihm zu
bekommen, dann könnte Reb Boruch einen guten Anspruch gegenüber G-tt
haben dass alles wieder rückgängig gemacht wird.

Die Jahre vergingen und die meisten vergaßen langsam wie einflussreich
Reb Boruch einst gewesen ist. Jetzt war er derjenige der in der Armut
gelebt hat. Doch er wartete jeden Tag auf die Möglichkeit sein
Reichtum zurückzugewinnen. Hirsch Ber hingegen zählte mittlerweile zu
den angesehensten Mitgliedern der Gemeinde und als seine Tochter in
das entsprechende Alter kam, bekam die Familie ein Heiratsantrag von
dem Sohn des Rabbiners der Stadt Zhitomir. Das Angebot wurde positiv
beantwortet und bald darauf sollte die größte Hochzeit stattfinden die
die Stadt Zhitomir jemals erlebt hat.

Alle Juden der Stadt wurden zu der Hochzeit eingeladen. Das war genau
die Möglichkeit auf die Reb Boruch so lange gewartet hat. Die
Hochzeitszeremonie fing an, Hirsch Ber stand unter dem
Hochzeitsbaldachin und war gerade dabei die Ketuba (Heiratsvertrag) an
dem Rabbiner zu überreichen, als plötzlich spürte er eine Hand bei sich
auf der Schulter. Er hörte eine leise Stimme, die sagte: „Hirsch Ber,
ein bisschen Tabak vielleicht?“. Hirsch Ber drehte sich um und sah
Reb Boruch, der nur darauf wartete beschämt zu werden. Doch Hirsch Ber
lächelte, steckte die Ketuba zurück in die Tasche, holte sein Tabak
raus und sagte: „Natürlich, Reb Boruch, jeder Zeit!“. Es war wie ein
Schlag, der Reb Boruch direkt in sein Herz traf, ihn wurde schwindelig
und alle Gäste durften zusehen wie Reb Boruch direkt unter der Chupa
in die Ohnmacht viel. Alle rannten sofort zu ihm um ihn zu helfen und um zu
fragen was passiert ist. Doch Reb Boruch nachdem er wieder zu sich
kam meinte, dass er nicht vor allen sprechen möchte und fragte ob
Hirsch Ber sich mit ihn im Privaten nach der Hochzeit unterhalten
könnte.

Nach der Hochzeit erklärte Reb Boruch Hirsch Ber die ganze Geschichte
und sie entschlossen sich am nächsten Tag wieder zu Reb Levi Yitzchak
von Berditschew zu gehen um ihm den Rest der Geschichte zu erzählen.
Reb Levi Yitzchak fragte Hirsch Ber ob er bereit wäre ein Teil seines
Reichtums an Reb Boruch zu geben, da es mittlerweile allen klar war,
dass Hirsch Ber nur Reb Boruch sein Erfolg verdankte. Hirsch Ber war
bereit die Hälfte von seinem Geld an Reb Boruch zu geben und beide
lebte bis zum Ende ihrer Tage als große Unterstützer der Gemeinde und
der Armen von Zhitomir.
Aus dieser Geschichte sehen wir wie wichtig es ist auf die Gefühle
unserer Mitmenschen zu achten, und wie jedes Vergehen gegenüber seinem
Nächsten so eine heftige Strafe mit sich ziehen kann.