Leben wir oder sind wir schon “tot”? – Parascha Vajechi

In unserem Wochenabschnitt Vajechi wird über die Segensprüche, welche der Patriarch Yakov seinen Söhnen, den zwölf Stämmen gab und seinem anschließendem Verscheiden aus dieser Welt berichtet: 

Als Yakov die Befehle an seine Söhne geendet hatte zog er seine Beine in das Bett, verschied und wurde zu seinen Vätern hingenommen“ (Bereschit Kap. 49,33) 

Während in diesem Vers das Verscheiden Yakovs erwähnt wird, steht jedoch nicht geschrieben, dass er gestorben ist. Daraus entnimmt der Talmud (Taanit 5b), dass Yakov nicht gestorben ist und Gerechte auch nach deren Tod weiterleben. Im Gegensatz dazu bringt der Talmud andernorts (Brachot 18b) den Vers “Und die Toten wissen nichts” (Yechezkel Kap.21, Vers 30) und erklärt, dass sich “die Toten” auf Sünder bezieht, welche auch während des Lebens als “tot” gelten. 

Diese beiden Passagen im Talmud sind schwer zu verstehen und bedürfen einer Erklärung, was bedeutet, dass Gerechte auch nach ihrem Tod “weiterleben”, während die Sünder schon während des Lebens als “tot” betrachtet werden?

Die Antwort ist, dass der Talmud bzw. die Tora mit “Leben” und “Tod” nicht das physische Leben, wie wir es kennen, meint, sondern sich auf das spirituelle Leben, das wahre Leben, bezieht: 

Im Judentum glauben wir, dass unsere spirituellen Seelen für eine bestimmte Anzahl von Jahren in ein materielles “Gewand”, den Körper, gehüllt und in diese materielle Welt geschickt werden, um sich unseren Anteil in der kommenden Welt selbst zu verdienen (in einem früheren Artikel habe ich diese Welt mit einem Fitnessstudio und die kommende Welt mit einer Spa verglichen), anstatt ihn wie “Brot des Schams” (Belohnung, ohne etwas dafür tun zu müssen) zu bekommen.

Gerechte, welche verstehen, dass sie auf diese Welt für einen bestimmten Zweck gekommen sind und ihre Zeit dementsprechend nutzen, leben daher ein spirituelles Leben und nutzen ihren Körper nur für den Dienst G´ttes und die Erfüllung seiner Gebote (Nichtsdestotrotz wurde der Körper des Menschen so von G´tt konstruiert, dass er sogar diese materielle Welt nur dann richtig genießen kann, wenn er die Mizwot einhält z.B. die Gesetz von Niddah etc.). 

Auch nachdem sie aus dieser materiellen Welt scheiden, leben sie selbst, also ihre spirituellen Seelen, immer noch weiter, weil der Körper nichts anderes als ein Gewand gewesen ist, um ihnen die Erfüllung ihrer Aufgabe in der materiellen Welt zu ermöglichen. 

Im Gegensatz dazu, weigern sich die Sünder zu verstehen, dass es eine kommende Welt geben wird und diese Welt nur eine Vorbereitung dafür ist. Sie leben nach dem Motto (Eiruvin 54a): “Greif und iss, greif und trink, denn morgen wirst du sterben” (equivalent zu “You live only once”). Solche Menschen werden von ihren irdischen Trieben kontrolliert und sind machtlos gegenüber jeglicher Art von Versuchungen. Ihr ganzes Leben versuchen sie, ihren Durst nach körperlichen Genüssen und Verlangen zu stillen und werden jedes Mal aufs Neue enttäuscht.

Jetzt können wir verstehen, warum der körperliche Tod der Gerechten ihr wahres Leben in keiner Weise vermindert und im Gegenteil erst nachdem die Seele ihr materielles Gewand abwirft, kann sie in ihrer vollen Pracht erscheinen. 

Die Sünder hingeben, ignorieren die Anwesenheit ihrer Seele und ihrer Bedürfnisse. Abgesehen davon, dass sie nichts für ihren Anteil in der kommenden Welt tun, dazu leben sie ein vollkommen leeres und bedeutungsloses Leben, welches die Tora einem Toten gleichgestellt.

Sehen Sie auch: „YOLO“ oder doch nicht? – Parascha Wajelech