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RELIGIÖSES LEBEN WÄHREND DER SCHOAH

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RELIGIÖSES LEBEN WÄHREND DER SCHOAH

Mit dem Jom Haschoah (8. April) noch frisch in unseren Köpfen und mit dem Herannahen von 17 Tammuz (27. Juni) und Tischa be’Aw, dem nationalen Trauertag für den Verlust der beiden Tempel (17. Und 18. Juli) gehen unsere Gedanken unwillkürlich zurück zu der größten Katastrophe, die das Judentum in Europa heimsuchte.

Rabbi Efraim Oshry schreibt in seinen “Responsa aus dem Holocaust”, wie gedemütigt sich die Juden im Ghetto von Kovno (Kaunas) fühlten, als die Rabbiner – im Auftrag der Nazis – jedem Mann befahlen, seinen Bart zu rasieren: “Beschämt, als wären wir nackt, wagten wir nicht, uns gegenseitig anzusehen”.

Die Haltung der Nazis zum Jüdischen religiösen Leben variierte von Zeit zu Zeit, von Land zu Land und von einer Art und Weise Jüdisches Leben zur anderen.

Am Anfang (1933) ging es den Nationalsozialisten vor allem darum, die Juden aus der Politik und aus dem kulturellen Leben auszuschließen. Die Juden, die in Mischehen lebten und das Verbrechen der “Rassenschande” begingen, wurden als erste in die Konzentrationslager geschickt.  Es wurde nichts gegen die Jüdische Religion als solche unternommen. Die Rabbiner hatten kaum Probleme, ihr Amt auszuüben. In Frankfurt am Main erlaubte die Gestapo 1935 religiöse Aktivitäten ohne vorherige Genehmigung. Gerade in den Anfangsjahren des Hitler-Regimes wurde in Deutschland interessante religiöse Literatur veröffentlicht.

Später, im Jahr 1940, erkannte die SS, dass Rabbiner die Anführer des Jüdischen Widerstands waren. In Osteuropa wurden die Besatzer mit den Stereotypen von einem Juden mit Bart und Pejes (Schläfenlocken) konfrontiert, die oft zum Mittelpunkt von Demütigungen und Beschimpfungen wurden. Während der Phase der “Endlösung” waren Rabbiner oft die ersten Ziele. Der emeritierte Oberrabbiner A. Schuster z.l. (Amsterdam) gab im Lager Bergen-Belsen an, dass er Lehrer für klassische Sprachen war. Das war keine Lüge, denn er war neben seiner rabbinischen Tätigkeit auch Lehrer für klassische Sprachen. Er betonte nur seinen Beruf als Lehrer für Griechisch und Latein, um Schlimmeres zu vermeiden.

In den Niederlanden

In den Niederlanden ergriff das NS-Regime keine direkten Maßnahmen gegen das Jüdisch-religiöse Leben. Die Synagogen in den Niederlanden waren fast ausnahmslos ungehindert weiter geöffnet, und noch im September 1941 wurde Aharon Schuster am Niederländischen Israelitischen Seminar der Titel des Rabbiners verliehen.

In den ersten Wochen der Besatzung versuchten orthodoxe Juden, unauffällig zu bleiben. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Amersfoort, Van Dam, fragte den Oberrabbiner der Provinzen Justus Tal, ob es möglich sei, sich während der drei Trauerwochen zwischen dem 17. Tammuz und dem 9. Aw zu rasieren.

Am 8. August 1940 antwortete Rabbi Tal, dass er das Rasieren zumindest bis zum ersten Tag des Monats Aw erlaube: “Bei Gefahr ist es leicht, zu entscheiden.” Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass Juden mit Bärten von den Nazis schlechter behandelt wurden als andere, beschlossen im Januar 1942 einige orthodoxe Juden, ihre Bärte abzurasieren. Dr. Sluis, der Sekretär der Zentralrat der Juden, kommentierte: “Jetzt, wo Tobruk gefallen ist, fallen die Bärte, aber sic (‘Ziegenbart´ auf Niederländisch) transit gloria mundi”.

Noch im November 1942 erhielten zehn Männer aus Nieuwe-Pekela die Erlaubnis, am Schabbat in Oude-Pekela zu davenen (beten). Im April 1943 erhielten elf Friedhofswärter die Erlaubnis, zurückzubleiben.

Die Schechita

Am 31. Juli 1940 wurde die Schechita verboten. Das Verbot des rituellen Schlachtens ohne vorherige Betäubung war die einzige klare antireligiöse Maßnahme. Vor der Schechita musste das Tier erst betäubt werden.

Der Vorsitzende des Oberrabbinats, Rabbiner Sarlouis, bat sofort drei seiner Kollegen, die neue Situation zu untersuchen und ein halachisches Responsum (Antwort) auf die Frage zu schreiben, ob das Schächten nach der Betäubung erlaubt sei.

Innerhalb von zwei Tagen äußerte Rabbiner S. Dasberg seine Meinung, dass – unter den gegebenen Umständen – die Elektroschock-Methode erlaubt werden könne. Die Amsterdamer Schlachter baten daraufhin ein Philips-Gerät zu entwickeln; am 5. August 1940 wurde der erste Versuch durchgeführt, allerdings ohne Erfolg.

Nach zweimonatigem Experimentieren hielten alle Mitglieder des Oberrabbinats das Philips-Gerät für akzeptabel. Allerdings war das Betäubungsinstrument so teuer, dass es sich nur wenige Jüdische Gemeinden leisten konnten. Nicht jeder wollte sich auf die hetter (Erlaubnis) des Anästhesisten verlassen. In vielen Fällen fand die Schlachtung zu Hause statt, ohne Betäubung.

Nachdem Generalkommissar Rauter am 15. September 1941 allen Juden den Besuch öffentlicher Plätze verboten hatte, breitete sich vor allem in der Provinz das illegale Hühnerschlachten aus. Im Laufe des Jahres 1942 konnten sich viele orthodoxe Juden den Kauf von Fleisch nicht mehr leisten, vor allem in den großen Städten.

Durch die vielen Surrogate und Substitute war es sehr problematisch, die allgemeinen Kaschrut-Regeln einzuhalten. Teure Fette wurden durch billigere ersetzt. Mit den schnellen Veränderungen wurde die rabbinische Kontrolle fast unmöglich, und die Lebensmittel-Auswahl für den religiösen Juden wurde sehr klein. Die meisten Menschen stiegen auf Margarine um, die im Januar 1943 für völlig treife (nicht koscher) erklärt wurde, auch in Notsituationen.

Pessach

Besonders um Pessach herum traten enorme Probleme auf. Viele Zutaten durften an Pessach nicht verwendet werden, und die aschkenasischen Rabbiner waren sich uneins darüber, ob man Hülsenfrüchte und Reis für aschkenasische Juden unter den schwierigen Umständen erlauben könne.

Die Oberrabbiner schickten spezielle Anleitungen an die Gemeindemitglieder: “Wie man Pessach in diesem Jahr feiert.”

Oberrabbiner Davids von Rotterdam schrieb 1941 ein Büchlein mit dem Titel “Pessach in Zeiten der Rationierung”. Ein besonderes Problem stellten die Mazzot dar. Anders als in einigen osteuropäischen Ländern war das Backen von Mazzot in den Niederlanden nicht verboten und Mazzot-Fabriken gab es sogar 1943, aber die Mehlration war in diesem Jahr sehr begrenzt.

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Außerdem konnte man zum Kauf von Mazzot nur Brotcoupons verwenden, die ab dem 30. März 1943, also zwei Tage vor Pessach, gültig waren. Wein war rar oder nicht vorhanden.

Die Oberrabbiner lehrten ihre Gemeindemitglieder, wie man aus Rosinen Wein macht. Wenn auch kein Rosinenwein zur Verfügung stand, musste man den Kiddusch am Sederabend über die Mazzot sagen.

Nach dem Verbot der nicht koscheren Margarine Anfang 1943 schrieb Rabbiner Vredenburg an seine Kollegen, dass er mehrere Ärzte konsultiert habe: “Die Ernährungssituation der Kaschrut-befolgenden Juden hat sich so verschlechtert, dass das Verbot der letzten Fettzutaten ein Todesurteil ist. Die Widerstandsfähigkeit gegen Epidemien ist so weit gesungen, dass jeder als gefährdet angesehen werden muss.

Selbst in den niederländischen Lagern versuchten viele Juden noch, koscher zu leben. Ein Lager, Mantinge, unweit von Westerbork, erhielt den Status eines “rituellen Arbeitslagers”. Oberrabbiner Levisson versuchte, so viele orthodoxe Juden wie möglich in dieses Lager zu bekommen, aber die Quote war sehr begrenzt. Auch in Westerbork wurde alles getan, um die Kaschrut einzuhalten. Aus Westerbork existiert noch ein Rundschreiben mit Anweisungen für Pessach 1944.

Tallit und Tefillin

Bald nach der Besetzung entstand ein Mangel an religiösen Artikeln wie Tefillin (Gebetsriemen). Im August 1940 begann ein lokaler Sofer (Schreiber), selbst Tefillin herzustellen. Der Mangel an Tallits, Tefillin, Mesusot, Tachrichim (Totenkleider), Wein für Kiddusch, Kerzen und Öl für Chanukka wurde auf der Versammlung der Oberrabbiner vom 13. Mai 1941 diskutiert, jedoch gab es kaum Ergebnisse.

Im Oktober 1940 gelang es der Firma Blaauw und Onderwijzer, Etrogim und Lulawim (für das Laubhüttenfest) zu importieren. Noch im Herbst 1941 gelang es den Rabbinern, mit Genehmigung der Nazis dreihundert Etrogim aus Italien zu importieren. Lulawim waren nicht mehr verfügbar, also benutzten sie die trockenen Palmzweige aus dem letzten Jahr.

Der Zustand der Mikwa’ot, der für das Jüdische Eheleben notwendigen rituellen Bäder, verschlechterte sich. Am 14. Juni 1942 gab der Oberrabbiner Tal von Utrecht Herrn van Essen Anweisungen, wie er ein solches rituelles Bad in seinem eigenen Haus bauen solle.

Dienste in der Synagoge

Obwohl die Mehrheit der niederländischen Juden nicht sehr religiös war, fühlten sich viele zu den Synagogen hingezogen, besonders in dieser Zeit der Bedrohung. Während der Hohen Feiertage 1940 und 1941 mussten zusätzliche Säle und Räume als provisorische Synagogen eingerichtet werden. In kleinen Gemeinden kamen nicht-orthodoxe Juden, um den Minjan zu ergänzen, wenn die reguläre Teilnahme deportiert worden waren. Bei Razzien wurde die Synagoge geschlossen.

Der G`ttesdienst ìn der Synagoge wurde von den Nazis in den Niederlanden nie verboten, aber wegen der Ausgangssperre mussten alle Abendgebete lange vor Einbruch der Dunkelheit gesprochen werden.

Probleme gab es auch mit dem Inhalt der Gebete. Unmittelbar nach der  Besetzung 1940 kam die Frage auf, ob das Gebet für die königliche Familie noch in der Synagoge gesprochen werden sollte. In einigen Gemeinden wurde das Gebet tatsächlich abgeschafft.

Es gibt sogar Fälle, in denen Mitglieder der niederländischen kollaborierenden NSB-Partei in die Synagoge kamen, um die Situation zu überprüfen. Aber die Rabbiner beschlossen, das Gebet für die königliche Familie trotzdem fortzusetzen.

Sogar der Siddur (Gebetbuch von Wagenaar, nachgedruckt 1941) enthielt noch dieses Gebet.

Spirituelle Führung

Rabbiner hatten während der Besatzung wenig Mitspracherecht für den Alltag des niederländischen Judentums. Als die Jüdischen Telefone abgeschaltet wurden, musste Oberrabbiner Davids den jüdischen Rat (Asscher) um eine zusätzliche Erlaubnis für Rabbiner und andere religiöse Amtsträger bitten, um weiterhin Telefone zu haben.

Auch das Verbot dass Jüdische Kinder öffentliche Schulen besuchen (September 1941) führte nicht wirklich zu einer Verbesserung des Jüdischen Lebens. Die religiöse Führung begann, sich auf den pastoralen Bereich zu konzentrieren. Mit Deraschot (Reden), Artikeln, Broschüren und Hausbesuchen wurde versucht, ein gewisses Maß an Jüdischem Selbstbewusstsein und Religiosität zu erhalten.

Ich zitiere aus einem Rundschreiben des Oberrabbiners Davids aus dem Herbst 1943:

“EIN MENSCH BESTEHT NICHT NUR AUS DEM KÖRPER, SONDERN AUCH AUS DER SEELE, DIE WIR NICHT SEHEN. Das ist das Ewige in uns, das bleibt. Auch wenn der Körper zusammenbricht. Alles Leid hat ein Ende. Kein Schmerz hält ewig an. Aber Ihre Seele ist unsterblich, kommt über das Leiden, in einer Welt des Friedens und der Wahrheit.

Es sind also drei, auf die Sie überall bauen können: G`TT, die JÜDISCHE GEMEINSCHAFT und IHR EIGENES SELBST. Alle drei ewig, unvergänglich.

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