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CONTRA SOMMERZEIT

CONTRA SOMMERZEIT

Ich bin definitiv dafür, die Sommerzeit abzuschaffen. Denn in vielerlei Hinsicht ist die jährliche Zeitumstellung von Frühjahr bis Herbst für Juden, die sich an die Gebote der Halacha halten, ein einziges Drama. Ein zentrales Beispiel: Frauen, die in die Mikwe gehen, stellt die Umstellung der Uhr um eine Stunde nach vorne vor ein ernstes Problem. Wenn sie während der Sommerzeit das Tauchbad wie üblich abends aufsuchen, zieht sich der Besuch bis spät in die Nacht. Und wenn es in der Heimatstadt des Paares keine Mikwe gibt, wird es ebenfalls sehr spät, bevor die Frau nach Hause zurückkehrt – und möglicherweise muss sie einen beschwerlichen, wenn nicht gar gefährlichen Heimweg auf sich nehmen.

Natürlich könnten Frauen auch tagsüber in die Mikwe gehen oder in einer anderen Stadt übernachten, doch es gibt noch viele weitere Gründe, warum die Abschaffung der Sommerzeit das Leben toratreuer Juden außerordentlich erleichtern würde. In Altersheimen ist es beim späten Einbruch der Nacht während der Sommerzeit so gut wie unmöglich, den Bewohnern eine halachisch korrekte Schabbatmahlzeit zu servieren – denn dies muss nach Sonnenuntergang passieren.

Für kleine Kinder wird es am Freitagabend oft viel zu spät, um beim Schabbatessen noch wach zu sein. In der Synagoge wiederum muss man während der Sommerzeit eigentlich zu früh beten. Zudem kann man im Hochsommer erst nach 23.05 Uhr das Gebet Schema Israel sagen. Bis dahin muss man aufbleiben oder sich den Wecker stellen, um das Schema am Abend wie vorgeschrieben nach Aufgang der drei Sterne zu sagen. Am Morgen wiederum beginnt der Tag zu früh, und die Zeiten für das Morgengebet sind schnell vorbei. Oft verpassen die Beter die halachisch korrekten Zeiten für das Schma Israel. Dasselbe gilt für das Schmone Esree, das Achtzehngebet (die Amida). Mincha, das Mittagsgebet, kann man wiederum erst mitten am Tag sprechen und mit einer Chuppa erst nach 14.30 Uhr beginnen, weil man normalerweise vor einer Hochzeit zuerst Mincha betet.

Auch die Kombination von Nachmittags- und Abendgebet wird relativ spät. Die meisten Menschen kehren erst um Viertel vor neun oder neun Uhr von der Synagoge nach Hause zurück und können danach keine Aktivitäten mehr planen. Der Schabbatausgang wiederum ist so spät, dass die Menschen an Motsaei Schabbat nicht mehr in die Synagoge kommen und es keinen Minjan mehr gibt. Und an Jom Kippur, dem Versöhnungstag, dauert das Fasten wegen der Sommerzeit länger, während man an Sukkot laut der Halacha nur nachts in der Laubhütte Kiddusch machen kann – also während der Sommerzeit erst eine Stunde später als gewöhnlich. Und in manchen Städten in Norddeutschland gibt es zumindest nach Ansicht einiger Rabbiner im Hochsommer gar keine Nacht mehr, was zusätzliche halachische Komplikationen bedeutet.

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Nicht nur uns Juden stellt die Sommerzeit vor ernsthafte Probleme: Die EU führt derzeit eine Online-Befragung zum Thema durch, an der sich schon viele Menschen beteiligt haben. Laut einer Umfrage in Deutschland lehnen hierzulande 75 Prozent der Menschen die Sommerzeit ab. Ich hoffe sehr, dass die EU-weite Befragung ähnlich ausfällt und die Meinung der Bürger von den Regierungen Europas und dem Europäischen Parlament in Brüssel ernst genommen werden.

Die Frage ist: Was tun wir, wenn das nicht geschieht? Ist es möglich, den Schabbat im Sommer sehr spät (also gegen 21.10 Uhr, etwa 20 Minuten vor Sonnenuntergang) zu feiern und somit freitags sehr lange zu arbeiten? Dürfen wir überhaupt mit den Anfangszeiten des heiligsten Tages der Woche spielen?

Die Antwort ist Jein: Nach dem allgemeinen Minhag (Brauch) beginnt der Schabbat mit dem Sonnenuntergang – das wird in fast allen jüdischen Gemeinden akzeptiert. Ein »Protokoll« von mindestens elf Minuten (lieber 20 Minuten) wird als Sicherheitsmaßnahme benötigt. Im Winter ist es daher nicht möglich, später Schabbat zu feiern; im Sommer dagegen dürfen wir den Beginn des Schabbats unter Umständen vorverlegen, weil uns wir sonst erst um 22.00 oder 23.00 Uhr zur Mahlzeit am Tisch versammeln können. Dies ist möglich, weil der Babylonische Talmud (im Traktat Berachot) davon ausgeht, dass – zumindest nach einer Auslegung – der neue Tag fünf Viertelstunden vor den drei Sternen oder Sonnenuntergang beginnt.

Vor und während der Hohen Feiertage geht die Sonne zwischen 19.35 Uhr (9. September) und 19.14 Uhr (18. September) unter. Wenn wir an Rosch Haschana um 19.00 Uhr mit Mincha und Maariv (Mittags- und Abendgebet) beginnen, werden die meisten Juden zur richtigen Zeit Kiddusch machen. Sie sehen also: Es gibt für fast alle Probleme eine halachische Lösung. Doch weitaus einfacher wäre es, wir würden nicht gezwungen, Lösungen für Probleme zu finden, die wir ohne die Sommerzeit gar nicht hätten.

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