ABER EINES IST SICHER:
AM ENDE DES TUNNELS SCHIMMERT IMMER WIEDER DAS LICHT
Drei Wochen der Trauer
Mit dem Fasttag am 17. Tammuz – in diesem Jahr der 6. Juli 2023 – beginnen die drei Wochen der nationalen Trauer um die Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70. Am 17. Tammuz durchbrachen die Römer die Mauern Jerusalems, und drei Wochen später, an Tischa Be’aw dem 9. Tag des Jüdischen Monats Aw – in diesem Jahr am 26. Juli abends – ging der Tempel – und damit das letzte Überbleibsel der Unabhängigkeit Israels – in Flammen auf. Tischa be’aw ist der nationale Trauertag zum Gedenken an die Zerstörung des ersten und zweiten Tempels, letzterer durch die Römer im Jahr 70. Was war geschehen?
Jüdisches Land wurde zur Römischen Provinz degradiert
Der Römer Pompeus hatte das Jüdische Land im Jahr 63 v. erobert. Damit wurde Judäa zu einer Römischen Provinz. Die Lage in Judäa hätte auch dann noch günstig sein können, als das Jüdische Land ein Vasallen-Staat Roms geworden war. Die Römer gewährten den Juden durch ihre Politik, sich so wenig wie möglich in die inneren Angelegenheiten der eroberten Provinzen einzumischen, ein hohes Maß an Unabhängigkeit.
Zunehmend grausamere Unterdrückung
Doch die Römer wurden in ihrer Politik immer grausamer. Die Demütigungen, denen die Juden unter den Römischen Prokuratoren ausgesetzt waren, provozierten vor allem die Zeloten immer mehr. Die Zeloten waren die “Falken” der damaligen Zeit und predigten den Aufstand gegen die Römischen Besatzer.
Die Rabbiner wollten keinen Krieg
Die Pharisäer, die Tora-Lehrer, versuchten noch vergeblich, das Volk davon abzuhalten, sich kopfüber in einen Krieg gegen den übermächtigen Römer zu stürzen. Sie verkündeten die Unterwerfung unter den G’ttlichen Willen und die treue Annahme desselben, auch wenn dies bedeutete, dass die Juden viele Grausamkeiten erdulden mussten. Aber die Lage hatte sich bereits so weit verschlechtert, dass sie nicht mehr auf die Pharisäer hörten. Und so wurde das Volk in einen Krieg hineingezogen, dessen Ausgang sich als katastrophal erwies. Nach einer gewaltsamen Belagerung durch Titus, den Sohn des Kaisers Vespasian, fiel Jerusalem im Jahr 70, und der Tempel ging in Flammen auf. Der Jüdische Staat hatte aufgehört zu existieren.
Unvernünftig, hilflos und verzweifelt
Die Juden der damaligen Zeit waren hoffnungslos. Der Talmud veranschaulicht die Niedergeschlagenheit des Jüdischen Volkes anhand eines Gesprächs zwischen Rabbi Jehoschu’a und Überlebenden des Römischen Massakers. Nach der Zerstörung des zweiten Tempels wollten viele Juden kein Fleisch mehr essen und keinen Wein mehr trinken. Rabbi Jehoschu’a fragte sie: “Warum esst ihr kein Fleisch und trinkt keinen Wein?”. Verzweifelt antworteten sie: “Wie können wir noch Fleisch essen, welches die Menschen auf dem Altar als Opfer darbringen? Der Altar ist doch nicht mehr da! Wie können wir Wein trinken, der auf den Altar gegossen wurde, wenn er nicht mehr da ist?”.
Auch kein Brot mehr essen?
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“Dann dürfen wir auch kein Brot mehr essen, weil die Speiseopfer nicht mehr gebracht werden können”. Hilflos antwortete das Volk: “Dann werden wir nur noch Früchte essen”. “Früchte könnt ihr auch nicht mehr essen, weil die Bikurim, die Erstlingsfrüchte der sieben wichtigsten Früchte Israels, nicht mehr dargebracht werden können”. Unvernünftig entgegnete das Volk: “Dann werden wir eben alle anderen Früchte essen, von denen keine Erstlingsfrüchte dargebracht werden”.
Trauere nicht zu sehr
Daraufhin sagte Rabbi Jehoschu’a: “Dann können wir auch kein Wasser mehr trinken. Auch das Wassersprengen an Sukkot, dem Laubhüttenfest, gibt es nicht mehr”. Die Leute schwiegen, aber Rabbi Jehoschu’a hatte einen tröstlichen Gedanken: “Überhaupt nicht zu trauern ist keine Option, weil uns ein Unglück widerfahren ist. Aber wir sollten auch nicht zu sehr trauern, denn nicht jeder kann diese Last der Trauer tragen”.
Hoffnungsschimmer
Und so wurde Tischa be’Aw, der alte Unglückstag, an dem 490 Jahre zuvor auch der erste Tempel zerstört worden war, als nationaler Trauertag wieder eingeführt. Aber das Judentum wäre nicht das Judentum, wenn nicht wieder ein Hoffnungsschimmer aufleuchten würde.
Rabbi Akiwa lächelte
Vor 1950 Jahren wandelten vier große Gelehrte schweigend auf den Ruinen von Jerusalem. Sie waren Rabbi Gamaliel, Rabbi Elazar, Rabbi Jehoschu’a und Rabbi Akiwa. Verzweifelt blickten sie auf die Ruine, die einst der heilige Tempel war. Plötzlich kreuzte ein Horde Füchse ihren Weg. Drei der vier Rabbiner fingen an, sich fürchterlich zu beklagen: “Jeremias prophetisches Wort ist buchstäblich wahr geworden: ‘Füchse laufen auf dem zerstörten Berg Zion umher'” (Klagelieder 5:18).
Rabbi Akiwa lächelte. “Wie kannst du, Akiwa, über dieses Unglück lächeln, das über uns gekommen ist? Siehst du, wie die Füchse über die Stelle laufen, wo einst G’ttes Altar stand?”. Doch Rabbi Akiwa hatte seine Antwort parat: “Ich freue mich, denn wenn sich die Prophezeiungen des Unheils so genau erfüllen, werden eines Tages auch die positiven Prophezeiungen eintreffen” (B.T. Makkot 24).
Lebenselement
Rabbi Akiwa konnte sich freuen, weil er wusste, dass das Lebenselement des Volkes Israel, die Tora, unversehrt geblieben war. Derselbe Rabbi Akiwa hatte einmal eine Diskussion mit einem assimilierten Juden, Pappus ben Jehuda, der den Rabbi fragte, warum er sich so weit von den Römern fernhalte: “Unser Leben wäre viel einfacher und glücklicher, wenn wir uns der Römischen Kultur anpassen würden?” Rabbi Akiwa hingegen hielt sich an die Tora, den Kern des Judentums.
Gegenseitiger Hass
Auffallend ist der Begriff “Trauer” in der Diskussion von Rabbi Jehoschu’a. Für die späteren Generationen bis zum heutigen Tag wurden alle möglichen Arten von Trauerbekundungen vorgeschrieben. Trauern bedeutet, sich mit dem Unglück abzufinden und sich mit einem Verlust abzufinden. In jeder Generation erinnerten uns die Chachamim (Gelehrten) daran, dass der zweite Tempel wegen des gegenseitigen Hasses und der Intoleranz, die das Jüdische Volk spalteten, zerstört wurde. Sobald diese negativen Gefühle verschwunden sind, wird der Tempel wieder aufgebaut werden.