In Wajigasch, Joseph geleitete seine Brüder hinaus
„Danach geleitete Joseph seine Brüder hinaus und sprach zu ihnen: „Werdet auf dem Weg nicht bösartig. Es könnte auch heißen: „Tut nichts Schlechtes auf Eueren Wegen“ (45:24). Raschi (tausendvierundvierzig bis tausendeinhundertfünf) gibt für diese letzten Worte drei Erklärungen ab:
GEGEN SICH VERIRREN
1. Beschäftigt Euch nicht mit dem Studium der Thorah, damit Ihr Euch unterwegs nicht verirrt, wenn Ihr zu sehr im „Lernen“ vertieft seid.
RECHTZEITIG ANKOMMEN
2. Machet nicht zu große Schritte und gehet „mit der Sonne“, was bedeuten soll, dass Ihr vor Sonnenuntergang in der Stadt eingetroffen sein werdet. Aber nach der einfachen Bedeutung müsste es wie folgt gesehen werden:
ZANK, STREIT
3. Da die Brüder sich für den Verkauf von Joseph schuldig fühlten, befürchtete er, dass sie sich unterwegs über die Frage streiten würden, wer für den Verkauf von Joseph verantwortlich sei. So lautet auch eine Übersetzung von Onkelos (zweites Jahrhundert): „Streitet nicht unterwegs“.
EIN GUTER RAT
Aber laut Rav Juda Nachschoni sehen viele andere Gelehrte des Mittelalters, wie Raschbam (tausendfünfundachtzig bis elfhundertvierundsiebzig), Ramban (elfhundertvierundneunzig bis zwölfhundertsiebzig), Chiskuni (dreizehntes Jahrhundert) und der Ba’ale HaTosafot (zwölfhundertfünfzig) dieses als eine Versicherung und nicht als einen Auftrag oder als einen guten Rat. Joseph soll dann gesagt haben: „Fürchtet Euch nicht unterwegs, denn mein Name, als Vizekönig von Ägypten, begleitet Euch“.
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GUTER WUNSCH
Der Stamm RGZ (entweder böse werden oder ärgerlich werden, je nach dem, was folgt) wird auch als ein Zeichen von Angst übersetzt. In den Fußstapfen von Rabbi Jitzchak Abarbanel (vierzehnhundertsiebenunddreißig bis fünfzehnhundertundacht) ist dieses ein guter Wunsch: Joseph segnet seine Brüder, damit ihnen unterwegs nichts zu stößt, da sie damit befasst sind, eine große Mitzwa zu verrichten (scheluchej mitswa enam nisokim wenn man für eine Mitzwa unterwegs ist, wird man nicht durch ein Unglück getroffen).
ÄRGERE ANDERE NICHT
Es hätte auch sein können, dass Joseph sie angewiesen hatte, vor allem nicht durch Felder zu gehen, die jemandem anderen gehörten, so dass die Besitzer hiervon, als die Brüder unterwegs waren, nicht auf sie böse geworden wären. „Al tirgesu badarech“ bedeutet also: sorge dafür, dass Andere sich nicht über dich ärgern müssen.
UNTERWEGS KEINE TIEFGRÜNDIGE GEISTIGE BELASTUNGEN
Im Talmud (B.T. Ta’anit 10b) vermerken unsere Gelehrten das „Zerzankt Euch nicht unterwegs“ als einen Auftrag, sich auf dem Weg zum Ziel nicht mit Halacha (dem Jüdischen Gesetz) zu befassen. Dieses scheint im Gegensatz zu den bekannten Wörtern zu stehen „uwelechtega badarech“ – dass man mit dem „Lernen“ nie aufhören oder pausieren sollte, dass wir aus dem „Schema“ ableiten, worin steht, dass man selbst unterwegs Tora lernen soll. Dieses scheint weiterhin im Gegensatz zu der bekannten Aussage von Rabbi Ellai zu stehen, der besagt, dass „wenn zwei Menschen zusammen unterwegs sind und sie keine Tora-Inhalte besprechen, dieses eine abzulehnende Angelegenheit sei“.
TIEFSINNIGES LERNEN IST GEFÄHRLICH
Der Talmud B.T. Ta’anit 10b enthält hierfür die Antwort: „es ist Verboten, unterwegs tiefsinnige Angelegenheiten zu behandeln, aber die Wiederholung von einfachen Regeln ist erlaubt“ Unterwegs ist man auch verpflichtet, Thorah zu lernen, aber da diese Gefahr eintreten kann, darf das Lernen nicht zu tiefsinnig erfolgen.
MIT DEN NEUEN TATSACHEN KREATIV UMGEHEN
Rabbi Efraim Luntschitz (sechzehntes bis siebzehntes Jahrhundert) behauptet zudem, dass unsere Chachamim (Weisen) nicht so sehr ein Gespür für die Gefahren von unterwegs hatten (obwohl dieses auch eine wichtige halachische Angelegenheit ist, braucht das jedoch nicht genannt zu werden, da die Thorah kein medizinisches Handbuch ist). Es ging ihnen an erster Stelle um den Tiefsinn beim Studium der Halacha. Wenn man unterwegs versucht zu lernen, ist es unmöglich, um in die Materie tief ein zu steigen. Es kann sein, dass Joseph wollte seinen Brüdern beim Beginn der Diaspora sehr aktuelle Lehren mit geben: „Haltet Euch nicht zu viel mit halachischen Angelegenheiten auf“. Joseph wollte ihnen hiermit sagen, dass sie sich nicht zu viel theoretisch und ideologisch positionieren sollten, sondern viel mehr an die Umsetzung der Wirklichkeit denken. Sie sollten mit der neuen Wirklichkeit, also mit dem Ist-Zustand, kreativ umgehen.
GOLDENER MITTELWEG
Weiterhin sollten sie keine zu großen Schritte machen, was darauf deutet, dass Joseph befürchtete, dass sie von einem Extremzustand in den anderen verfallen würden: „Nehmet immer den goldenen Mittelweg“. „Wenn die Sonne des Erfolges Euch anstrahlt, müsset Ihr die Dinge vorbereiten; machet das aber nicht in einem Zustand der Depression und Verfall“.