KUNST, PRACHT UND PRAHLEN FÜR UNS ALLE ZUSAMMEN
WIE DEFINIEREN WIR SCHÖNHEIT?
Kurz vor Sukkoth, dem Laubhüttenfest, begeben sich viele Juden auf der Suche nach dem schönsten
-Etrog (eine Zitrusfrucht),
-dem geradesten Lulaw (Palmzweig),
-einem Hadas (ein Myrthenzweig) mit den meisten Blättern und
-nach einer Arawa (ein Bachweidenzweig) mit den schönsten langen Blättern, die sie wohl auf dem Markt finden können.
Sie machen das, da die Bnej Jisraejl nach dem Exodus bei der Teilung des Jam Suf (des Schilfmeeres) sangen: „Se Keli we’anwehu – Dieser ist mein G“tt, und ich werde IHN verschönern“.
(Zu verstehen ist, dass durch Lob und Bewunderung für G“tt, aber auch durch Spenden im Sinne von G“tt, Seine Güte unterstrichen wird).
Zwei Sichtweisen
Der Talmud (B.T. Schabbat 133b) erläutert diesen Satz auf zwei Arten. „Verschönern Sie sich selbst für G“tt durch die Erfüllung von Mitzwot (Geboten), benutze einen schönen Schofar, fertige eine schöne Sukkah, kaufe einen schönen Lulaw, usw.“.
Aber derselbe Text kann auch komplett anders interpretiert werden. „Dieser ist mein G“tt und ich werde wie ER sein“. Wir sollten versuchen, so viel wie möglich G“tt nach zu machen. Wir sollten wie HaSchem sein: genau so, wie ER gnadenvoll und mitfühlend ist, sollten auch wir gut und sympathisch sein. Dieser Erläuterung entsprechend, steht in der Halacha (nach jüdischem Recht: Orach Chajim 625, Scha’arej Tschuwa), dass wir am Vorabend von Sukkoth mehr Spenden für Tzeddaka (Wohltätigkeit) leisten sollten. Aber was hat Wohltätigkeit mit Schönheit zu tun?
Ein unzutreffender Vorwurf
Befasst sich das Judentum mit Schönheit und Kunst? Uns wird schon mal ein Mangel an Gefühl für die Kunst vorgeworfen. Um die vermeintliche Missachtung der Chachamim (der Weisen) für die Schönheit der Natur zu beweisen, zitiert man zu passenden und unpassenden Gelegenheiten Rabbi Ja’akow: „Wenn jemand sich auf den Weg macht und wiederholt, was er gelernt hat, dann mit dem Lernen innehält und ausruft: wie schön ist dieser Baum, wie schön ist dieser Acker“ dann kreidet man das ihm an, als ob er an sich selbst gesündigt hätte“ (Pirké Awot, Sprüche der Väter 3:9).
zur Erweiterung der inneren Harmonie
Kritiker vergessen jedoch, dass dieses Vorurteil für jemanden bestimmt ist, der sich nicht länger dem Thorastudium widmet und nur die Natur sieht, ohne den Schöpfer all dieses. Zur Entwicklung der ästhetischen Empfänglichkeit als Quelle von Lebensfreude oder zur Erweiterung der inneren Harmonie ist sich das Judentum sicherlich nicht zu schade! Aber wohl zu wenig…
nach dem Ebenbild G“ttes
Für die Kunst und Ästhetik gilt das gleiche, wie für alle anderen irdischen Phänomene: alles sollte der Entfaltung des höchsten menschlichen Aspektes, der Beziehung vom Menschen zu G“tt, zuträglich sein. Die höchste Art der künstlerischen Kreativität ist der Mensch als Geschöpf, nach dem Ebenbild G“ttes erschaffen.
verpflichtet, dieses „Bild“ sauber zu halten
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Der berühmte Mischnalehrer Hillel (erstes Jahrhundert) verstand das. Als er die Lehrschule verließ, wurde er von seinen Schülern begleitet. „Meister, wo gehen Sie hin?“, fragten sie. Hillel antwortete, dass er sich zur Erfüllung eines Gebotes aufgemacht hätte. „Welche Mitzwa?“ fragten die Schüler. „Ich gehe baden“ antwortete Hillel. „Das nennt man eine Mitzwa?“. „Klar doch“, antwortete Hillel, „in den Theatern und Zirkussen stehen Statuen des Kaisers. Ein hoher Funktionär ist speziell mit beauftragt worden, diese Statuen sauber zu halten und sie zu pflegen. Ich, der nach dem Ebenbild G“ttes erschaffen wurde, so wie es geschrieben steht (Genesis 1:27): „Und G“tt schuf den Menschen nach SEINEM Ebenbild“, bin doch sicherlich dazu verpflichtet, dieses „Bild“ sauber zu halten?“.
Kein Selbstzweck
Die Jüdische Erziehung richtet sich auf die Entfaltung der geistigen Ästhetik gerade dieses Kunstwerkes. König Salomo verwarf Schönheit als Eitelkeit. Die Kunst und die Ästhetik sind kein Selbstzweck. Aber wenn Schönheit und Kunstsinn dazu verwendet werden, das Höhere im Menschen zu akzentuieren, wird Verschönerung ein Gebot. Im Talmud und im Schulchan Aruch (Jüdische Gesetzgebung) wird auf Kunst und Ästhetik, zur Unterstützung oder als Äußerung religiöser Gefühle, besonders viel Wert gelegt.
ein glücklicher Mitmensch ist noch schöner
Körperliche Schönheit ist also wichtig. Aber geistige Schönheit umso mehr! Zu geistigen Schönheiten werden wir, indem wir bevorzugt viel an Chessed (Beweise der Nächstenliebe) für unsere Mitmenschen zeigen. Deshalb steht in der Halacha, dass wir am Vorabend von Sukkoth, unsere Spenden für Tzeddaka (Wohltätigkeit) zu intensivieren haben. Ein hübscher Lulaw ist schön, aber ein glücklicher Mitmensch ist noch schöner. Ein schillernder Etrog darf nie zu Lasten unserer Brüder und Schwestern in Not gehen.
Die Freude mit dem Gesetz
Die Einheit des Jüdischen Volkes wird an Simchat Thora noch größer, die Freude, die wir mit unserem Gesetz, der Thora, feiern. Wenn ich Außenstehenden erzähle, dass wir zu Simchat Thora mit unserem Gesetz tanzen, können sie ihren Ohren nicht glauben. Sicherlich nicht, wenn ich ihnen erzähle, dass an Simchat Thora jeder mit dem Gesetz tanzt, auch Menschen, die kein Jura studiert haben.
mit Ringen ausgestattet
Die Thora befand sich in der Heiligen Lade, dem Aron Hakodesch, wobei angedeutet wurde, dass diese viel mitgetragen werden musste. Was macht die Heilige Lade so besonders? Alle großen Gegenstände, wie der Tisch mit den Schaubroten oder der Räucherwerkaltar im Mischkan (dem Tabernakel), waren mit Ringen ausgestattet. Durch diese wurden Tragebalken gesteckt, um diese Gegenstände während der Wüstenwanderungen zu transportieren. Während der Lagerungen – im Ruhezustand – wurden die Tragebalken entfernt.
Selbst im Ruhezustand
Beim Aron Hakodesch, der Heiligen Lade, war das anders: hier durften die Tragebalken nie entfernt werden (vgl. Schemot/Ex. 25:15). Selbst im Ruhezustand mussten die Tragebalken in den Ringen bleiben.
Weshalb ist das so? Da der Aron Hakodesch die ursprünglichen Steinernen Tafeln, die Luchot, beherbergte und das Sefer Thora (die Thorarolle), die Mosche Rabbejnu selber geschrieben hatte. Die Thora bildet den Kern unseres Daseins. Diesen Kern haben wir zu pflegen und zu ehren. Deshalb durften die Tragebalken nie entfernt werden. Bei plötzlichem hoch heben könnte durch Unachtsamkeit und indem man die verkehrten Tragebalken hineinstecken würde, der Aron Hakodesch stürzen.
Deshalb mussten die richtigen Tragebalken durchgehend darin bleiben. Jeder erhält die Möglichkeit, sich an der Thora zu erfreuen. Wir tanzen mit der Ewigkeit unseres Bestehens als Volk.
Mehrheitsform
Aber weshalb darf jeder mittanzen, auch wenn sie wenig mit den Gesetzen der Thora befasst sind? In der Thora steht ein Hinweis, dass bei der Thora jeder mitmachen darf und soll. Nachmanides (12. Jahrhundert) fiel bereits auf, dass nur bei der Fertigung der Heiligen Lade – „Und sie werden MIR eine Lade machen“ (Schemot/Ex. 25:10) – eine Mehrheitsform verwendet wurde, da jeder bei der Fertigung der Lade einen Anteil haben sollte, sodass alle an den Verdiensten der Thorakenntnis beteiligt waren.
Or haChajim (Rabbi Chajim ibn Attar, 18. Jahrhundert) besagt, dass die Verwendung der Mehrheitsform bei der Fertigung des Aron HaKodesch darauf deutet, dass die gesamte Thora nur durch das gesamte Volk Israel erfüllt werden kann. Kein Individuum kann das von sich allein. Nur das gesamte Volk als eine Einheit kann der Thora total nachkommen. Deshalb steht die Fertigung der Lade in der Mehrzahl.
Erbschaft für gesamt Israel
Rabbi Mosche Alschich (15. Jahrhundert) erklärt die Mehrheitsform wie folgt: „Die Krone (Ehre) der Thora ist nicht wie die Krone (Ehre) der Priesterschaft oder der Königsherrschaft, die nur an auserkorenen Familien innerhalb Israel vergeben wurden. Die Krone der Thora ist die Erbschaft für gesamt Israel. Hierin ist jeder gleich. Jeder ist gleich würdig und fähig, die Thora zu studieren“.
Einen guten Jom Tow Sukkoth und ein fröhliches und freiliches Simchat Thora/Simches Tojre!