mit dem Mut der Verzweiflung zu neuen großen Höhen gelangen
Ein Nasir verspricht, während mindestens dreißig Tage keine geistigen, hochprozentigen Getränke zu sich zu nehmen, das Haar seines Kopfes nicht zu schneiden und sich nicht an einem Toten zu verunreinigen. Indem sie mit einer Leiche konfrontiert werden, fangen Menschen an, an den erhabenen menschlichen Auftrag zu zweifeln. Unsere Tora ist die Lehre des Lebens. Wir dürfen uns durch den Tod, der uns leider umgeben hat und umgibt, nie von unserer hohen Berufung ableiten lassen.
Der Nasir ähnelt einem Kohen Gadol
Der Nasir möchte sich irdischen Freuden oder Genüssen entziehen und entsagen. Damit wird er während eines Monats ein „heiliger Mensch“, selbst so besonders, dass er einem Kohen Gadol, einem Hohepriester, anfängt zu ähneln. Beide dürfen selbst ihre nächsten Familienmitglieder nicht beerdigen (ein „normaler“ Kohen darf das wohl).
Er fühlte sich „besser als der Rest“
Sein Gelübde aber für einen höheren Lebensstil führt auch zu einer Verpflichtung, um nach dem Monat ein Sühneopfer zu bringen. Er hat sich – unbefugter weise – allerhand irdischen Genuss entsagt. Die Tora möchte eigentlich, dass wir das Irdische mit dem Spirituellen verknüpfen und das Materielle nicht negieren oder für unwichtig erklären. Wenn wir genießen, können wir G“tt besser dienen. Außerdem hat der Nasir sich über die anderen Menschen gestellt. Er fühlte sich „besser als der Rest“. Das rechtfertigte auch ein Sühneopfer.
wer sind die Nasireer heutzutage
Die Tora institutionalisiert das Nasireertum: jeder kann den Status eines Hohepriesters für einen Monat einnehmen. Der Italienische Kommentator Sforno (1470-1550) fragt sich, wer die Nasireer heutzutage sind. In einer Art von Parabel erklärt er, dass das die Tora-Gelehrten sind. Der Tora-Gelehrte nähert sich diesem Ideal am meisten: ‚An allen Tagen seiner Enthaltsamkeit zu Ehre G“ttes darf er sich keinem /keiner Toten nähern“ (Bamidbar/Num. 6:6).
Gab es nicht genug Tote in Cesarea?
Sforno zitiert einen Vorfall aus dem Jerusalemer Talmud. Rabbi Abahu sandte seinen Sohn Rabbi Chanina von Cesarea nach Tiberias, um dort beim größten Rabbi aus der damaligen Zeit, Rabbi Jochanan, Tora zu lernen. Rabbi Abahu erfuhr einige Zeit später, dass Rabbi Chanina sein Studium verwahrloste und sich auch mit der Beerdigung von Verstorbenen beschäftigte. Obwohl dieses letztere auch eine große Mitzwa ist, war Rabbi Abahu auf seinen Sohn böse, da dieses auf Kosten seines Tora-Studiums ging: „Gab es nicht genug Tote in Cesarea?“.
Nicht lassen ablenken
Rabbi Abahu wollte hiermit zur Kenntnis geben, dass wenn man sich im Leben ein heiliges und erhabenes Ziel setzt, man sich nicht durch allerhand andere und segensreiche Aktivitäten ablenken lassen darf, die auch eine Mitzwa sind, aber ebenso gut von anderen erledigt werden können (wenn es niemand anderen gibt, um einen Verstorbenen zu beerdigen, muss auch der Hohepriester oder der Tora-Gelehrte beerdigen (so lautet die Halacha, das Jüdische Gesetz)).
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Es geht um unseren Lebensauftrag
Die Botschaft sollte deutlich sein: wenn wir uns mit dem erhabenen Judentum beschäftigen, sollten wir „zu Ehre G“ttes“ fokussiert bleiben. Nichts darf uns ablenken. Es geht um unseren Lebensauftrag.
Im Leben gibt es höhere und weniger erhabene Berufungen. Wenn Du dafür vorbestimmt bist und für einen höheren Auftrag entsandt wirst, sollst Du Dich dafür auf den Weg machen und dabei auf dem Weg bleiben. Das ist, wofür Du auf Erden gekommen bist.
trotz allem weiter müssen/sollen und können
Andere sehen in der Episode von Rabbi Abahu und Rabbi Chanina eine Symbolik für unseren Auftrag als Volk. Ich schreibe dieses nach den Gedenktagen unseres Volkes anlässlich der Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts. Leider waren in der Jüdischen Geschichte andauernd Tote zu beklagen. Viele unserer Freunde und Bekannte mussten wir in der Vergangenheit beerdigen. Wir können in der Trauer über unsere bedauernswerte Vergangenheit von Pogromen und Vernichtung verhaftet bleiben. Manchmal ist das so die Kehle zuschnürend, dass wir nicht in unserem Gemeinschaftsleben oder in unserem religiösen Leben weiter wachsen können. Rabbi Abahu erzählte seinem Sohn, dass wir unser Vergangenheit nicht los zu lassen brauchen und doch – trotz allem – weiter müssen/sollen und können.
Leider war das oft unser Schicksal. Aber glücklicherweise haben wir immer die Kraft gefunden, um wie ein Phönix aus der Asche wieder auf zu steigen und mit dem Mut der Verzweiflung zu neuen großen Höhen zu gelangen.