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JOM KIPPUR: EIN NEUER ZUSTAND, EIN MEILENSTEIN NACH ROSCH HASCHANA: SELBSTKRITIK

Wir stehen am Vorabend von Jom Kippur 5780 und befinden uns im KOL NIDREJ – GEBET. Dieses Gebet bildet die ethische, moralische und religiöse Grundlage für unser Neues Jüdisches Jahr, strahlt aber auch weit in das weltliche Jahr hinein.

 

In der vergangenen Woche feierten wir Rosch Haschana. Rosch Haschana ist ein Tag des Urteils, ein Jom HaDin.

 

Jom Kippur hingegen ist der am stärksten menschenbezogene Festtag des Jüdischen Jahres. Der Mensch wird hauptsächlich mit sich selber konfrontiert, mit seinem Verhalten gegenüber G“tt und seinem Mitmenschen, mit seiner Aufgabe in der Gemeinschaft und mit seiner Rolle in der Welt.

 

An Jom Kippur werden unsere Sünden weggespült. Wir stehen den ganzen Tag fastend, betend und schluchzend in der Synagoge. Es ist der Tag der Einkehr und der Verzeihung.

Jom Kippur ist als Tag DER Tag im Jüdischen Kalender, an dem wir der Selbstbetrachtung im Spiegel nicht ausweichen können. Dieser Spiegel ist wie ein Röntgengerät. Der Mensch wird vollständig umgekrempelt, keine Ecke bleibt verborgen. Es gibt große Unterschiede zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur.

 

An Rosch Haschana krönen wir G“tt zum König der Welt, zum Alleinherrscher über die Schöpfung.

An Jom Kippur bekennen und bedauern wir unsere Sünden und hoffen, dass wir durch Teschuwa, durch Einkehr, Verzeihung für alle unsere Sünden erlangen.

 

Während der Tage der Rückkehr zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur bereiten wir uns auf diese Begegnung, auf diese Konfrontation zwischen G“tt und Mensch, vor. Aber eigentlich hatten wir mit dem Anlauf von und zu Jom Kippur schon viel früher begonnen.

Bereits zu Beginn von Ellul, dem Monat vor Rosch Haschana, versuchen wir, zu G“tt zurück zu kehren. Es sind eigentlich vierzig Tage der Einkehr, in denen wir uns auf Jom Kippur vorbereiten. Unser tägliches Ego muss hierfür aufnahmebereit gemacht werden.

Was bedeutet Jom Kippur bei diesem Wachstumsvorgang?

Jom Kippur lehrt uns, zu wachsen, indem wir eine sogenannte „Intro-Inspektion“ (in uns selbst hinein schauen) machen und durch die Anerkennung und Feststellung unserer Fehler. Nur auf diese Weise können wir, wie mit einem unbeschriebenen Blatt Papier, aufs Neue durchstarten und neu wieder beginnen.

 

An Jom Kippur zählen wir in der Synagoge selbst zehn Mal alle möglichen Sünden auf, denen sich ein Mensch schuldig machen kann. Dieses erfolgt gemeinsam und wird laut gesagt, so dass, wer sich an einer oder an mehreren der benannten Sünden schuldig gemacht hat, damit nicht gesondert vor der Gemeinschaft steht. Und es gibt Keinen, der nicht in den ausgiebig genannten Fehlverhalten eingebunden ist.

 

Das Widdui, das Sündenbekenntnis, ist nach dem Hebräischen Alphabet chronologisch angeordnet, um es besser behalten zu können.

 

Das Zugeständnis, dass wir fehlerhaft gehandelt haben, wirkt befreiend. Ein Sündenbekenntnis löst uns von der irrigen Vergangenheit und bereitet uns auf eine bessere Zukunft vor. Wir erhalten die Möglichkeit, durch die genannte „Intro-Inspektion“ (in uns hinein zu sehen), über eine kritische Analyse unseres eigenen Vorgehens, ein besserer Mensch zu werden.

 

Im jetzt Folgenden gehe ich auf eine mögliche Erklärung der unterschiedlichen Bestandteile des Sündenbekenntnisses ein:

 

DIEBSTAL kommt sehr regelmäßig vor, in schlimmer, aber meist in (sehr) subtiler Weise. Haben Sie auch nicht mal etwas, das Ihnen nicht gehörte, an sich genommen, wie ein Bonbon aus einem offenen Glasbehälter im Supermarkt? „Wir haben gestohlen“ gilt nicht nur zwischen dem Mensch und seinem Mitmenschen, sondern auch in der Beziehung zwischen dem Mensch und G“tt, (wie Malachi (3:8) schon sagte: „Du bestiehlst MICH andauernd“).

Sehr oft halten wir uns gegenüber G“tt zurück, wir gehen nicht vollherzig auf G“tt zu. Berühmt ist die Aussage aus den Sprüchen (28:24), wo steht: „Er bestiehlt seinen Vater und seine Mutter“. Laut dem Talmud (Berachot 32b) bedeutet der „Vater“ hier HaSchem (G“tt) und mit „Mutter“ wird das Jüdische Volk oder der Mitmensch angedeutet.

 

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Negativ Sprechen. Wir haben doppelzüngig gesprochen (wir sagen nicht ehrlich, was wir wirklich meinten), wir haben eine lästernde Sprache, Lügen, Betrug, Geschwätz (was selbst in Charaktermord ausufern kann) oder schmutzige Sprache verwendet.

Auch diese Awera (Verfehlung) gilt sowohl gegenüber dem Mitmenschen, wie gegenüber G“tt. HaSchem spricht durch SEINEN Prophet Male’achi (3:13): „Ihr habet MIR gegenüber außergewöhnlich unangenehm gesprochen“.

Oft sprechen wir geringschätzend über inhaltliche Bestandteile der Tora oder wir nehmen die Ehre G“ttes nicht wirklich ernst und zeigen auf diese Weise, dass es nicht der Mühe wert sei, HaSchem wirklich zu dienen. Hier darunter fällt auch die Führung von geschäftlichen Gesprächen an Jomtow (Festtage) und an Schabbat, vor allem nicht in der Synagoge!

 

Pervertiert handeln und denken. Was recht war und deutlich gut, haben wir pervertiert und schlecht gemacht, wir haben verkehrt gehandelt, indem wir andere Menschen zu Verfehlungen oder zu sündigen angeregt haben. Wir haben auch unreine Gedanken gehegt und zu Dingen hin geschaut, die wir vermeiden sollten.  Anschließend haben wir Andere öffentlich zu Schande gemacht; daran trägt das Judentum schwerer, als wir gewohnt sind und anscheinend spielt sich alles selbst schon im häuslichen Kreis ab.

 

Spotten und auslachen. Wir haben Menschen oder wichtige und heilige Dinge lächerlich gemacht. Der Prophet Jeschajahu warnt bereits hier vor, da man alles, was sich als gut gezeigt und bewährt hat, mit einigen Wörtern komplett „zerstören“ kann (28:14). G“tt verträgt spottende und hochmütige Menschen nicht, die Andere nach unten ziehen, indem sie sie lächerlich machen. Laut dem Talmud haben diese leichtsinnigen Spötter keinen Platz im Paradies.

 

Den G“ttlichen Auftrag negieren. Wir waren aufsässig, gegen HaSchem, G“tt, gegen unsere Eltern und gegen unsere Lehrer. Manche Menschen geraten in verkehrtes Fahrwasser, da sie ihre Emotionen, ihren Herzschlag, nicht zügeln können, aber wenn Du gegen besseren Wissens und Wollen eine Anordnung von G“tt in den Wind schlägst, rebellierst Du gegen den Allmächtigen.

 

Aufsässig rebellieren. Wir waren widerspenstig, eindeutig sowohl gegen unsere Eltern, wie gegen die Höchste Autorität. Aufsässig und widerspenstig sind fast synonyme, zwei Seiten  derselben Medaille. Wir haben unsere Herzen vom G“ttesdienst abgewendet.

 

Feindschaft. Wir haben eine feindliche Haltung eingenommen. Das sich mit einander nicht vertragen ist das größte Übel, an dem wir heutzutage leiden und Symptome einer ernsthaften Krankheit bedeuten.

 

Wenig flexibel oder bescheiden. Wir benahmen uns hartnäckig. Bereits Mosche Rabbejnu wies uns schon früh in der Jüdischen Geschichte, im Buch Exodus, auf unseren hartnäckigen Charakter hin: „Sehe, es ist ein verstocktes Volk“ (32:10). Was uns auch geschieht, wie sehen darin nie die Hand G“ttes. Auch wenn wir deutliche Vorhaltungen gemacht bekommen, wir bleiben bei der festen Ansicht, dass das Schlechte, das uns ereilt, nur ein Zufallstreffer sei. Wir bleiben eisern davon überzeugt, wir wären im Recht und wir sind nicht bereit, jemals nach zu geben.

 

Sittlicher Verfall. Wir haben verwerfliche Dinge getan. Das Wort „Schichejt“ wird überwiegend oder oft in Zusammenhang mit Korruption, Götzendienst und Unzucht oder Obszönitäten verwendet. Aber sittlicher Verfall äußert sich auch auf subtile Art, indem man anderen Angst einjagt, indem man immer böse und ausfahrend ist oder indem man Anderen nicht helfen will, indem man sich weigert, Tzedaka (Wohltätigkeit) zu leisten.

 

Bewusst-unbewusste Fehler. Auch eine Anwandlung oder ein Fehler kommt irgendwo her. Meistens brodelt es aus dem Unterbewusstsein nach oben und das bedeutet, dass wir diese bösen Neigungen normalerweise nicht zu unserem eigenen Ich zulassen. Aber sie sind wohl Bestandteile unserer Persönlichkeit.  Verfehlungen, die sich hieraus ergeben, können mir nicht mit der Bezeichnung, es sei nur „ein irrtümliches sich Versprechen gewesen“, abtun.

 

Schlechtes Beispiel von sich Benehmen. Wir haben nicht nur selber gesündigt, sondern auch Andere auf die „Schiefe Bahn“ gelenkt. Jeder Mensch verfügt über einen freien Willen. Das bedeutet, dass er manchmal oder regelmäßig in eine Schieflage geraten kann und Andere hier mit ziehen. Eine subtile Art hiervon ist ein schlechtes Beispiel zu bieten. Ein schlechtes Beispiel hat leider Nachahmer.

 

Ich hoffe, dass Sie sich, nach Ablauf dieses Ehrfurcht erweckenden und heiligen und doch schweren Tages, von Ihren Sünden befreit fühlen und im Stande sind, besser damit um zu gehen.

Gemar Chatima Towa, Schana Towa Umetuka, hier und in Israel, ein Schana von Schalom , Fortschritt und Wohlergehen, für Jeden!

 

 

 

 

 

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