Der Schabbat nach Tischa BeAv (9.Av) wird Schabbat „Nachamu“ genannt. Der Grund für diese Bezeichnung ist die Haftara (wöchentlicher Abschnitt aus den Propheten, welcher in der Regel dem Thema des Wochenabschnitts aus der Tora entspricht) aus dem Buch Yeschaja (Kap.40 1-26), die mit den Worten Nachamu („Seid getröstet“) beginnt.
Darin bittet G´tt das jüdische Volk Trost zu finden, weil das Exil enden wird und das jüdische Volk schlussendlich ins Heilige Land zurückkehren wird.
Auf den ersten Blick scheint diese Haftara sehr gut zu passen, weil sie gleich nach Tischa BeAv gelesen wird, aber es gibt ein kleines Problem…
Zweimal im Jahr beten, weinen und fasten wir ganze 24 Stunden, an Yom Kippur und an Tischa BeAv, aber es gibt einen fundamentalen Unterschied:
Nach Yom Kippur essen wir eine feierliche Mahlzeit und freuen wir uns, weil wir davon überzeugt sind, dass G´tt unsere Sünden verziehen hat und wir nun spirituell rein sind. All die Tränen, welche wir während des Tages vergossen haben und die zahlreichen Gebeten waren nicht umsonst.
Nachdem Tischa BeAv vorbei ist, stehen vom Boden auf und kehren zu unserem fröhlichen Alltag zurück, aber leider hat sich nichts verändert und wir befinden uns noch immer im Exil. Warum lesen wir dann die Haftara, worin das jüdische Volk aufgefordert wird, sich zu trösten? Hat sich denn nach Tischa BeAv etwas verändert?
Die Antwort auf diese Frage wird uns offenbaren, was wir aus Tischa BeAv mitnehmen können bzw. sollten:
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Unsere Weisen lehren uns (Yoma 9a), dass die Länge des Exils nach der Zerstörung des Ersten Tempels offenbart wurde, weil ihre Sünden (Mord, Ehebruch und Götzendienst) bekannt waren. Die Länge des Exils nach der Zerstörung des Zweiten Tempels hingegen (in welchem wir uns noch immer befinden) wurde nicht offenbart, weil ihre Sünde nicht bekannt ist.
Diese Passage ist schwer zu verstehen: Erstens: was ist damit gemeint, dass die Sünde des jüdischen Volkes vor der Zerstörung des Zweiten Tempels nicht bekannt ist, wir alle wissen doch, dass der Tempel wegen Sinat Chinam – Sinnlosem Hass zerstört wurde. Zweitens: Was ist der Zusammenhang der Länge des Exils mit der Bekanntheit der Sünde?
Rabbi Yonathan Eiberschiz (1694-1764) erklärt in seinem Werk Yaarot Dwasch, dass natürlich alle wissen, aus welchem Grund der Zweite Tempel zerstört wurde, was wir nicht wissen, ist, dass WIR dieses Problem ebenfalls haben…
Wie ein Mensch, welcher sich nicht bewusst ist, dass er krank ist, keine Möglichkeit hat, von dieser Krankheit zu genesen, so kann man sich auch nicht von Sinat Chinam „heilen“, solange man nicht weiß, dass man ebenfalls davon betroffen ist.
Daher der Zusammenhang zur Länge des Exils, denn solange der Grund bzw. das Problem, welches uns ins Exil geschickt hat nicht behoben ist, kann es keine Erlösung geben.
An Tischa BeAv haben wir hoffentlich verstanden, warum wir uns im Exil befinden und das WIR ebenfalls ein Problem haben und nicht nur die Menschen vor 1952 Jahren.
Aus diesem Grund kehren wir in den Alltag zurück, freuen uns und lesen die Haftara „Nachamu“, weil jetzt besteht die Hoffnung, dass wir diese Erkenntnis nutzen, um uns zu verbessern und Sinat Chinam aus der Welt schaffen. Wenn wir das schaffen, dann müssen wir nächstes Jahr nicht mehr auf dem Boden sitzen…