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Warum müssen Josef und Benjamin beide über die Zerstörung verschiedener Heiligtümer im Gebiet des jeweils anderen weinen? – Parascha Wajigasch

Fragen von einem meiner Studenten und meine Antwort

Kvod HaRav Hier meine beide Kommentare zu Ihrer Erklärung verschiedener Aspekte von Parscha Vajigasch.

Frage: Meine Hauptfrage lautet: Warum werden die Gefühle von Josef und Benjamin nicht einfach als menschliche Gefühle nach einer langen Trennung beschrieben? Warum müssen beide über die Zerstörung verschiedener Heiligtümer im Gebiet des jeweils anderen weinen?

1.

Raschi in Ehren, doch dieser Interpretation folge ich nicht.

Viel eher gehe ich von ganz normalen menschlichen Gefühlen aus: Die Familie war erleichtert, nach so langer und schwieriger Zeit (das schlechte Gewissen muss die Brüder schwer geplagt haben! Insbesondere auch wegen der steten, unheilbaren Trauer ihres Vaters Jakob!) wieder zusammen zu sein.

Auch die Aussage, jeder solle sein Leben soweit verbessern, dass wir für würdig befunden werden können, dass der dritte Tempel gebaut wird, halte ich für bedenklich.

Der Aussage selbst widerspreche ich zwar nicht: Das sollten wir in der Tat anstreben! Doch ich halte sie für gefährlich.

Die Chance, dass alle wir Juden uns auf dieses Niveau hochbringen, ist – realistisch betrachtet – doch eher klein!

Schauen wir uns doch diese weltweit ca. 15 Millionen einmal an: Orthodox und observant ist deutlich weniger als die Hälfte!

Zwar ist ihre Zahl in Israel am Steigen, doch im Gallut sieht es eher ernüchternd aus. Deutlich sehen wir das in den USA, wo ein Grossteil der Juden das Judentum bereits verlassen hat, sich einer Mischform von Judentum und Christentum zuwendet, Mischehen eingeht, ein völlig säkulares Leben führt und/oder sich in vielen Belangen gegen Israel positioniert…

So betrachtet, muss uns diese Aussage eher deprimierend stimmen: “Wann wird der Messiach kommen? Wenn wir weiterfahren wie bisher: NIE!”

Unsere Aussagen sollten uns jedoch OPTIMISTISCH stimmen, zuversichtlich, und nicht deprimiert. Denn ohne Optimismus und Zuversicht fehlt es uns an Motivation!

Mit Verlaub, lieber Rav Evers: Das sind meine Gedanken. Vielleicht wollen andere sich auch äussern. Ich finde es jedenfalls gut, wenn in einer jüdischen Gemeinde lebhaft debattiert wird. So bin ich das aus meiner Gemeinde in Israel auch gewohnt.

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2.In der Zeit gab es keine Tempel, ja nichtmal einen Mischkan und so halte ich es als unverstaendlich und sehr weit hergeholt, sie wuerden um Tempelverlust weinen. Das Weinen entspricht der typischen Gefuehle in so einer Situation, als etwas anderes kann ich das nicht sehen. Wenn Raschi meint, das Weinen haette andere Gruende, wird er das sicher auch entspr. erklaert haben, damit es plausibel wird. Aber eine Erklaerung fehlt hier vollstaendig. Schade.

Antwort: Raschi denkt nicht an sich selbst. Er zitiert nur den Talmud oder Midrasch, von dem er meint, dass er hier eine gute und ausreichende Erklärung gibt.

Alle Ihre Argumente sind richtig, scheitern aber an einem Punkt: Warum muss die Tora eine natürliche und tränenreiche Begegnung nach so vielen Jahren der Trennung so detailliert beschreiben? Natürlich spielen hier viele menschliche Emotionen eine Rolle, aber sie sind selbstverständlich.

Die Tora ist kein Familienroman, wie es der jüdischen Familie im Laufe der Jahre ergangen ist, sondern ein Buch der religiösen Unterweisung. Das Wort Tora bedeutet religiöse Erziehung. Nur sehr hochrangige religiöse Menschen spielen dabei eine führende Rolle. Warum wird das Auf und Ab all der Millionen anderer Menschen, die zu dieser Zeit gelebt haben, nicht erwähnt? Denn das passt nicht in den Rahmen und Zweck der Tora.

Die Tora beschreibt nur, wie man mit verschiedenen Formen von Wohlstand und Widrigkeiten auf religiöse Weise umgehen kann. Die Menschen, die in der Tora beschrieben werden, sind sicherlich nicht Charles Heston aus den Zehn Geboten. Dass ihre Reaktion erwähnt wird, muss in einem religiösen Sinne etwas für die Nachkommenschaft, für die Zukunft von Klal Jisraeel und die Zukunft der Religion bedeuten.

Josef und Benjamin repräsentieren zwei Formen religiöser Erfahrung und zwei Heiligtümer (G’ttes Königreich auf Erden), und die einzige Frage im Leben dieser Prototypen religiöser Menschen ist, wie sie die Zukunft der Errichtung von G’ttes Königreich auf Erden wahrnahmen und voraussahen. Sie sahen, dass sinat chinam, Hass auf nichts und Bruderzwist, die Tempel völlig zerstört und konnten so ihre persönlichen Gefühle mit den Gefühlen der Schechina verbinden, wie wir einander und G’tt behandeln.

In diesem Zusammentreffen von persönlichen und volkstümlichen Ereignissen mit hohem religiösem Gehalt gelang es beispielsweise Josef und Benjamin, ihre persönlichen und zukunftsorientierten Emotionen von Klal Jisrael als Träger des Namens G’tt und ihre religiösen Gefühle zu synchronisieren und in Einklang zu bringen. Wir müssen immer wieder versuchen zu fühlen, was z.B. die vertriebene Schechina fühlen muss, wenn durch einen Bruderzwist das Heiligste des jüdischen Volkes – seine Tempel – zerstört werden.

Dieser Höhepunkt des Zusammenflusses von persönlichen Emotionen und religiösen Gefühlen und Geistesbewegungen, die die ganze Nation betreffen, jetzt und in der Zukunft, wurde nur von unseren Patriarchen und ihren Kindern richtig erkannt. Deshalb stehen sie in der Tora und nicht ich oder Du.

Ich hoffe, ich habe Ihre Frage beantwortet,

Ich bleibe,

mit freundlichen Grüßen

R Evers

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