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Dieses Jahr ist es ein Schaltjahr

Dieses Jahr ist es ein Schaltjahr

Dieses Jahr ist ein besonderes im jüdischen Kalender: Wir haben zwei Monate mit dem Namen Adar. Am Abend des 5. Februar beginnt der Monat Adar I, am 7./8. März ist Rosch Chodesch (Monatsbeginn) von Adar II. Wenn wir einen zweiten Monat Adar »einbauen«, wird das jüdische Jahr einen Monat länger – es ist dann ein Jahr mit 13 jüdischen Monaten. Ein solches Jahr nennen wir ein Schaltjahr.

Aber wofür benötigen wir überhaupt ein Schaltjahr? Wie oft kommt ein Schaltjahr vor, und was ist sein theoretischer Hintergrund? Und dann stellt sich noch eine praktische Frage: Wenn jemand im zweiten Monat Adar geboren wurde, wann feiert er dann seinen Geburtstag in einem Jahr, das kein Schaltjahr ist?

 

Der jüdische Kalender folgt in erster Linie der Mondbewegung um die Erde. Unsere Zeitrechnung kennt einen Wochenzyklus von Schabbat zu Schabbat, einen Monatszyklus von Neumond zu Neumond und einen Jahreszyklus von Pessach bis Pessach.

Das weltliche Jahr in Deutschland, das dem gregorianischen Kalender folgt, ist ein Sonnenjahr und richtet sich nach der Umkreisung der Sonne um die Erde. Das jüdische Jahr ist jedoch ein Mondjahr. Es wird aber überwiegend, soweit möglich, mit dem Sonnenjahr in Übereinstimmung gebracht.

Wieso ist für uns der Mondkalender so zentral? Weil dies so in der Tora steht (2. Buch Mose 12,2): »Dieser Monat ist für euch der Anfang der Monate. Dieser Monat ist für euch der erste der Monate des Jahres«. Gemeint ist Nissan, der Monat des Pessachfestes.

 

Der Mondkalender ist aber auch Ausdruck einer Weltanschauung: Ein aufgehender und ein abnehmender Mond sind Symbole für die Erneuerung des jüdischen Volkes. »Dem Mond gleichend, geht das jüdische Volk nie verloren, selbst nicht in den dunkelsten Zeiten. Erneute Blüte und Wiederentstehung sind für alle Zeiten gesichert, so lange G’ttes Kinder ihm treu bleiben«, schrieb der Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch (19. Jahrhundert), der den jüdischen Kalender den Katechismus des Judentums nannte.

Doch ohne Synchronisation mit dem Sonnenjahr würden die jüdischen Monate und Feiertage die Jahreszeiten »durchlaufen«, wie dies beim Islam der Fall ist. Im Islam sind Schaltjahre verboten, da dieses laut dem Koran eine »Hinzufügung von Nicht-Glauben« wäre. Als Folge hiervon schiebt sich der Fastenmonat Ramadan durch das Jahr – er fällt mal in den Herbst und dann wieder in den Sommer.

Das weltliche Jahr, auch bürgerliches Jahr genannt, fußt auf dem Lauf der Sonne. Der römische Kaiser Gajus Julius Caesar hatte den Sonnenkalender im Jahr 45 v.d.Z. auf genau 365 und einen Vierteltag festgelegt. Alle vier Jahre wurde ein Schalttag am 29. Februar eingeführt. Spätere astronomische Berechnungen zeigten, dass Caesars Jahr elf Minuten und 13 Sekunden zu lang war.

 

Im Jahre 1582 sah sich Papst Gregor XIII. hierdurch gezwungen, den Kalender zu reformieren, indem er zehn Tage einfach strich. Der 15. Oktober 1582 folgte in diesem Jahr direkt auf den 4. Oktober.

Das jüdische Kalendersystem ist eine Kombination eines Sonnen- und eines Mondjahres, das sogenannte lunisolare System. Das Judentum muss auch die Jahreszeiten berücksichtigen, da die Tora vorschreibt, dass Pessach im Frühling und Sukkot im Herbst gefeiert werden müssen.

Die Unterschiede zwischen dem Mondjahr mit etwa 354 Tagen und dem Sonnenjahr mit etwas mehr als 365 Tagen werden harmonisiert, indem innerhalb von 19 Jahren siebenmal ein zweiter Monat Adar am Anfang des Frühlings eingeschoben wird.

Die Jahre drei, sechs, acht, elf, 14, 17 und 19 des sogenannten kleinen Kreislaufs (des Mondkreislaufs von 19 Jahren) sind Schaltjahre, womit der Unterschied zwischen Sonnen- und Mondjahr fast komplett ausgeglichen wird. Dieses Muster ist eine Folge des stabilen Kalenders, der im Jahr 359 n.d.Z. durch den jüdischen Patriarchen Hillel II. festgelegt wurde.

 

Sanhedrin Davor kannte der jüdische Kalender keine derart feste Regelmäßigkeit. Jeder neue Monat wurde durch den Sanhedrin in Jerusalem ad hoc festgelegt, nachdem die erste Mondsichel wahrgenommen worden war. Jedes Schaltjahr wurde umgehend eingesetzt oder entfiel, wenn Erscheinungen in der Natur hierzu Veranlassung gaben.

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Der Oberrabbiner von Algier, Rabbi Schimon ben Semach Duran (1361–1444), wurde irgendwann dreist gefragt, weshalb die jüdische Zeitrechnung den Lauf des Mondes benutzt, wodurch wir »gezwungen werden, Schaltjahre einzuführen, um mit dem Sonnenjahr ins Gleichgewicht zu kommen«.

 

Rabbi Schimon erwiderte scharfsinnig, unsere Zeitrechnung sei ein Beweis für große Weisheit: »Der Kreislauf der Sonne ist nicht in Monate einzuteilen. Die hier übliche Einteilung der Monate ist etwas Künstliches, das nach Vereinbarung erfolgt, aber nicht den Lauf der Natur berücksichtigt. Viele Weise der antiken Völker haben unsere Zeitrechnung gepriesen … Sie nehmen also Anstoß an etwas, dass gerade ein Verdienst und eine Vorzüglichkeit unserer Lehre ist und wünschen sich, dass wir wie diejenigen werden, die sich im Dunkeln befinden, während es ›für alle Kinder Israels Licht gibt‹!?«

 

Das jüdische Mond-Sonne-Kalendersystem beinhaltet einen noch tieferen Aspekt mystischer Art. In der Kabbala wird behauptet, die Anwesenheit G’ttes sei dermaßen überwältigend, dass Er sich ganz eindeutig aus dem physischen Universum habe zurücknehmen müssen, um ein »unabhängiges« irdisches Leben zu ermöglichen.

Die Zurückname G’ttes diene dazu, Seine Ausdehnung von Licht und Leben verborgen zu halten. Nur ein minimaler »Strahl« des g’ttlichen Lichtes erreicht die Geschöpfe. Die Welt wird in den zehn Sefirot gelenkt und aufgelistet, den zehn Sphären der Ausstrahlungen, die G’ttes Werkzeuge bilden, um das irdische Leben zu regeln.

Das männliche Element darin wird als das »Gebende«, das Weibliche als das »Entgegennehmende« bezeichnet. In diesem mystischen System wurde die Sonne in der sechsten Sphäre platziert, die auch nach unserem Erzvater Jakow benannt wurde. Der Mond – der Empfänger des Sonnenlichtes – steht in der zehnten Sphäre, die auch mit dem Namen unserer Erzmutter Rachel in Verbindung gebracht wird.

 

Das Mond-Sonne-System harmonisiert somit nicht nur naturwissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch das männliche und das weibliche Element in der Himmelssphäre. Der jüdische Kalender spiegelt also das zentrale Ideal von totaler Harmonie im Universum wider, von oben bis unten, in wissenschaftlichen Bezeichnungen und Inhalten.

Früher wurde jeder neue Monat und jedes Schaltjahr durch den Sanhedrin zu Jerusalem festgelegt, nachdem Zeugen aussagten, sie hätten den Neumond gesehen. Die Mischna (Edujot 7,7) vermerkt, dass ein zweiter Monat Adar auch nach Purim (15. Adar) eingesetzt werden konnte: »Rabbi Jehoschua und Rabbi Papias bezeugten vor dem Hohen Gerichtshof Sanhedrin (das nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.d.Z. in Jawne tagte), dass der Schaltjahrmonat Adar II während des gesamten Monats Adar I festgestellt werden konnte.«

Doch seit Mitte des 4. Jahrhunderts n.d.Z. weist der jüdische Kalender ein genaues und vorhersagbares Muster auf. Der Jerusalemer Talmud (Megilla 1,5) wirft eine Frage auf, die auch heutzutage sehr aktuell ist: »Welcher Monat wurde nun ›hinzugefügt‹, Adar I oder Adar II?« Welcher Adar ist also der ursprüngliche und welcher der Schaltjahrmonat? Der Talmud gelangt zu der Entscheidung, dass der zweite Adar der wichtigere sei.

 

Dies ist für verschiedene Ereignisse im jüdischen Leben wie etwa die Barmizwa bedeutend. Ein Junge, der in einem »normalen« Jahr im Monat Adar geboren wurde oder wird, feiert seine Barmizwa in einem Schaltjahr erst im Monat Adar II. Ist man aber in einem Schaltjahr im Monat Adar II geboren, wird man in einem »normalen« Jahr Barmizwa – im üblichen Monat Adar.

Rabbiner Jossef Karo beschreibt im jüdischen Kodex Schulchan Aruch (I:55:10) einen bemerkenswerten Fall: »Zwei Jungen werden im selben Schaltjahr geboren, der eine am 29. Adar I und der zweite etwas später am 1. Adar II. Nach 13 Jahren ist das Jahr, in dem sie Barmizwa werden, ein normales Jahr mit nur einem Monat Adar. Der zuletzt Geborene feiert nun seine Barmizwa am 1. Adar, aber der erstgeborene Junge muss bis zum 29. Adar auf seine Barmizwa warten.

Ein anderes Problem bildet das Kaddisch-Sagen zur Jahrzeit eines verstorbenen Elternteils. Ist ein Elternteil im Adar in einem normalen Jahr verstorben, muss dann Kaddisch in Adar I oder Adar II gesprochen werden? Diese Frage behandeln die Autoritäten unterschiedlich.

Der sefardische Rabbiner Jossef Karo (I:568:7) ist der Meinung, dass man den Jahrzeittag in Adar II begeht. Der aschkenasische Rabbi Mosche Isserles stimmt dem nur dann zu, wenn auch der Tod im Monat Adar II eines Schaltjahres erfolgte. Verstarb der Mensch in einem normalen Jahr, dann verwenden aschkenasische Juden als Tag der Jahrzeit den Tag im Monat Adar I. Nichtsdestoweniger vermerkt Rabbiner Isserles, das manche Juden sowohl in Adar I als auch in Adar II am Jahrzeittag fasten.

Und noch eines ist wichtig: Der Überlieferung nach war nach das Jahr, in dem Haman beschloss, alle Juden im Perserreich an einem Tag zu ermorden, ein Schaltjahr, und die Errettung unseres Volkes geschah im Adar II. Auch deshalb wird Purim im zweiten Monat Adar gefeiert.

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