Mobile Navigation

Einführung in die Trauerregeln und Trauerpraktiken Teil 4

Beitrag widmen (Funktion kommt)

Ansichten: 492

Einführung in die Trauerregeln und Trauerpraktiken Teil 4

2. Aninut

Der Ursprung des Wortes Aninut ist zweifacher Natur: Es bedeutet sowohl Kummer als auch kräftiger Schlag. Das ähnelt semantisch der ersten Trauerphase, der „Schockphase.“ Der Mensch in dieser Phase wird “Onen” genannt.

1. Lobpreisung (Bracha)

Unmittelbar nach dem Eintreten des Todes sprechen die trauernden Familienmitglieder eine Lobpreisung, in der man G’tt als den einzigen Wahren Richter anerkennt. Dies basiert auf einem Ausspruch im Talmud der besagt, dass man G’tt als den einzigen Richter bei Glück und Unglück anerkennen muss. Obwohl die traurigen Gefühle dominieren, gibt es auch positive Gefühle; die Lobpreisung wird zu einem “legitimen Ventil”, um diese auch zu zeigen. Diese Lobpreisung wird als erster Schritt zurück gesehen, aber dann in einer passiven Weise, nach einem Gefühl der Verbundenheit mit G’tt. Der Torah-observante Jude kann auch “nichts anderes tun, als zu akzeptieren”. Die Annahme des Todes ist der Beginn einer angemessenen Trauer.

Heutzutage wird die Lobpreisung nach dem Einreißen der Kleidung (Keria) ausgesprochen, bevor der Verstorbene aus dem Bestattungsinstitut hinausgetragen wird.

2. Rabbi Meir

Die berühmte Geschichte von Rabbi Meir zeigt, dass die Ergebenheit, die einen positiven Einfluss auf den Verlauf des gesamten Trauerprozesses hat, selbst für die Größten unter den Menschen eine schwierige Aufgabe ist. In der Stadt von Rabbi Meir brach einmal die Pest aus und am Schabbat-Nachmittag, während Rabbi Meir seinen Schülern die Tora erläuterte, starben plötzlich seine beiden Söhne. Ihre Mutter legte die beiden Kinder auf ein Bett und bedeckte sie mit einem Laken.

Am Abend, als Rabbi Meir aus dem Lehrhaus zurückkehrte, fragte er nach seinen beiden Söhnen. Seine Frau Beruria antwortete ihm, dass sie sich im Lehrhaus befänden. „Oh”, sagte Rabbi Meir, “ich habe sie dort erwartet, konnte sie aber nicht finden.“ Beruria antwortete ihm nicht, sondern gab ihm den Becher Wein, worüber Rabbi Meir eine Lobpreisung aussprach, der das Ende des Schabbats anzeigte. Als er damit fertig war, fragte er noch einmal: „Wo sind die Kinder?“ „Manchmal gehen sie mit Freunden mit”, antwortete Beruria, „ich denke, sie werden bald nach Hause kommen“. Beruria deckte den Tisch und nach der Abendmahlzeit sagte sie: “Meister, ich möchte Ihnen eine Frage stellen.“ „Was gibt es?“, fragte der Rabbi erstaunt. „Vor einiger Zeit kam ein Mann hierher und hat mir etwas Kostbares in Verwahrung gegeben. Jetzt ist er zurückgekommen und will es zurückhaben; muss ich es ihm zurückgeben?“ „Meine Frau, was ist das für eine Frage? Natürlich musst du es ihm zurückgeben!“ „Ja”, antwortete Beruria,”aber ich wollte es dem Besitzer nicht ohne Ihre Zustimmung zurückgeben”. Dann nahm sie ihren Mann mit nach oben. Sie deckte das Bett, worauf ihre beiden Söhne tot lagen, auf. Rabbi Meir begann bitterlich zu weinen. Beruria weinte nicht, sondern sagte ruhig: “Hast du mir nicht gesagt, dass wir dem rechtmäßigen Besitzer das, was uns in Verwahrung gegeben wurde, zurückgeben sollen? G’tt hat gegeben, G’tt hat genommen, gepriesen ist G’ttes Name!’24.

Diese Episode drückt die Jüdische Einstellung zu Leben und Tod aus; die Erkenntnis, dass es sowohl das Beste sein muss, weil G’tt es so beschlossen hat und dass das Leben ein Geschenk ist, von G’tt gegeben und von G’tt genommen. Es zeigt auch ein Modell, das ein Beispiel für die Haltung eines der größten Jüdischen Gelehrten gibt, den die Geschichte gekannt hat25 im Verhältnis zu seinem G’tt, das große Dilemma, das eigentlich jeder Trauer vorangeht. Auch der große Rabbi Meir hatte damit Schwierigkeiten; die Halacha nimmt in jeder Hinsicht auf diese Gefühle Rücksicht. Das heißt aber nicht, dass alles aufhört und kein Ausweg mehr möglich ist. Obwohl wirkliche Ergebenheit nur als die letzte Phase der Trauer betrachtet wird, kann die Akzeptanz in dieser ersten Phase vielleicht ein Hauptgrund dafür sein, dass Menschen, welche die Riten beobachten, weniger Aggression und Wut zeigten26.

3. Freistellung von den täglichen religiösen Pflichten

Diese Lobpreisung, in der G’tt als der einzige wahre Richter anerkannt wird, ist eigentlich die einzige Pflicht gegenüber G’tt, die der Onen zu erfüllen hat. Außerdem ist er von jeder anderen religiösen Pflicht befreit, er darf sie nicht einmal erfüllen. Ein Ursprung für diese Befreiung liegt in dem Verbot für den Priester, in dieser Situation Opfer zu bringen. Das Bringen von Opfern erfordert, dass sich der Priester als Teil des Volkes fühlt. Rabbiner Hirsch sagt dazu: “Die Gemeinschaft weiht das Opfer. Der Priester (Kohen) nimmt als Mitglied oder Vertreter der Gemeinschaft an den Heiligtümern teil. Nur mit einem Gefühl für die Gemeinschaft, das alle verbindet, kann das heilige Ziel erreicht werden. Das Gefühl eines Onen steht hierzu in krassem Gegensatz“27.

4. Gefühlsgehalt

Rabbi J.B. Soloveitchik führt dies weiter aus und erklärt, dass die spontane menschliche Reaktion darin besteht, dass „er beginnt, an seiner eigenen menschlichen, einzigartigen Realität zu zweifeln. Er verroht, er kommt zu dem Schluss, dass der Mensch nicht menschlich ist. Warum sollte man sich dann noch bemühen, warum sollte man die menschliche moralische Last tragen?“ Eine zweite Quelle für diese Freistellung findet sich in Deuteronomium 16:3, in welchem Mosche sagt: „…damit du gedenkest des Tages deines Auszuges aus dem Lande Mizraim alle Tage deines Lebens.“ Diese in Ägypten eingegangene Verpflichtung ist bloß Kraft für den Menschen, der “auf das Leben gerichtet ist und nicht auf jemanden, der dem Tod begegnet ist”, denn “unsere Verbindung zu G’tt: wurzelt im Bewusstsein der Menschenwürde und der heiligen Pflichten“. Sein soziales Gefühl ist derart gebrochen, dass er nicht zu der erforderlichen Anzahl der Betenden (Minjan) gezählt werden darf oder die Synagoge besuchen soll29. Erst nach der Beerdigung wird mit der Wiederherstellung der Verbundenheit mit der Gemeinde begonnen und die Trauernden dürfen für den Minjan mitgezählt werden.

5. Pflicht zur Regelung des Begräbnisses

Diese Freistellung hat also einen negativen, aber auch einen positiven Ursprung. Eine alte Talmud-Regel besagt, dass, wenn eine Person damit beschäftigt ist, ein Gebot zu erfüllen, sie von der Erfüllung eines anderen befreit ist30. Der Onen muss alles zur Vorbereitung des Begräbnisses regeln31. Deshalb darf er immer noch Lederschuhe tragen und ist nicht verpflichtet, Schiwa zu sitzen, so dass er besser im Stande ist, alles für das Begräbnis zu organisieren. Der Onen bekräftigt seine Sorge um die Toten mit allerlei Taten, die gleichzeitig dazu dienen, seinen Wunsch nach Identifikation mit dem verlorenen Liebesobjekt zu überwinden. Durch diese Handlungen erfährt er das Gefühl, dass er nicht “tot” ist, auch wenn er bewusst oder unbewusst vielleicht so empfindet oder so empfinden will. Während dieser ersten Zeit verspürt der Onen ein intensives Verlangen, alles in seiner Macht Stehende für den Verstorbenen zu tun. Die Jüdische Tradition kommt diesem Wunsch entgegen, indem sie alle Verantwortung für das Begräbnis dem Onen überträgt32.

6. Todesverleugnung unmöglich

Rosenblatt33 sagt: “Weil Menschen vielleicht unwillig sein können, an feierlichen Zeremonien teilzunehmen, und weil ihre Anwesenheit wichtig sein kann, ist es zu erwarten, dass jede Gesellschaft so aufgebaut ist, dass Zeremonien tatsächlich besucht werden (können).“ Obwohl er sich dort auf die Umstehenden bezieht, gilt dies auch für die Trauernden selbst. Sie müssen auch ermutigt werden, sich um die Organisation der Beerdigung zu bemühen und nicht die gesamte Betreuung bis zum Grab an dafür ausgebildete Spezialisten übergeben. Dies könnte zu einer Entfremdung hinsichtlich des Todes führen. Todesverleugnung, derer die westliche Gesellschaft oft beschuldigt wird, ist damit tatsächlich unmöglich. Cassem34 sagt, dass in dieser Phase Verwirrung herrscht, so dass ein Ritual notwendig ist, um mit dieser Phase umgehen zu können. Trauernde Menschen erhalten dann zumindest das Gefühl, dass das, was sie tun, gut ist. Da es ferner nicht nur das Handeln der Familie ist, sondern auch eine Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft, kann die Betreuung der Verstorbenen auch als ein gemeinsamer Weg gesehen werden, eine gemeinsame Verantwortung mit einem der Mitglieder dieser Gemeinschaft zu teilen. Das Judentum hat für diese Phase klar definierte Handlungen, so dass es aufgrund von “Auswahl und Vielfalt” keine Gründe für “die Spannung geben muss, die an jedem Punkt der Auswahl auftreten kann”. Fehlende Kenntnisse können dazu führen, dass die Familie auf die eine oder andere Weise von Freunden und Bekannten verletzt wird, die ihre Erwartungen nicht erfüllen35. Individuelle und gemeinschaftliche Ausführungen fließen durch das gemeinsame Ankleiden des Verstorbenen in Jüdischen Bräuchen und Riten ganz natürlich zusammen.

7. Wasser ausgießen

Ein weiteres Ritual kurz nach dem Tod ist das Ausgießen des Wassers. Das Wasser, das sich im Haus befindet, muss man ausgießen, was auch von den Bewohnern der drei nächstgelegenen Häuser getan werden muss. Dies ist ein Weg, um die Gemeinschaft nonverbal wissen zu lassen, dass sich hier ein Toter befindet, weil es für die Familie oft schwierig ist, die Umstehenden mit Worten darüber zu informieren. Dies ermöglicht es anderen, den Toten „Liebe zu erweisen”, falls das nötig ist36. In einigen Kreisen in den Niederlanden wird dieser Gebrauch nicht mehr praktiziert.

8. Einreißen (Keria)

Kurz vor der Beerdigung macht man einen Riss in der Kleidung. „Das Einreißen ist eine Gelegenheit zu psychologischer Erleichterung. Es gibt dem Trauernden die Möglichkeit, seine aufgestaute Wut und Schmerzen durch einen kontrollierten, religiös bekräftigten Akt der Zerstörung nachzugeben”37. Bei diesem Einreißen spricht man einen Bibelvers mit folgendem Gehalt: „Zerreiß Dein Herz, nicht nur Deine Kleider, und kehre zurück zum Ewigen, Deinem Gott”38. Es werden in der halachischen Literatur zwei Gründe für diesen Riss angegeben:

· um den Kummer zu erwecken;

· die Aufmerksamkeit von einem großen Verlust auf einen kleineren – besser begreifbaren – Verlust zu lenken39

Obwohl diese Gründe auf den ersten Blick so widersprüchlich erscheinen, können sie auch als Ganzes betrachtet werden. Der Schock ist zu groß, so als wäre er transzendent. Um jetzt den Trauerprozess einzuleiten, richten wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf einen kleineren, verständlicheren Verlust (d.h. der Kleidung), so dass der große Verlust mitgetragen wird und man mit der eigentlichen “verinnerlichten” Trauer beginnen kann. Das Einreißen macht die Trauer empfindlich auf den Verlust (Sensibilisierung).

Es gibt viele verschiedene Meinungen und Bräuche über den genauen Zeitpunkt, an dem das Einreißen (Keria) gemacht werden soll. Tatsächlich kann das Einreißen jederzeit zwischen dem Tod und dem Schließen des Sarges gemacht werden. Vielerorts ist es jedoch üblich geworden, das Einreißen (und auch die Lobpreisung) erst kurz vor der Beerdigung vorzunehmen. Einige Sephardische (orientalische) Juden führen das Einreißen aus, nachdem sie vom Friedhof zurückgekehrt sind (d.h. nach der Beerdigung) oder sofort nach dem Bedecken des Grabes, wenn sie mit zum Friedhof gegangen sind.

9. Verbot des körperlichen Genusses

Der Onen unterliegt einem Verbot des körperlichen Genusses: Er darf weder Fleisch noch Wein verzehren und darf nur die allernötigsten Mahlzeiten zu sich nehmen. Ein Ausdruck des Schocks, der ihn seines Appetits beraubt40.

10. Regeln für die Umstehenden

Eine Reihe von Regeln gelten auch für die übrigen Anwesenden, die nicht Schiwa sitzen, die sich der Gemütsverfassung des Onen anschließen. Zuallererst besucht man den Onen nicht, um ihn zu trösten. Rabbi Simeon ben Eleazar sagt dazu: “Versuch nicht, deinen Freund zu trösten, wenn seine tote Person noch vor ihm liegt“41.

Unsere Gelehrten erkannten, dass alles noch zu unwirklich ist und die Onen in dieser ersten Trauerphase immer noch zu viel „mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt ist. Er ist in einem Schockzustand und hat das Gefühl, als wäre eine seiner Gliedmaßen amputiert worden. Das Schmerzgefühl ist immer noch zu körperlich”. Das eigentliche Durcharbeiten ist erst in der zweiten Phase möglich, wenn “nur die Folgen des Verlustes” zu spüren sind; er ist noch zu verletzt, widerspenstig und empört42, noch zu sprachlos, um durch Gespräche oder gemeinsames Stillschweigen wieder einen Durchlass zu finden, zurück in die Gemeinschaft. Er ist noch zu sehr auf sich selbst zurückgeworfen43.

Tatsächlich muss die ganze Stadt aufhören zu arbeiten, um zu helfen, die Beerdigung vorzubereiten. Obwohl dies gegenwärtig nicht mehr gebräuchlich ist, schliesst sich diese Regel deutlich dem Gefühl der Trauernden in diesem Moment an. Rabbi Ing. I. Vorst erzählte mir aus persönlicher Erfahrung, dass es ihm direkt nach einem großen Verlust unmöglich war, sich vorzustellen, dass das Leben für andere wie gewöhnlich weitergeht. Das ist vielleicht eine Funktion der oben genannten Regel: Die Gemeinschaft zeigt tatsächlich, dass dieser “private Verlust” auch sie betrifft, wie der Talmud sagt: “Alle Kinder Israels sind wie eine Einheit”. Gerade in diesem Stadium des “Schocks”, in diesem Zustand tiefsten Elends und des Gefühls von der Gemeinschaft losgelöst zu sein, zeigt die ganze Gemeinschaft eine so tiefe Verbundenheit, dass sie auch ihre tägliche Arbeit tatsächlich einstellt, sie zeigt, dass sie sozusagen auch von „einem ihrer Gliedmaßen“ abgeschnitten ist. Auf diese Weise wird die erste Brücke zurück zur Gemeinschaft geschlagen.

11. Umgang mit den sterblichen Überresten

Nachdem der Tod eingetreten ist, wird das Gesicht des Verstorbenen mit einem weißen Tuch bedeckt, weil es verboten ist, einen Toten anzuschauen. Einer der Gründe dafür ist, dass es als schwierig oder schmerzhaft45 angesehen wird, zu einem Toten zu blicken. Eine Studie von Parkes46 zeigte, dass viele durch das Anschauen eines Toten verstört wurden.

Das Judentum gibt klar an, wie mit dem toten Körper umgegangen werden soll: “Wir müssen vor dem Körper Respekt haben, entsprechend dem Respekt, den wir vor dem Lebenden hatten. Er darf in keiner Weise entstellt, entweiht oder verschönert werden. Der Talmud sagt über die Heiligkeit des Körpers das “für jeden, der anwesend ist, wenn die Seele austritt, es so aussehen muss, als würde eine heilige Gesetzesrolle verbrannt’48. Jeder, der in irgendeiner Weise mit den Toten zu tun hat, muss sich dessen bewusst sein. Es ist ein großer Trost für die unmittelbare Familie zu wissen, dass der Verstorbene in guten Händen ist.

12. Der Status der Chewra Kaddischa

Normalerweise wird der Verstorbene einer speziellen Gruppe von Menschen übergeben, Mitglieder der Gemeinschaft, die einen Großteil ihrer Freizeit für das Waschen und Reinigen des Verstorbenen opfern. Diese Gruppe wird „Chewra Kaddischa” genannt, die „heilige Gruppe”, und nicht eine Beerdigungsgruppe, was auf den hohen Status hinweist, den die Weisen ihnen zuerkannt haben.

Quick Donate

Im Gegensatz zu dem, was im Westen üblich ist, liegt der größte Teil der Pflege nicht in den Händen darin ausgebildeter Spezialisten. Selbst das, was unter dem Schutz der Chewra Kaddischa geschieht, wird der Familie nicht vollständig entzogen. Ein oder mehrere Familienmitglieder kommen, um nach dem Waschen kleinere Handlungen durchzuführen, wie nach dem Waschen das Anziehen einer Socke oder das Schließen der Augen. Aus Respekt vor dem Verstorbenen bleibt der ganze Körper während aller Handlungen bedeckt. Die Vorschriften vom Tod bis zur Beerdigung sind:

· Wachen bei dem Toten,

· Waschen des Toten,

· das Anziehen sauberer weißer Kleidung.

13. Bewachung (Schemira)

Der Verstorbene wird unmittelbar nach dem Tod bis zum Begräbnis bewacht. Familie und gute Freunde bleiben abwechselnd einige Zeit in der Nähe der körperlichen Überreste. Das Bewachen hat aus Jüdischer Sicht keine klare soziale Funktion, es ist vielmehr Ausdruck eines Gefühls des Respekts vor dem Toten. Dennoch hat es eine psychologische Funktion, indem es den Wert des Verstorbenen als Mensch betont. Man bewacht nämlich, weil es nicht so scheinen soll also der Verstorbene „ein Gegenstand ist an dem niemand mehr interessiert ist‘S1

14. Waschung (Tahara)

Waschen, Reinigen und Anziehen von weißer Leinenkleidung sind Handlungen mit einer tiefen Symbolik. Waschen und Reinigen geschehen nicht aus Hygiene-Vorschriften; der gereinigte Körper symbolisiert die Reinheit der zu G’tt aufsteigenden Seele. So wie der Mensch rein war, als er auf die Welt kam, so muss er auch rein sein, wenn er von ihr scheidet.

15. Anziehen von weißer Leinenkleidung

Die weiße Leinenkleidung ist nicht nur Totenkleidung, sondern auch ein Festgewand. So wie der Jude gereinigt und in einem Festgewand in den Schabbat eintritt, so tritt er auch in das Leben nach dem Tod, das Jenseits, gereinigt und im Festgewand ein52. Diese weißen Kleider ähneln auch den Gewändern des Hohepriesters am Großen Versöhnungstag. Dies drückt den Gedanken aus, dass der Tod Versöhnung für die begangenen Sünden bringt. Dies sind Symbole, die auch für die nächsten Angehörigen von Bedeutung sind, da sie die Trauer erleichtern und abmildern.53.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der soziale Aspekt, der sich in der Einfachheit der Grabkleidung und des Grabes widerspiegelt. Dem Talmud zufolge gibt es neben unnötiger Verschwendung noch einen weiteren Grund für die Vorschrift von einheitlichen weißen Leinen für Totenkleidung. In der Vergangenheit war die Beerdigung für die Familie noch schlimmer als der Tod; so sehr, dass man die körperlichen Überreste liegen ließ und fort flüchtete, um nicht der schweren finanziellen Belastung, verbunden mit einer Beerdigung nachkommen zu müssen. Damals beschloss Rabbi Gamaliel (2. Jh.), sich bei seiner Beerdigung nicht entsprechend seinem Status begraben zu lassen. Er beschloss, dass er nach seinem Tod in einfache Leinenkleidung gekleidet sein sollte. Diesem Beispiel folgt man bis zum heutigen Tage54. Zahlreiche Ausgaben für eine Beerdigung sind oft ein Weg, um Schuldgefühle über eine nicht allzu beste Beziehung während des Lebens abzulösen. Diese Gefühle müssen weiterhin als normaler Teil des Trauerprozesses durchgearbeitet werden, aber die Ablösung ist nicht der Weg, um ambivalente Gefühle loszuwerden. Ebenso werden die finanziell Schwachen vor Schuldgefühlen geschützt, weil sie ihrem verstorbenen Familienmitglied nicht genügend Ehre gezollt haben.

16. Beerdigung (Lewaja)

Danach folgt in Israel noch am selben Tag, anderswo, soweit es die Gesetze des Landes erlauben, die Lewaja, die Begleitung der Toten zu seiner letzten Ruhestätte. Dabei handelt es sich nicht „um eine pfeilschnelle Entfernung der Leiche aus der täglichen Umgebung, aus hygienischen Gründen gerechtfertigt, die den Tod jetzt irreal macht’55, sondern einfach um die Einhaltung des Gebotes, den Verstorbenen so schnell wie möglich zu begraben56. Ein beschränkter Aufschub der Beerdigung zu Ehren des Verstorbenen, um Familienangehörige herkommen zu lassen und Menschen aus anderen Städten zu benachrichtigen, ist zulässig57.

Eine möglichst rasche Bestattung wird dazu beitragen, dass der eigentliche Trauerprozess zusammen mit der Gemeinschaft – die zweite Phase – die erst nach der Beerdigung beginnt, schneller möglich wird. Da das Jüdische Begräbnis, durch seinen Realismus und seine Schlichtheit, die Unwiderruflichkeit des Sterbens betont, kann die “Schock- und Verleugnungs“-phase“ verkürzt werden, so dass das Gefühl der Realität so schnell wie möglich in die Familie zurückkehrt58.

Die Beerdigung ist ein Ereignis von großer religiöser und sozialer Bedeutung. Gar so groß, dass man aufhören darf, die Tora zu studieren, um bei einer Beerdigung anwesend zu sein59. Die Begleiter müssen ihre Teilnahme zeigen und der gesamte Weg muss in Stille stattfinden. Sogar in Eile muss die Bahre mindestens vier Ellen (= zwei Meter) begleitet werden. Die Absicht ist, dass man sich in dieser feierlichen Stille an die eigene Nichtigkeit erinnert und versucht, sich selbst zu verbessern. Vor der Bahre geht immer jemand mit einer Opferbüchse. In einer Zeit, in der wir uns an unsere eigene Nichtigkeit erinnern, sind wir in der Lage, dieses Gefühl in die Tat umzusetzen. Man gibt Geld in die Büchse und sagt: ‘Wohltat rettet vor dem Tod’. Die Lewaja ist eine Gelegenheit, in der die Gemeinschaft die Möglichkeit erhält, die Trauer öffentlich zu zeigen. Einige Leute besuchen nur die Lewaja, gute Freunde und Bekannte gehen auch mit ihnen auf den Friedhof.

17. Trauerrede (Hesped)

Bei der Ankunft auf dem Friedhof halten ein oder mehrere Familienmitglieder und/oder der örtliche Rabbiner eine Trauerrede. Eigentlich besteht die Trauerrede – Eulogie – aus zwei Teilen: der Erwähnung der guten Taten des Verstorbenen und dem Bedauern über den Tod.

Die Trauerrede ist gedacht, um die Toten ehren. Aber das ist noch nicht alles: dem Toten Ehre zu erweisen gibt den Überlebenden das Gefühl, dass es sich lohnt, um diesen Mann oder diese Frau zu trauern61 Die Eulogie ist eine hervorragende Gelegenheit, auf die Bedeutung der Toten in seinem eigenen Leben zurückzublicken und diese Erfahrungen wieder zu integrieren62. Fulton63 sagt, dass seine Forschungen gezeigt haben, dass diejenigen, die keine traditionelle Beerdigung mitgemacht hatten, die wenigsten positiven Erinnerungen an den Verstorbenen hatten. Ein Aspekt der Eulogie ist dann, die guten Erinnerungen, an einem öffentlichen Ort, hervorzuheben, was eine Bestätigung des wertvollen Lebens, das der Verstorbene gelebt hat, durch die ganze Gemeinschaft bedeutet.

Religiöse Bräuche wurden oft dafür kritisiert, dass sie dem Ritual Nachdruck verleihen, auf Kosten des Individuums. In manchen Kreisen ist es üblich, in der Eulogie den Namen des Verstorbenen nicht zu erwähnen64. Unsere Eulogie kennt diese Anonymität nicht. Der Verstorbene wird mit Namen genannt und seine guten Taten werden ausdrücklich erwähnt. Es gibt sogar eine Regel, die dem Einhalt gebietet; es ist verboten, zu viel zu übertreiben, man darf nur das erwähnen, was der Verstorbene tatsächlich getan hat, und ihm nicht etwas hinzufügen65 Gleichzeitig ist die Eulogie auch zu einer Art „Spiegel der Gruppe, in dem wir die gemeinsamen Werte und Erwartungen, die wir voneinander haben, beobachten können“66. „Durch das Loben der Toten, werden die Lebenden indirekt für ihre Loyalität belohnt. Eulogien betonen auch die Gruppenwerte in einer Weise, die hilft, die Menschen wieder an die Norm zu binden“67.

18.Weinen

Der zweite Aspekt ist das Weinen und Trauern um den Verstorbenen. Auch der Talmud regt dazu an: „ein jeder, der über einen würdigen Menschen Tränen vergießt, dem werden alle seine Übertretungen vergeben’68. Hier wird wieder einmal der soziale Aspekt der Trauer hervorgehoben. Die Beerdigung ist nicht allein für die Familie, sie ist auch eine Erfahrung für die ganze Gemeinschaft. Die Anwesenheit von nicht-direkten Familienmitgliedern wird auch stark gefördert, da die Beerdigung eine unverzichtbare Erfahrung für alle ist. Weisman69 nennt die Beerdigung und nicht die Konzeption, die “Urszene”. Das Gefühl des Todes soll eine Voraussetzung für das Gefühl des Lebens sein. Die Beerdigung ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, um eine Perspektive auf das Leben zu erhalten. Für die Familie ist es eine Einführung in die wirkliche Trauer in der zweiten Phase, auch relativ Fremde weinen zu sehen. Laut dem Talmud beginnt die zweite Phase mit “drei Tagen Weinen”70. Weinen geschieht nicht immer von selbst. Deshalb “muss auch ein armer Mann in Israel bei der Beerdigung seiner Frau zwei Klagefrauen verpflichten”71. Letzteres ist im Westen nicht mehr der Fall.

19. Begräbnis (Kewura)

Danach macht man sich auf den Weg zum Grab. In den meisten Jüdischen Gemeinden wird der Sarg in einem einfachen Wagen gefahren, in einigen Kreisen von Verwandten und Bekannten getragen.

Unterwegs stoppt man die Bahre siebenmal (in manchen Gemeinden dreimal), eine Art langsamer Anlauf zur Rückkehr in die Realität, die Erkenntnis, dass die Person wirklich tot ist: die Beerdigung.

Am Grab angekommen, wird der Sarg in die Erde gesenkt, wonach jeder mindestens drei Schaufeln Erde auf den Sarg wirft. In westlichen Kreisen, besonders in Amerika, ist es üblich, das klaffende Loch in der rauen Erde mit einem grünen Tuch zu bedecken, `allerlei Arten, in denen unsere Kultur uns erlaubt, der Konfrontation mit der Realität des Todes aus dem Weg zu gehen. Das raue, klaffende Loch in der Erde symbolisiert die raue Leere des Trauernden im Moment der letzten Trennung”72. Etwas für den Verstorbenen zu tun, drei Schaufeln Erde auf den Sarg zu werfen, hilft, den Schmerz der Trennung zu lindern, indem es einen letzten Akt der Liebe und Besorgnis zeigt. „Dieses Zudecken der Eltern durch ihre Kinder ist ein liebevolles und bewegendes Ereignis, da die Kinder abends von ihren Eltern ins Bett gebracht wurden“73. Bei einer jüdischen Beerdigung werden keine Blumen oder Kränze gelegt.

20. Zidduk HaDin

Danach sagt man das `Zidduk HaDin’, eine Rechtfertigung für G’ttes Beschluss. Darin anerkennt man die Gerechtigkeit des Todes mit den Worten: „Der Fels, vollkommen allem Tun, wer wagt es, Ihm zu sagen: was tust Du?“ Die Familie beginnt damit und alle sprechen es mit ihnen74. Das Elend wird gelindert, die Schuldgefühle werden durch die Erkenntnis weggefegt, dass nur Gott bestimmt, wann jemand sterben wird. Ein weiterer Trost ist die Lesung, die danach, noch am Grab, gehalten wird. Hier werden einige Passagen aus dem Talmud diskutiert, in denen auf die Wiederauferstehung der Toten Bezug genommen wird; eines Tages wird eine Zeit kommen, in der man den Verstorbenen wieder sehen wird.

Das ist nicht nur eine Theorie, aus der man Trost schöpfen kann; für den praktizierenden Juden ist das eine Realität, die täglich im Gebet erwähnt wird. „Die Zeremonien dämpfen den Schock für die zutiefst Betroffenen, nicht durch Verleugnung, sondern durch die implizite Zusicherung, dass ihre Ideale real und wertvoll sind„76.

21.Kaddisch

Danach sagt die Familie das bekannte Kaddisch, in dem sie öffentlich und feierlich erläutern, dass G’tt die Toten wiederbeleben wird; die Gemeinschaft antwortet mit ‘Amen’. Das Kaddisch bildet auch den Übergang von der ersten zur zweiten Phase der Trauer, Awelut. Genau das passiert hier, denn mit dem Kaddisch „trotzt man dem Tod und seinem teuflischen Komplott gegen den Menschen”. Die Trauernden erklären “ungeachtet des hässlichen Endes des Menschen, so angsteinjagend das Grab auch ist, so sinnlos und absurd alles erscheinen mag, wir erklären und bekennen öffentlich und feierlich, dass wir nicht aufgeben werden, dass wir uns nicht mit weniger als der vollen Verwirklichung des letzten Zieles zufrieden geben werden: der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens für die Menschen“76.

22. Spalier(Shurot)

Nach der Beerdigung bleibt man nicht lange auf dem Friedhof, obwohl es schwierig ist, sich einfach umzudrehen und weg zu gehen. Vielleicht haben unsere Weisen mit diesem Dilemma im Hinterkopf folgenden Brauch eingeführt: Alle Anwesenden bilden zwei Reihen, zwischen denen die trauernde Familie langsam vom Grab wegläuft. Sie stehen einige Male still, und alle Anwesenden sagen: ‘Möge G’tt euch trösten inmitten aller Trauernder um Jerusalem und Zion’. Die Gemeinschaft umringt sie hierbei. Diese physische Anwesenheit ist ein Ausdruck des Wunsches, ihre Schmerzen zu lindern. Aber es ist mehr: Es ist der erste Schritt zurück in die Gemeinschaft. Typische Symptome der Trauer sind eine Tendenz zum Rückzug und eine gemindertes Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Da “äußere Reize eine innere Reaktion erwecken”, wird so eine Annäherung an die Gemeinschaft herbeigeführt. Körperlich von Freunden und Bekannten umringt zu sein, ist die Einleitung eines psychologischen Zurückwachsens zurück in die Gemeinschaft; es entsteht das Gefühl, dass man geschützt – und nicht allein gelassen wird – besonders jetzt, zu Beginn der schwersten Phase, Awelut.

War dies nützlich?

Ja (3)
Nein
Vielen Dank für Ihr Feedback!
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Teilen Sie ihn mit Ihren Freunden!
Facebook
Twitter
Telegram
WhatsApp
Skype

Wir schreiben eine neue Torah-Rolle in Wien

Über Autor
Quick Donate

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content