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Taschlich an Rosch Haschana

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Taschlich an Rosch Haschana

Irgendwann las ich in einer Zeitung eine verwirrende Geschichte, in der beschrieben wurde, wie die Juden zum Jüdischen Neujahr das Taschlich umsetzen: „sie werfen alle ihre sündige und schlechte Gedanken weg, indem sie symbolisch hierfür Brot ins Wasser schmeißen. Es darf kein üblicher Teich sein, es soll fließendes Wasser sein, in dem Fische schwimmen. Normalerweise begeben sich die Juden hierfür zum Teich in den Stadtpark. Aber der ist zurzeit fast vollständig ausgetrocknet. Drei Springbrunnen der Stadtwerke schaffen Abhilfe“. Die drei Springbrunnen werden speziell mit Fischen versehen, so dass die Jüdische Gemeinschaft dort das Taschlich-Gebet sprechen und die Zeremonie verrichten kann. Danach werden die Fische entfernt, um die Springbrunnen wieder normale Springbrunnen sein zu lassen. Ende der Geschichte. Ich habe daraus gelernt, dass man bei unseren Minhagim (Bräuchen) immer die tieferen Hintergründe erklären sollte.

Was ist dieses Taschlich – unsere Gebete am Ufer eines Flusses oder an einem anderen fließenden Gewässer zu Rosch Haschana?

Taschlich ist ein alter Minhag (Brauch). Alle Minhagim beinhalten einen tieferen spirituellen, wenn nicht auch schon einen mystischen Hintergrund. Oft fördern Minhagim einen tieferen Sinn oder die Ratio einer Vorschrift oder Gesetzesbestimmung aus der Thora an die Oberfläche. Die Minhagim wurden aus eigenem Antrieb des Jüdischen Volkes aufgenommen. Minhagim beweisen unsere Selbsttätigkeit und unsere Bereitschaft, das Wort G“ttes zu erweitern.

Selbsttätigkeit“ des Jüdischen Volkes 

In den Minhagim zeigt das Jüdische Volk, dass es sich nicht mit einer blindlings stattfindenden Befolgung der von Oben aufgetragenen Regeln zufriedengibt. In den Minhagim zeigen wir, dass wir bereit sind, die Traditionen zu leben und diese verbreitern möchten. Die Minhagim zeigen ein tatsächliches Interesse für das, was einst in längst vergangenen Zeiten unseren Vorfahren mitgeteilt wurde.

Die Offenbarung auf dem Berg Sinai war hauptsächlich – so wie das in der mystischen Literatur heißt – eine „Aktion von Oben“. Der Minhag stellt die „Selbsttätigkeit“ des Jüdischen Volkes in den Vordergrund, eine Reaktion des Menschen auf Erden auf die Offenbarung auf dem Berg Sinai.

Taschlich ist ein sehr tiefsinniger Jüdischer Brauch, der zum ersten Mal im vierzehnten Jahrhundert beschrieben wird. Jedes Jahr, am Ausgang des ersten Tages von Rosch Haschana, nach dem Mincha-Mittaggebet, gehört es bei uns zur Gewohnheit, zu einer Stelle zu gehen, wo es fließendes Wasser gibt (einen Bach, einen Fluss oder ähnlich). Dort, am Ufer, sprechen wir das Taschlich-Gebet. Fällt der erste Tag von Rosch Haschana auf Schabbat, wie das im Jahr 5781 der Fall ist, wird die gesamte Zeremonie auf den zweiten Tag von Rosch Haschana verschoben, in Zusammenhang mit dem Verbot, an Schabbat zu tragen.

Brotkrümel in den Strom werfen 

Wir schütteln unsere Sünden von uns ab, sowohl bei der Ausführung, wie auch symbolisch, und werfen diese weg. Wir schütteln unsere Sünden ab, indem wir  Teschuwa, innere Einkehr, vollziehen, aber wir setzen unseren innigsten Wunsch nach Läuterung in die Praxis um, indem wir Brotkrümel in den Strom werfen.

Der Text 

Der Text von Taschlich setzt sich aus Micha 7:18-20 und Psalm 118:5-9 zusammen. Das Wort Taschlich kommt aus Micha 7:19: “wetaschlich bimetsulot jam kol chatotam, Möge HaSchem alle unsere Sünden in die tiefsten Stelle des Meeres werfen“.

Der gesamte Text von Taschlich lautet also: „Wer ist ein G“tt wie Du, der die Schuld verzeiht und an der Sünde vorbeigeht? Du bleibst nicht auf diejenigen, die von Deinem Volk noch übrig sind, erbost, lieber zeigst Du denen Deine Treue. Du wirst Dich aufs neue über uns erbarmen und alle unsere Sünden zunichtemachen. Unsere Sünden wirfst Du in die Tiefen des Meeres. Du erweist Ja’akow Deine Treue und Awraham Deine Güte, so wie Du das unseren Ahnen geschworen hast, in früheren Zeiten“ (Micha 7:18-20).

Die erste Quelle in 14. Jahrhundert 

Die erste Quelle für diesen Minhag finden wir im Maharil, Rabbi Ja’akow ben Mosche Mölin (1360-1427). In seinen Minhagej Maharil erklärt er die Taschlich-Zeremonie mit dem bekannten Midrasch Tanchuma (Wajera 22). Awraham und Jitzchak befinden sich auf dem Weg zum Berg Moria in Zusammenhang mit der Akeda, der Opferung von Jitzchak. Unterwegs werden sie vom Satan in der Form eines Flusses gehindert. Der Satan setzt alles in Bewegung, um diese größte Opferung in der Jüdischen Geschichte zu verhindern. Er appelliert an Awrahams gesunden Menschenverstand:

Satan appelliert an Awrahams gesunden Menschenverstand

„Awraham, was machst Du da? Jitzchak ist Dein einziger Nachkomme! Du hast auf seine Geburt fast einhundert Jahre gewartet. G“tt hat Euch durch ein Wunder dieses Kind geschenkt. G“tt hat Dir Enkelkinder über Jitzchak versprochen. Du hast außerdem während Deines gesamten Lebens gegenüber der gesamten Menschheit gegen Kinderopfer gepredigt. Wie kannst Du jetzt dann doch Deinen eigenen Sohn töten? Wie kann ein Vater seinen eigenen Sohn eigenhändig ermorden? Wie kannst Du glauben, dass G“tt so etwas von Dir verlangt? Bist Du verrückt geworden?“.

das Wasser reicht bis zu meinen Lippen 

Awraham lässt sich durch Satans Wassermaßen nicht abschrecken. Im Augenblick, wo Awraham bis zu seinem Mund im Wasser steht, wendet er sich zu G“tt: „Erlöse mich, o G“tt, das Wasser reicht bis zu meinen Lippen“ (Psalm 69:2).

durch Dich wird die Einheit Meines Namens auf Erden verkündet werden 

Der Satan blockierte Awraham auf seinem Weg zu vollständiger religiöser Perfektion. Awraham ertrank beinahe. An diesem Augenblick richtete Awraham seine Augen zu HaSchem und sprach: „Herr der Welt, Du hast mich ausgewählt und mir versprochen: „Durch Dich wird Mein Name unter den Menschen bekannt werden. Ich ertrinke fast. Wenn ich oder mein Sohn von der Weltbühne verschwinden, durch wem wird dann die Einheit Deines Namens verkündet werden?“ Da sprach G“tt: „durch Dich wird die Einheit Meines Namens auf Erden verkündet werden“. Unmittelbar verschwand der sinnbildliche Fluss vom Satan. Awraham und Jitzchak setzten die Akeda, die Opferung, fort.

Dieser Midrasch ist noch genau so aktuell wie vor 4000 Jahren. Gerade am Ufer eines Flusses oder an fließendem Gewässer zeigen wir, dass wir noch immer bereit sind, unser Leben HaSchem zu widmen, genau wie Awraham und Jitzchak.

Was wurde nun eigentlich genau von Awraham gefordert?

Das verstehen wir erst, wenn wir das Ende des Hauptteils 22 von Genesis lesen: „ki ata jadati jerej Ellokim ata – denn erst jetzt weiß Ich, dass Du G“ttesfürchtig bist“.

Awraham war der Mann von Chessed, vollständige und alles gebende Liebe für seinen Mitmenschen. Awraham fiel „lieb sein“ nicht schwer. Das war sein Naturell. G“tt wollte wissen, ob Awraham auch dazu bereit sei, Ihm durch Handlungen, die vollständig seinem Naturell widersprachen, zu dienen. Das weg senden von Hagar und Jischmaejl, was wir am ersten Tag von Rosch Haschana in der Synagoge lesen, war die neunte Herausforderung Awrahams. Das Töten seines Sohnes würde die zehnte Prüfung sein. Das weg senden und das Töten sind Taten der Entstehung von Entfernung zu Ehemaligen, die einem sehr ans Herz lagen. Awraham war komplett bereit, alles zu tun, was HaSchem von ihm forderte, auch wenn dieses total seiner Persönlichkeit und Gefühlen widersprach. Dieses ist der wahre religiöse Mensch.

Was ist der Ewigkeitswert dieser Zeremonie?

An Stelle von Jitzchak wurde ein Widder geopfert. Rabbi Chanina ben Dosa erzählt, dass alle Einzelheiten dieses Widders eine Stelle, ja einen Stellenwert, in der Jüdischen Zukunft erhalten würden. Der Widder hatte zehn Sehnen, diese dienten als Saiten an der Harfe von König David. Ohne den religiösen und geistigen Mut von Awraham hätte König David nicht seine große geistige Höhe in seinen Psalmen erreichen können. Die Asche des Widders lag auf dem Altar des innersten Bereiches. Die Ecken des Altars im Tempel, auf die der Hohepriester jedes Jahr an Jom Kippur das Opferblut sprenkelte, um für das Jüdische Volk Versöhnung zu erwirken, erhielten ihre Weihe durch die Aufopferungsbereitschaft von Awraham und Jitzchak.

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Die Haut des Widders wurde später der Gürtel des Propheten Elijahu. Die Geisteskraft, um dem grausamen und ketzerischen Regime von König Achab und Königin Isebel zu widerstehen, erhielt Elijahu von Awraham. Das linke Horn des Widders diente als Schofar bei der Offenbarung anlässlich der Thora-Gesetzgebung auf dem Berg Sinai. Aber das Jüdische Volk war noch nicht ganz für seinen erhabenen Auftrag bereit. Deshalb wird auf dem rechten Widderhorn, dem Schofar Gadol, dem großen Widderhorn, zu Zeiten des Maschiach geblasen.

Ma’assej Awot Siman laBanim 

„Ma’assej Awot Siman laBanim – was mit unseren Erzvätern geschah, ist ein Vorzeichen für die Kinder“. Wir erleben jedes Mal wieder dieselben Herausforderungen und Triumphe, wie unsere Ahnen.

Taschlich an fließendem Wasser mit Fischen

Taschlich hat an fließendem Wasser zu erfolgen, Majim Chajim, lebendiges Wasser, aber auch Wasser, das an G“ttes Geschöpfen Leben spendet. Das Wasser reinigt und ermöglicht Leben, genauso, wie Jom Kippur uns von unseren weniger guten Seiten reinigt.

 „Schau zu den Fischen im Strom“ rät uns der Rema, Rabbi Mosche Isserlis (1520-1577). Die Fische leben im Wasser und erinnern uns an unsere „natürliche Umwelt“ (unterhalb der Wasseroberfläche). Die Thora wird mit dem Wasser verglichen (es erfrischt und spült sauber) und bildet unsere natürliche Lebensquelle.

Der Talmud sagt uns (Berachot 61b), dass Rabbi Akiva weiterhin Thora Berabbim (in der Öffentlichkeit) lehrte, nachdem die Römer solche Aktivitäten bei Todesstrafe verboten hatten.

in unserem natürlichen Lebensraum bleiben 

Als Pappus Ben Jehudah Rabbi Akiva mit der Vernunft solcher Handlungen konfrontierte, antwortete er mit einem Maschal (einer Parabel) über den Fuchs, der Fischen, die ihren natürlichen Wasserräubern zu entkommen versuchten, auf dem Trockenen Zuflucht gewährte.

Obwohl es in den Gewässern von Gefahr wimmelte, begriffen die Fische, dass das Überleben nur möglich war, solange sie in ihrem natürlichen Lebensraum blieben. Wären sie auf das Festland „geflohen“, würde dies den sicheren Tod bedeuten. Wasser ist für die Fische, was das Lernen von Thora und Tefila für Klal Yisrael ist.

Außerdem sind die Fische für den Ajin haRa, den Bösen Blick, nicht greifbar. Indem wir auf die Fische blicken, hoffen wir symbolisch, dass wir gegen die Eifersucht und den Neid unserer Mitmenschen beschützt werden. Der Antisemitismus basiert oft auf Missgunst. Weiterhin sind die Fische ein Beispiel großer Entwicklung und wir hoffen, dass wir, vergleichsweise auch zahlenmäßig, in der Völkergemeinschaft einen angemessenen, dauerhaften Platz zuerkannt bekommen.

Rabbi Jeschaja Horowitz (1555-1630) macht uns darauf aufmerksam, dass die Fische keine Augenbrauen. Sie haben die Augen andauernd geöffnet. Das symbolisiert, dass das Auge G“ttes immer geöffnet ist: „Hinej lo janum welo jischan Schomer Jisrael – „Schau her, der Beschützer des Jüdischen Volkes schlummert nicht und schläft nicht!“ (Ps. 121:4).

Aber die Fische symbolisieren auch, dass wir verstehen, dass unser Leben sehr zerbrechlich und dass unser Schicksal unsicher ist, vergleichbar mit dem ungewissen Leben der Fische, die jeden Augenblick gefangen werden könnten (vgl. Prediger 9:12: „Dass auch der Mensch seine Zeit nicht weiß, gleich den Fischen, die mit dem bösen Netz gefangen werden; genau wie sie, werden die Menschenkinder verstrickt, zu böser Zeit…“).

Rabbi Mosche Isserlis (1520-1577) benennt eine andere Bedeutung. An Rosch Haschana möchten wir einen Neuanfang machen, buchstäblich durchstarten. Wir möchten uns von unseren Fehlern, Missgeschicken und kleinen Unehrlichkeiten reinwaschen und frisch und komplett wiedergeboren weitermachen. Die Teschuwa hilft hierbei, denn das ist mehr vom selben: wir schnuppern neue Möglichkeiten und ein Bestreben zu einer besseren Lebensform, wobei wir uns von unserem bisherigen Leben verabschieden, das mit allen seinen Unebenheiten stoppt.

Die offenen Augen der Fische führen zur Erkenntnis, dass G“tt uns andauernd beobachtet. Am Ufer oder am Wasserrand wenden wir uns an den Allmächtigen, besinnen wir uns auf unser Leben. Wo fließt, wo wandert das alles hin, in einem endlosen Strom von Ebbe und Flut, von Ups und Downs? Bei den Metsulot Jam, bei den Wassertiefen, möchten wir die Größe G“ttes verspüren. Wir stehen neben einem Fluss, der hier schon seit der Schöpfung der Welt fließt. Wir werden von der Natur ergriffen, an diesem sechsten Schöpfungstag, an dem Adam und Eva (Chawa) vor 5781 Jahren erschaffen wurden. An diesem Tag loben wir G“tt als den Schöpfer des Universums: „genauso, wie die Natur andauernd in Bewegung ist, durchläuft auch unser Leben ein durchgehende Veränderung“.

Der Gaon von Wilna, Rabbi Elijahu von Wilna (1720-1797), wollte das Taschlich jedoch abschaffen. Er befürchtete, dass Taschlich zu Annahmen führen könnte, die sich mit dem eindeutigen Monotheismus in Widerspruch befänden.

Aber dieses mindert nicht die tiefe Symbolik von Taschlich, schwächt sie auch nicht. Wir lesen am zweiten Tag von Rosch Haschana von der enormen Aufopferung von Awraham und Jitzhak. Sie steckten, was sie selber betraf, gegenüber dem G“ttlichen alles in den Hintergrund. Obwohl das in unseren Zeitgeist von Individualismus und Aufklärung überhaupt nicht hineinpasst, schafften sie wohl die Grundlage von Am Jisraejl.

Brotkrümel in den Fluss

Wir nehmen Brotkrümel mit und werfen sie in den Fluss. Chamejtz (gegorenes Brot) und Matza vergegenwärtigen zwei Weltanschauungen. Die Matza steht für die dauerhafte G“ttliche Vorhersehung. Chamejtz ist die spontane, die plötzliche Veränderung. Der große „Big-Bang“ bildet die Einleitung zu einem Vorgang, auf den niemand mehr Zugriff hat. Nach dem Auszug aus Ägypten war es eindeutig sichtbar, dass G“tt alle Fäden in Händen hatte. Selbst in den alltäglichsten Vorgängen ist die Hand G“ttes erkennbar. Nichts erfolgt, ohne dass G“tt das möchte. Dieser Gedanke befindet sich in der Matza.

Um zu betonen, dass selbst die kleinsten Vorgänge nicht der Aufmerksamkeit G“ttes entgleiten, lautet die Vorschrift (die Halacha), dass selbst die kleinsten Krümel Chamejtz an Pessach verboten sind. Vielleicht ist das der Grund, dass die Matza  „das Brot des Glaubens“ genannt wird. Die Matza lehrt uns, dass es EINEN großen Schöpfungsplan gibt, der bis zur Zeit des Maschiach andauern wird. Außer unserem freien Willen und unseren eigenen moralischen Entscheidungen ist alles schon festgelegt. Deshalb werfen wir kleine Brotkrümel in den Fluss.  

Unser Verlangen nach irdischen Gütern, ob materieller oder seelischer Natur, wird durch das »Chametz« symbolisiert. Die Suche nach und das Vernichten von Chametz zeigt an, dass wir auf alle materiellen Wünsche verzichten und auch Abschied nehmen von unserem »aufgeblasenen« Ego. Wir werfen das in einen schnell fließenden Fluss, um schnell davon wegzukommen…

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