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ZIVILRECHT, HEILIGUNG UND WEIHE – Parascha Mischpatim

ZIVILRECHT, HEILIGUNG UND WEIHE - Parascha Mischpatim
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בסייד

In der Parscha Mischpatim wurde uns der irdische, zivile Teil der Tora offenbart. Die Tora zielt darauf ab, die Welt zu heiligen und zu erheben. Das war der Kern des Prinzips der “Tora im Derech Eretz” – die Erde zu G’ttes Wohnstätte zu weihen!

Nach dem Prinzip “Tora im Derech Eretz” können wir die Tora als ein Buch mit Anweisungen für den richtigen Umgang mit der Welt betrachten.  Ohne sie kann jeder Gebrauch, den wir von der Welt machen, schädlich sein.  Mit der Tora erhält jeder Aspekt der Welt Sinn, Zweck, Substanz und Tiefe. Dies erklärt eine Reihe merkwürdiger Mizwot (Gebote) zu Schawu’ot, dem Wochenfest, dem Fest, an dem uns vor 3335 Jahren neben den Zehn Geboten auch der zivile Teil der Tora offenbart wurde.

Die Tannaim (Mischna-Gelehrten) waren sich nicht einig über die Verpflichtung, sich an den Jamim Tovim, den Festen der Tora, zu erfreuen. An einer Stelle weist die Tora darauf hin, dass sie G’tt gewidmet werden sollen, und in einem anderen Vers uns selbst.

Beteiligt an dieser Welt

Rabbi Eli’ezer kommt zu dem Schluss, dass man diese Feiertage möglichst ausschließlich mit Tora-Lernen verbringen sollte, während Rabbi Jehoschu’a der Meinung ist, dass man beide Ziele – das Genießen der irdischen Umgebung und das Tora-Studium – gleichermaßen verfolgen sollte (B.T. Betsa 15b).

Zu dieser Meinungsverschiedenheit merkt der Amora (Talmud-Gelehrte) Rabbi Elazar an, dass sogar R. Eli’ezer in Bezug auf Schawu’ot zustimmt, dass wir dieses Fest teilweise unseren eigenen Vergnügungen widmen sollten.  Warum? “Es ist der Tag, an dem die Tora gegeben wurde” (B.T. Pessachim 68b).  Das ist eine ziemlich erstaunliche Antwort.  Man hätte erwarten können, dass dies ein Grund für R. Jehoschu’a wäre, sich mit der Tatsache abzufinden, dass Schawuot ganz dem Toras-Studium gewidmet sein sollte und nicht umgekehrt!

Wenn wir uns aber bewusst machen, dass es die Tora ist, die dieser Welt einen Sinn gibt und vorschreibt, wie diese Welt in den Dienst G’ttes zu stellen ist, wird das Argument von Rabbi Jehoschu’a überdeutlich: Besonders am Schawu’ot zeigen wir, wie wir G’tt mit unserem Engagement in dieser Welt dienen können.

Chametz und Matza: Materialismus und Spiritualität

Ein weiteres Gebot, das nur für Schawu’ot gilt, betrifft die Frage des Chametz und der Matza, die nach unserer traditionellen Auslegung den Materialismus bzw. die geistigen Werte symbolisieren. Chametz ist an Pessach völlig verboten.  Aber an Schawu’ot wird Chametz als Opfer im Heiligtum in Form der “zwei Brote” dargebracht (Wajikra/Lev. 23:17). Nur die irdische Ausrichtung der Tora kann erklären, warum ausgerechnet die “Zeit der Tora-Gebung” zum Fest des Chametz, des Materialismus, geworden ist.

Verzehr des Schelamim-Opfers

Wenn wir die Tieropfer analysieren, entdecken wir ein weiteres Paradoxon, das es nur an Schawu’ot gibt.  Es gibt zwei Arten von freiwilligen Opfern: “ola” – ein Brandopfer – und “schelamim” – ein Friedensopfer.  Das “ola” wird vollständig G’tt geopfert. Es wird auf dem Altar verbrannt.  Das “Schelamim” hingegen werden in der Regel von demjenigen, der das Opfer darbringt, und seinen Gästen gegessen, wobei dieses Essen die Erfüllung des Opfers darstellt.  “Schelamim” mit seinen körperlichen Genüssen werden in der Regel nur von Privatpersonen dargebracht.  Die meisten öffentlichen Opfer sind von der Art der Ola, das völlig körperlos ist.  Es gibt nur eine Ausnahme.

Es gibt ein Schelamim-Opfer, das im Namen der Öffentlichkeit dargebracht wird. Und das ist an Schawu’ot (Wajikra/Lev. 23:9). Nur an dem Tag, an dem die Tora gegeben wird, sollten die Menschen in Massen den Geschmack und Verzehr von “Schelamim” geniessen.  Ein Paradoxon, das durch den Grundsatz “Tora im Derech Eretz” gut erklärt wird (Meschech Chochma, Schemot 20:18).

Kinder zur Emuna erziehen

Der Grundsatz “Tora im Derech Eretz” leitet uns auch bei der Erziehung unserer Kinder. Das bedeutet, dass wir unseren Kindern lehren sollten, dass die Welt nach festen Regeln abläuft: “Es ist G’ttes Wunsch und Verlangen, die ‘Gewohnheit’ der Welt so weit wie möglich zu erhalten, und die Natur ist Ihm teuer”. Wenn wir zu viel über Wunder sprechen und zu wenig darüber, wie G’tt uns auf natürlichem Wege beschützt, kann sich das negativ auf das geistige Wohlbefinden unserer Kinder auswirken.

Hier sind Maimonides’ Worte über das, was die Tricks und die Geschicklichkeit des Zauberers den Seelen der Kinder antun können: “Dies verursacht großen Schaden, denn sich unmögliche Dinge als möglich vorzustellen, ist für Kinder sehr schädlich und kann ihren Verstand schädigen” (Sefer Hamitzvot, Verbot Nr. 32). Die Worte von Maimonides können auch weiter gefasst werden und haben möglicherweise eine allgemeine Bedeutung.

Natürlich sollten wir unsere Kinder über die großen Wunder unterrichten, die G’tt für uns vollbracht hat, wie es in der Tora und den Worten unserer Weisen steht. Dies ist wichtig für ihre Ausbildung in Emuna (Glaube) und Bitachon (Vertrauen). Doch alles, was über diese Wunder des Tenach und des Talmuds hinausgeht, ist mit Vorsicht zu genießen. Auch hier müssen wir einen Mittelweg beschreiten.

Vollständige Heiligung, keine Kompromisse

Das Prinzip der Tora im Derech Eretz erkennt die Bedeutung der Natur und der physischen Aspekte der Welt an. Dies ist eines der Schlüsselelemente dieses Grundsatzes. Es scheint den Extremismus abzulehnen und wirkt gemäßigt. Doch das Prinzip der Tora im Derech Eretz ist kein Kompromiss, sondern verlangt vom Juden die totale Hingabe – emotional, intellektuell und physisch – in jedem Aspekt des Lebens: “Betrachte dich selbst und alles, was dir gehört, als Mein Eigentum und widme dich Mir vollständig mit jedem Teil deines Besitzes, jedem Augenblick deiner Zeit; mit Geist, Gefühl, körperlicher Kraft und materiellen Mitteln, mit Wort und Tat” (Rabbiner S.R. Hirsch, Chorew Abs. 4). Solche völlige Hingabe, das ist der Gipfel der Heiligkeit, den die Tora im Derech Eretz von uns erwartet. Eine solche Heiligkeit erfordert einen angemessenen Gebrauch aller Mittel, die uns die Welt zur Verfügung stellt. Sie ist daher viel schwieriger zu erreichen als die begrenzte Heiligkeit, die sich aus dem Verzicht auf eine unsachgemäße Nutzung unserer Ressourcen ergibt. Rabbi Moshe Chaim Luzzato, der Autor von Mesilat Jescharim, sieht darin die Überlegenheit der Heiligkeit gegenüber der Reinheit (Kap. 26).

Besitz von physischen Gegenständen

Unsere Gelehrten nennen “Stärke, Reichtum, Weisheit und Bescheidenheit als Voraussetzungen, um ein Prophet zu werden”. Es ist leicht vorstellbar, warum die beiden letztgenannten Eigenschaften als Anforderungen festgelegt wurden. Sie stehen für intellektuelle und geistige Vollkommenheit. Aber warum sind die ersten beiden Eigenschaften, die rein materieller Natur sind, so wichtig? Mit Blick auf die “Tora im Derech Eretz” stellt diese Forderung jedoch kein Problem dar, da wir der Heiligung der körperlichen Kraft und der wirtschaftlichen Macht Bedeutung beimessen.

Das Gleiche gilt für die Erfüllung der Mizwot. Nur wer ein richtiges Haus mit bestimmten Mindestmaßen, mit einer Tür und Türpfosten besitzt, kann die Mitzwa der Mesusa erfüllen; nur wer ein Feld besitzt, kann den Armen den geforderten Zehnten geben.  Wer seine Erstlingsfrüchte ins Heiligtum bringt, während sein Baum inzwischen so geschädigt ist, dass er keine weiteren Früchte mehr hervorbringen kann, darf den Abschnitt aus der Tora nicht rezitieren, der beim Darbringen der Früchte im Tempel gesagt werden musste (Mischna Bikurim 1:6).

Der Respekt vor der Materie, unserer materiellen Umwelt

An Sukkot, wenn wir die vier Arten hoch heben sollen, schreibt die Tora vor, dass sie unser Eigentum sein müssen. Offensichtlich ist der Besitz hier unabdingbar für die Erfüllung der Mitzwa (Wajikra/Lev. 23:40; B.T. Sukkah 41b). Und vielleicht ist die Mitzwa der Sukka von derselben Art: nur derjenige, der in einem richtigen Haus lebt und es verlässt, um in einer Sukka zu wohnen, erfüllt die Mitzwa vollständig, während Landstreicher, Obdachlose und Reisende davon ausgenommen sind.  Nur ein “sesshafter” Bewohner hat die Verpflichtung zur Sukka (B.T. Sukkah 28b, Chiduschej Raschba dort).

Wenn ein Mensch seine irdischen Besitztümer verachtet, verachtet er die Mittel zur Erfüllung der Gebote G’ttes.

Der Respekt vor der Materie, unserer materiellen Umwelt, ist wichtig. Das ist auch der Grund, warum G’tt diese materielle Welt geschaffen und uns in physische Körper gesetzt hat. Anders als in den uns umgebenden Religionen geht es im Judentum um die Erhebung der Materie und die Sammlung der “Nitsotsot”, der G’ttlichen Funken G’ttes, die während der Schöpfung über die materielle Welt verstreut wurden. Das letztgenannte kabbalistische Konzept wird irdisch im Prinzip der “Tora im Derech Eretz” verwirklicht. Dies ist die tiefste Absicht der Tora.

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Written by Dajan Raphael Evers

Oberrabbiner von Düsseldorf /Dajan des Europäischen Beit Din's

Bekannt für seine enzyklopädischen Kenntnisse in fast allen Bereichen des Judentums. Ist ein Mitglied in CER (Konferenz der europäischen Rabbiner) sowie im europäischen Beit Din.

Hat mehrere Bücher geschrieben. Darunter: „Talmudisches Denken“, „Die Echte Torah“, „Schaatnes Gesetze“.

Im Moment widmet sich dem Ziel das jüdische Leben in Düsseldorf wieder aufzubauen.

Sprachen: Holländisch, Yiddisch, Hebräisch, Englisch, Deutsch

(Foto gemacht von: J. Feldmann)

BESCHEIDENHEIT ALS VORBEREITUNG AUF DEN EMPFANG DES ZIVILRECHTS IN DER TORA - Parascha Mischpatim

BESCHEIDENHEIT ALS VORBEREITUNG AUF DEN EMPFANG DES ZIVILRECHTS IN DER TORA – Parascha Mischpatim

Halachische Fragen und Antworten Der Inhalt dieser Parscha ist hauptsächlich "halachisch" (mit jüdischen Vorschriften zu tun). Diese Parscha beantwortet viele Fragen zur Halacha (jüdische Gebote). Natürlich stellen sich in jeder Generation neue Fragen. Im Folgenden finden Sie eine zufällige Auswahl dieser "halachischen Fragen", die von einem international anerkannten halachischen Experten beantwortet werden. EINIGE RESPONSA VON RAV A. KATZ ÜBER DIE ANGELEGENHEITEN DER SYNAGOGE In letzter Zeit gab es eine Reihe von Fragen zu Angelegenheiten in der Synagoge. Bezeichnend sind die verschiedenen Responsen von Rav A. Katz, der nach dem Krieg eine Zeit lang in der Keizersgracht (Nr. 33) in Amsterdam lebte, als Antwort auf die gestellten Fragen. Aron Hakodesch ohne Parochet (Vorhang) Die erste Frage war, ob es zulässig ist, einen Aron hakodesch ohne Parochet zu machen. Rav Katz (LKH 147:8) fragt, ob es zulässig ist, einen Aron hakodesch ohne Parochet zu machen, wenn er schöner ist. Rav Katz ist zunächst der Meinung, dass es nicht richtig ist, eine alte Minhaĝ (Brauch) zu ändern (eine Parochet an den Aron hakodesch zu hängen). Er erwähnt jedoch, dass der Aron hakodesch der portugiesischen Synagoge keine Parochet hat und besonders schön ist (nur an Tischa beAw hängen die portugiesischen Juden eine schwarze Parochet vor den Aron hakodesch). Gestohlenes und missbrauchtes Parochet In einer anderen Frage ging es darum, was mit einer Parochet geschehen sollte, die während des Krieges aus einer der örtlichen Synagogen gestohlen und von einem Bauern als Bettdecke für sein Bett verwendet worden war. Nach dem Krieg wurde dies von einem Juden bemerkt und der Parochet wurde zum Rabbinat gebracht. Durfte sie wieder als Parochet dienen oder wurde sie geschändet? Rav Katz antwortete, dass es erlaubt sei, diesen Parochet zu hängen. Bilder über dem Aron hakodesch Es wurde auch gefragt, ob es zulässig sei, alle Arten von Abbildungen von Tier- oder Menschenfiguren als Dekoration über dem Aron hakodesch anzubringen, wie es in einigen alten Synagogen üblich war. Rav Katz erwähnt, dass viele große Toragelehrte diese Bilder nicht aus dem Synagoge verbannt haben. Obwohl diese Bildnisse oft über dem Aron hakodesch angebracht sind und es beim Verbeugen oder Niederknien (an Jom Kippur) so aussehen könnte, als würde man vor ihnen knien, muss man keine Angst vor der Anbetung dieser Bilder haben. Rav Katz zitiert zum Beweis das Din (Vorschrift), dass man sich vor einem Staatsoberhaupt usw. verbeugen darf, auch wenn er ein Götzenbild auf der Brust trägt, auch wenn man denken könnte, dass man sich vor dem Götzenbild verbeugt. Doch diesen Verdacht muss man nicht fürchten, denn auch Nicht-Juden verneigen sich nur vor dem Staatsoberhaupt und nicht vor dem Götzen. Rav Katz führt weiter aus, dass, wenn sich über dem Aron hakodesch ein Bildnis von Mosche Rabbenu oder Aharon, dem Hohenpriester, befindet, es nach dem Beet Lechem Yehuda besser ist, die VOLLSTÄNDIGE Nase der Figuren zu entfernen. Küssen der Sefer Tora Es wurde auch gefragt, wie man die Sefer Tora küssen sollte. Soll man das Sefer mit dem Mund (in den Niederlanden sehr unüblich) oder mit der Hand küssen? Nach der SCHELA sollte man die Sefer Tora mit dem Mund küssen, aber andere argumentieren, dass es eine größere Kawod (Ehre) für die Sefer Tora ist, wenn man sie mit der Hand küsst, d.h. man berührt die Sefer Tora mit der Hand und küsst dann die Hand. Man zeigt damit, dass man die Keduscha (Heiligkeit) der Sefer Tora so hoch einschätzt, dass sie eine "Spur" von Keduscha auf der Hand hinterlässt. Nach dem PACHAD JITSCHAK ist das Küssen der Sefer Tora mit dem Mund - nach Meinung einiger - ein Ausdruck von Leichtsinn. Position der sifree Tora im Aron hakodesch Es herrschte auch Verwirrung darüber, ob ein Sefer Tora aufrecht oder liegend in den Aron Hakodesch gestellt werden sollte. Dies ist eine Meinungsverschiedenheit zwischen mehreren RISCHONIEM (Gelehrte, die zwischen ca. 1000 und 1500 lebten). Die einen meinen, die sifrei Tora sollte stehen, die anderen, die Sefarim sollten liegen. Daher ist es bei uns üblich, die Sefarim leicht schräg zu stellen.

JITRO SORGTE FÜR EINEN ANDEREN ANSATZ FÜR DAS RECHT – Parascha Mischpatim